ZEIT ONLINE: Frau Kuschik, Ihren Rat wollen Menschen, die sonst Entscheidungen alleine treffen. Wie wird man Coach der Spitzenmanager?
Karin Kuschik: Mit Anfang 20 begann ich als Journalistin beim Radio zu arbeiten. Als Moderatorin wurde ich auch für Events von Wirtschaftsunternehmen gebucht, wie "Vorstände im Dialog" oder "Kamingespräche". So kam ich in Kontakt mit Spitzenmanagern und Politikern. Einer fragte mich dann, ob ich ihm beibringen könnte, auch so gelassen auf der Bühne zu sein. Das war mein Anfang als Stage-Coach. Dann kam Interviewtraining dazu. Topmanager geben ja nicht so gern Antworten, sie stellen lieber Fragen und führen das Gespräch. In einer Interviewsituation fühlt sich der eine oder andere also erst mal ausgeliefert, erst recht, wenn sich das Unternehmen etwa gerade in einer Krise befindet.
Mit welchen Fragen kommen Topmanager zu Ihnen?
Die allermeisten wollen zunächst mal ehrliches Feedback, weil sie es wegen ihrer herausragenden Position nicht mehr bekommen. Oft geht es auch um Charisma-Coaching. Die Manager wollen wissen, wie sie wirken, sei es bei einer Rede, einem Talkshowauftritt oder bei einem Pitch, in dem es um einen Großauftrag für ihr Unternehmen geht. Viele wollen ihr Auftreten verbessern – auch im Umgang mit den Mitarbeitern. Stark zugenommen haben auch Fragen zum Umgang mit Stress. Der Druck auf Führungskräfte ist größer geworden. Gleichzeitig hat meiner Wahrnehmung nach aber auch die Nachfrage nach Coaching insgesamt zugenommen.
Woran liegt das?
Früher galt Coaching als etwas Defizitäres. Da hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Zugespitzt ausgedrückt bist du nicht mehr der Depp, der eines braucht, sondern der Spitzenleister, der eines bekommt.
Die Anforderungen an Führungskräfte sind so vielseitig geworden – niemand kann erwarten, dass ein Chef schon fertig ist. Kein Chef kann alles wissen und alles können. Aber man kann immer wieder Neues dazu lernen und sich weiterentwickeln. Diese Fähigkeit zeichnet Führungskompetenz ja überhaupt aus.
Was ist gut an dem Bedürfnis nach Coaching?
dass man mit den üblichen Methoden nicht mehr erfolgreich sein kann;
dass das Weiterführende auf einer anderen Ebene zu suchen oder aus neuen Quellen zu schöpfen ist;
sich selber kritisch zu überprüfen und auch feste Überzeugungen doch in Frage zu stellen und aus Fehlern zu lernen;
sich immer wieder auf neue Erfahrungen einzulassen und, wenn auch in kleinen Schritten, so doch riskante Wege nicht zu scheuen;
sich zu bekennen als jemand, der nicht im Besitz der Wahrheit ist, sondern der immer noch aus Fehlern lernen muss, dem es aber vor allem um die Suche nach der besseren Lösung geht.
Nichtsdestotrotz hat auch die Zahl der Manager mit Burn-out und Depressionen stark zugenommen.
Das stimmt, gleichzeitig achten auch immer mehr Topmanager auf sich und nehmen die ersten Warnzeichen von Stresserkrankungen wie Tinnitus oder Schlafstörungen ernst. Auch die Nachfrage nach spirituellen Themen, Meditation, Yoga oder Ayurveda ist größer geworden. Vor ein paar Jahren hätte mich ein CEO noch ausgelacht, weil ich Yoga mache, heute macht er es selbst.
Woher kommt das?
Vielleicht hat die Finanzkrise etwas verändert. Im Management hat offenbar eine Rückbesinnung stattgefunden, die auch mit einer Besinnung auf sich selbst bei den Entscheidern verbunden ist. Und sicher trägt auch die veränderte Medienberichterstattung über diese Themen einen Anteil daran.
"Das große Plus bei Angela Merkel ist ihr Aussehen"
Haben Sie eigentlich nur männliche Klienten? Vor allem?
(lacht) Jein. Es gibt ja jetzt immer mehr Führungsfrauen. Allerdings sind meine Klienten aus dem C-Level-Bereich – also der höchsten Führungsetage – tatsächlich vorwiegend männlich. Die meisten meiner Klientinnen kommen aus einer Ebene darunter.
Haben Managerinnen andere Probleme?
Nicht unbedingt. Aber sie bringen oftmals typische Frauenthemen mit.
Welche sind das?
