WirtschaftsWoche: In Ihrem neuen Buch geht es darum, ein guter Chef zu werden. Wieso sind so viele Führungskräfte schlechte Chefs?
Alexander Groth: Viele Vorgesetzte sind nicht unbedingt schlechte, sondern eher mittelmäßige Chefs. Es ist keiner bösartig, niemand will ein schlechter Chef sein. Die meisten Menschen geben sich schon Mühe, aber das reicht nun mal nicht.
Das Problem besteht darin, dass man Führung nicht so einfach wie Management erlernen kann. Projektmanagement, Budgetierung, Planung, Controlling - es gibt viele Methoden, mit denen man ein guter Manager wird, wenn man sich diese aneignet.
Bei Führung geht es aber hauptsächlich um die menschliche Reife, also die Persönlichkeit an sich. Dieses Wachstum lässt sich nicht künstlich beschleunigen und es erfordert Reflexion der eigenen Person, für die moderne Führungskräfte immer weniger Zeit investieren.
Zur Person
Alexander Groth ist Professional Speaker und Experte für Leadership. Auf Tagungen und Konferenzen gibt er Führungskräften immer wieder neue Impulse für ihre Arbeit. Groth ist Lehrbeauftragter an drei Universitäten und gefragter Experte in den Medien. Zu seinen Kunden zählen die Führungsetagen internationaler Konzerne.
Sie möchten mit Ihrem Buch fördern, dass es mehr "We-care-Leader" gibt. Was heißt das denn?
Ein We-care-Leader hat drei Eigenschaften: Erstens ist er authentisch; er zeigt sich nach Außen wie er ist. Viele Chefs tragen so etwas wie eine Maske, hinter der sie ihre unangenehmen Seiten und Schwächen zu verstecken suchen. Zweitens ist er integer. Wenn er etwas verspricht, überlegt er sich vorher genau, ob er es einhalten oder gar übertreffen wird, sonst schweigt er lieber. Er achtet auch in Kleinigkeiten darauf, wahrhaftig zu sein.
Drittens arbeitet er an seiner Herzenskapazität. Die wirklich großartigen Leader der Weltgeschichte hatten alle eine große Herzenskapazität. Sie sehen den anderen Menschen als Ganzes und nicht nur in seiner Funktion. Hier liegt wohl das größte Entwicklungspotential bei den meisten Vorgesetzten.
Was bringt es einem, ein solcher Chef zu sein?
Viele Leute vermissen Sinn in ihrer Arbeit. Sie verdienen gut, machen Karriere, sind anerkannt. Aber ihnen fehlt etwas, sie wären gerne Teil einer großen Sache, die ihnen mehr gibt als Status. Unternehmen bieten diesen Sinn aber kaum noch.
Ein We-care-Leader findet einen tieferen Sinn in seiner Arbeit als Führungskraft. Er will nicht nur seine Karriere optimieren, sondern wirklich etwas für die Menschen tun, die er führt. Ihm ist bewusst, dass er die Chance hat, etwas Außergewöhnliches mit und für die Menschen zu leisten. Ein We-care-Leader weckt Leben in den Menschen. In seinem Umfeld wird gelacht und die Leute freuen sich morgens zur Arbeit zu kommen.
In der Rückschau auf ein Leben verlieren die Dinge, denen wir täglich hinterherlaufen wie Status und Wohlstand an Wert. Es bleibt dagegen, was wir für andere getan haben; was wir Gutes bewirkt haben. Ein We-care-Leader weiß das schon heute und handelt dem entsprechend. Er beeinflusst das Leben von anderen Menschen. Seine Handlungen mögen im Einzelnen nicht besonders prägend erscheinen. Nachhaltig verändern sie aber etwas im Leben und Handeln der Menschen.
Wie werden We-care-Leader von ihren Vorgesetzten gesehen?
Die We-care-Leader, die mir in meiner Arbeit bei Kunden bisher begegnet sind, wurden von deren Vorgesetzten mit größtem Respekt behandelt. Man spürt auch als Chef, wenn man einer echten Persönlichkeit mit starken Charakter und Werten gegenüber steht.
