Die Methode Führen mit Auftrag ist seit mehr als 140 Jahren wesentlicher Bestandteil der Führungsphilosophie deutscher Streitkräfte. Um 1870 etablierte sich die sogenannte Auftragstaktik in der preußischen Armee. Neue Waffentechnologien zwangen die Streitkräfte damals zu anderen, neuen Formationen. Mit dem Einsatz des Hinterladergewehrs – Soldaten konnten damit schneller schießen – mussten sich die Einheiten aufteilen und konnten nicht mehr in den gewohnten geschlossenen Formationen antreten. Weil die kleineren zerstreuten Truppen im Gefecht nun ohne konkrete Befehle von ganz oben auskommen mussten, wanderten Verantwortung und Entscheidungsbefugnis in der Hierarchie weiter nach unten.
Was Manager von Offizieren lernen können
Geben Sie nur die großen Leitlinien vor und Aufgaben an andere ab. Getreu dem Prinzip Führen mit Auftrag.
Unterteilen Sie den Weg bis zu einer Entscheidung in deutliche Arbeitsschritte. Diese Struktur gibt Ihnen gerade in Drucksituationen die nötige Sicherheit.
Lassen Sie sich umfassend informieren und beraten, aber nicht reinquatschen. Die Entscheidung treffen müssen Sie oftmals allein – vor allem, wenn es schnell gehen muss oder ein Zielkonflikt besteht.
Verantwortung ist unteilbar. Treffen Sie also nur Entscheidungen, die Sie verantworten können, und stehen Sie anschließend auch dazu.
Haben Sie keine Angst vor hohen Titeln – ob General oder Vorstand.
Seit dieser Zeit bekommen die Verantwortlichen von ihren Vorgesetzten lediglich Aufträge, die ihnen zwar ein klares Ziel vorgeben. Wie dieses erreicht wird, müssen die Soldaten eine Hierarchieebene tiefer aber selbst entscheiden. Der Grund: Sie können die Lage vor Ort und überraschende Wendungen besser einschätzen und in konkretes Handeln ummünzen als ihre Chefs in der Kommandozentrale.
Je weiter hinten der Soldat in der Befehlskette steht, umso enger wird sein Handlungsspielraum, bis aus einem vorgegeben Ziel ein konkreter Befehl werden kann – vom allgemeinem „Sichern Sie den Deich!“ bis zum alternativlosen „Sandsäcke auf die Grasnarbe stapeln!“.
Mit dem Auftrag beginnt der sogenannte Führungsvorgang. Zunächst muss der Empfänger das Ziel des Auftrags und die Rahmenbedingungen erkennen, die der Vorgesetzte festlegt. Gibt es eine zeitliche Begrenzung? Wie viel Personal steht mir zur Verfügung? Anschließend entwickeln die Soldaten ein sogenanntes Lagebild. Wie sind wir aufgestellt? Welche Möglichkeiten hat der Feind? Welche äußeren Faktoren beeinflussen die Situation?
Aus den Antworten werden Handlungsoptionen entwickelt, gegeneinander abgewogen und der Entschluss gefasst, aus dem sich Auftrag oder Befehl für die nächste Ebene ergibt.
Das Leitbild der Inneren Führung
Diese klar vorgegebene Struktur wird immer wieder eingeübt – in Seminaren an der Führungsakademie und den Offiziersschulen oder auch in der täglichen Arbeit in Kasernen oder im Auslandseinsatz. Das gibt den Soldaten sowohl Handlungssicherheit als auch die nötige Flexibilität, um selbst in absoluten Notfällen strukturiert vorzugehen und nicht in Panik zu verfallen.
Führungsstile nach der Typologie von Hay Group
Der Vorgesetzte gibt Anweisungen und erwartet, dass der Mitarbeiter sie kommentarlos und uneingeschränkt befolgt.
Der Vorgesetzte entwickelt den Mitarbeiter langfristig und zeigt ihm Perspektiven auf
Der Vorgesetzte legt viel Wert auf ein harmonisches Miteinander.
Der Vorgesetzte legt Wert auf das gemeinsame Entwickeln von Ideen
Der Vorgesetzte erwartet Aufgabenerfüllung auf höchstem Niveau
Der Vorgesetzte legt Wert auf die berufliche Entwicklung der Angestellten
Erstmals offiziell festgeschrieben wurde die Auftragstaktik 1888 im Exerzier-Reglement der Preußischen Infanterie. Die Reichswehr hat 1919 das Konzept Führen mit Auftrag übernommen.
Nach den verheerenden Taten der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg wurde die Führungsphilosophie der deutschen Streitkräfte in den Fünfzigerjahren überarbeitet und das Leitbild der Inneren Führung konzipiert. Damit sollen die Streitkräfte an die Prinzipien des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats gebunden werden. Das heißt beispielsweise, Aufträge müssen ethisch, rechtlich und politisch legitimiert sein. Das Führungsprinzip Führen mit Auftrag hat die beiden Weltkriege überlebt und ist bis heute wesentlicher Teil des Selbstverständnisses deutscher Offiziere.
Als Gegenentwurf gilt die Befehlstaktik der amerikanischen Armee. Sie legt nicht nur das Ziel fest, sondern gibt auch detailliert den Weg vor, wie die Aufgabe zu erfüllen ist. „Amerika war die Heimat des Taylorismus“, sagt der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld, „eines Leistungssystems, das jede Bewegung des Arbeiters vorauszusehen und zu diktieren versuchte, mit dem Ziel, aus ihm eine menschliche Maschine zu machen.“
Bei der Auftragstaktik der Bundeswehr ist es genau umgekehrt. „Wer diese nutzt“, schreibt Stefan Knoll, Vizepräsident des Reservistenverbands und Gründer DFV Deutschen Familienversicherung in seinem Buch „Preußen – Ein Beispiel für Führung und Verantwortung“, „muss Vertrauen in seine Untergebenen mitbringen und auf die Qualität der nachgeordneten Führungskräfte achten.“