Eine häufig gestellte Frage von Managerinnen ist, ob sie zu weiblich auftreten oder zu männlich. Es ist leider immer noch so, dass ein weibliches Auftreten als zu weich und nicht durchsetzungsstark gilt, ein zu männliches Auftreten bei einer Frau aber als zickig oder unprofessionell rüberkommt.
Was raten Sie den Managerinnen?
Authentisch zu sein! Das Geschlecht spielt weniger eine Rolle, wenn die Führungskraft voll hinter dem steht, was sie sagt. Wenn die Chefin ganz sie selbst ist, kann sie auch mal emotional oder tough sein. Leider trauen sich aber Führungsfrauen oft nicht, voll in ihre Kraft zu gehen. Ich glaube, der größte Fehler, den eine Managerin machen kann, ist, ein besserer Mann sein zu wollen.
Aber oftmals kann man sich nur mit den Männern vergleichen, weil es vielfach keine anderen Frauen auf höchster Leitungsebene gibt, an denen man sich orientieren kann.
Das stimmt. Ich rate meinen Klientinnen, trotzdem nicht allein durch die Geschlechterbrille zu gucken und sich nicht gleich mit der ganzen Bevölkerungsgruppe Mann zu vergleichen. Man kann sich ja auch als Mensch mit anderen Menschen vergleichen und analysieren, warum wer in einer bestimmten Sache erfolgreich ist und ob dieses Verhalten für einen selbst passt, völlig egal ob Mann oder Frau.
Welche Rolle spielt das Aussehen für Führungsfrauen?
Für Frauen auf jeden Fall eine andere als für Männer. Gutes Aussehen kann bei Frauen vielleicht förderlich sein, um weiter nach oben zu kommen. Aber es ist hinderlich, wenn sie ganz oben sind. Ein Vorteil von Angela Merkel zum Beispiel ist ja ihr Aussehen. Es wird wohl keiner auf die Idee kommen zu sagen: "Sie hat sich bestimmt nach oben geschlafen!" Genau das ist aber oft der Gedanke, wenn eine sehr feminine Frau Karriere macht.
"Sich selbst zu kennen ist das beste Tool"
Was zeichnet eine gute Führungskraft Ihrer Meinung nach aus?
Sie bleibt menschlich, echt, kann Fehler zugeben und delegieren. Und sie stellt intelligente Fragen. Die Qualität der Antwort hängt ja von der Qualität der Frage ab. Zum Beispiel erlebe ich es immer wieder, dass sich Führungskräfte über ihr "Mitarbeiter-Problem" auslassen und sich ärgern, wenn das Team nicht die gewünschte Leistung bringt. Ich frage dann: Wer hat die Leute denn eingestellt? Und dann fällt dem Manager natürlich auf, dass er das war. Wenn Teams die Leistung nicht bringen, stimmt immer etwas im Gesamtsystem nicht – inklusive Chef.
Was zeichnet zielorientierte Kommunikation denn aus?
Das Ziel klar zu benennen, in Ich-Botschaften zu sprechen, keine Interpretationen vorzunehmen und vom Müssen ins Wollen zu kommen. Neulich habe ich erst wieder einen Vorstand bei einer Jahresauftakttagung zur Belegschaft sagen hören: "Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass unser Schiff nicht untergeht." Wer soll sich da bitte motiviert fühlen? Überhaupt diese merkwürdige Neigung zur doppelten Verneinung, wenn wir etwas Positives meinen.
Zum Beispiel?
Chefs sagen oft "Das haben Sie nicht schlecht gemacht." Und glauben dann womöglich, dass sie gelobt hätten. Aber was kommt an? Das letzte Wort: "schlecht". Und was soll denn "nicht schlecht" genau sein? Mittelmäßig? Gerade so, dass die Firma nicht pleite geht? Verneinungen sind auch Verneinung von Kommunikation.
Wie sollten Chefs denn mit ihrem Team reden, damit es Hochleistungen bringt?
Zielorientiert, klar, selbstverantwortlich. Und das heißt auch, sie sollten ihr Gehirn besser kennenlernen, wissen, welche Automatismen ablaufen und wie sie es aktiv nutzen können, um Ihre Ziele leichter zu erreichen. Ich bin Mitglied in der Akademie für Neurowissenschaftliches Bildungsmanagement und finde es immer wieder spannend, Erkenntnisse aus diesem Gebiet auch im Coaching einzusetzen. Viele von uns wissen ja über ihr iPhone besser Bescheid als über die Funktion ihres Gehirns. Dabei fragen Manager doch immer nach Tools. Sich selbst besser zu kennen, ist von allen wahrscheinlich das beste Tool.
Dieser Artikel ist zuerst auf Zeit Online erschienen.