Ein We-care-Leader begegnet allen Menschen auf Augenhöhe. Er besitzt Demut, erhebt sich also nicht über andere, nur weil er mehr verdient oder einen Titel hat. Genauso wenig lässt er sich aber von den Titeln anderer einschüchtern. Demut bedeutet übrigens nicht, dass er sein Licht unter den Scheffel stellt. Es ist Teil der Rolle als Führungskraft, die Leistung des eigenen Bereichs transparent zu machen. Alle Mitarbeiter arbeiten lieber in einer Abteilung mit gutem Ruf und für einen Chef mit gutem Leumund, der in den oberen Etagen Gehör bekommt. Ein We-care-Leader kann übrigens auch hart durchgreifen, wenn dies erforderlich ist. Was er tut ist gut für die Mitarbeiter. „Gut“ bedeutet aber für diese keineswegs immer „angenehm“.
Deutlicher Unterschied in der Führung
Sie sprechen den Leser direkt an und sagen ihm, er habe das Zeug zum We-care-Leader. Hat das tatsächlich jeder?
Jeder kann ein We-Care-Leader werden. Daran glaube ich fest. Das Buch ist wie ein erfahrener lebenskluger Mentor, der dem Leser dabei hilft, diesen Weg zu gehen.
Sie sprechen von unterschiedlicher Sozialisierung bei Männern und Frauen. Es erweckt fast den Eindruck, als hätten es Frauen einfacher, We-care-Leader zu werden.
Männer werden dazu erzogen, ihre unangenehmen Gefühle wie Ängste, Traurigkeit oder Hilflosigkeit zu verdrängen. Sie haben schlichtweg nicht gelernt, mit diesen gut umzugehen. Da fällt es schwer, mit Mitarbeitern umzugehen, die genau diese Gefühle haben.
Frauen haben dagegen öfters den Vorteil, dass sie ihre Emotionen besser wahrnehmen können. Das heißt aber nicht, dass sie auch automatisch besser damit umgehen.
Am Ende jeden Kapitels geben Sie Handlungsempfehlungen, wie man ein besserer Leader wird. Ist es tatsächlich möglich, diese alle zu verinnerlichen?
Ich will den Leuten etwas Konkretes bieten, womit sie anfangen können. Ich unterliege nicht der Illusion, dass man mein Buch liest und zum We-care-Leader wird, denn das ist eine lebenslange Entwicklung. Wenn man aber nach und nach zwei oder drei der Ideen umsetzt, macht das schon einen deutlich wahrnehmbaren Unterschied in der Führung.
Sie stellen fest, dass Menschen hauptsächlich im Beruf produktiv sind und sogenannte Flow-Erlebnisse empfinden. Ist das ein Problem unserer Gesellschaft?
Das ist gar kein Problem. Flow ist der Zustand, in dem wir ganz in einer Sache aufgehen und alles um uns herum vergessen. Wir empfinden Flow, wenn wir herausgefordert werden, wenn wir eine Aufgabe bearbeiten, die uns an die Grenze unserer Leistungsfähigkeit bringt, aber noch machbar ist. Solche Momente hat man laut Forschung deutlich öfters in der Arbeit und das ist okay; Arbeit soll schließlich Spaß machen. Im Privatleben hat man viele Wiederholungen, die einen eben nicht mehr besonders fordern.
Läuft ein We-care-Leader nicht Gefahr, irgendwann überholt zu werden - beispielsweise von einem Mitarbeiter, den er selbst gefördert hat?
Die Gefahr gibt es. Aber was wäre die Alternative? Talentierte Personen künstlich kleinzuhalten? Dann gehen diese woanders hin. Es gibt das Zitat, dass Erstklassige Erstklassige einstellen und Zweitklassige nur Drittklassige.
Wie interessant ist die Arbeit, wenn man nur Ja-Sager einstellt und Leute, die nicht das Potenzial haben, einen selbst zu überholen? We-care-Leader suchen die Besten. Sie genießen in der Regel aber so viel Respekt, dass kein Mitarbeiter auf die Idee käme, sie einfach so rechts zu überholen.