Mitarbeiterführung Warum Jahresendgespräche überflüssig sind

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Gute Beispiele aus der Praxis

„Man kann erwachsene Führungskräfte und Mitarbeiter nicht formal und »auf Kommando« dazu zwingen, ein vertrauensvolles Gespräch zu führen. Wenn Menschen extrinsisch verpflichtet werden, etwas zu tun, was sie intrinsisch nicht wollen, tun sie tendenziell das Gegenteil von dem, was erwartet wird“, schreibt Trost in seinem Buch. Außerdem wisse der Mitarbeiter oft nicht, was mit dem Besprochenen geschieht: Ist es eine vertrauliche Unterhaltung mit dem Chef, gehen die Ergebnisse in die Personalakte? Er sagt: „Ich kann mit einem Mitarbeiter vertrauensvoll über alles reden, aber sobald da ein Formular auf dem Tisch liegt, das an die Personalabteilung geht, ist es mit der Vertraulichkeit vorbei. Dann wird aus mir ein Richter.“

Das alte Modell hinterfragen

Aber wie geht es denn nun richtig? „In der Praxis kann man einen Trend hin zu agileren Ansätzen beobachten, bei denen Teams, Eigenverantwortung und Offenheit dominieren“, heißt es in Trosts Buch. Nur muss man dafür eben erst einmal erkennen, dass der alte Ansatz nicht mehr taugt.
Bei Accenture hat sich das Geschäftsmodell binnen zehn Jahren sehr stark verändert, wie Fuchs von erzählt. Vom zunächst eher monolithischen Modell der klassischen Unternehmensberatung hin zu fünf verschiedenen Modellen von der Strategieberatung bis zum Outsourcing. Hinzu komme, dass die Mehrheit der Mitarbeiter in Asien sitze und 70 Prozent der Mitarbeiter sogenannte Millennials seien. „Da mussten wir uns fragen, ob unsere bisherige Leistungsbeurteilung noch angemessen ist“, so Fuchs. Mittlerweile gebe es im Unternehmen ein Recognition & Awards System, bei dem sich Mitarbeiter durch gute Leistungen und positive Bewertungen von Kunden und Kollegen Prämien verdienen können. Das hält Trost – zumindest in einer modernen Unternehmenskultur – auch für durchaus sinnvoll. In seinem Buch heißt es: „In einer agilen Welt sind Mitarbeiter nur dann A-Player, wenn ihre Kollegen und Kunden das auch so sehen.“ Was nützt es, wenn der Chef die tollste Meinung von seinem Angestellten hat, der aber mit keinem Kunden klar kommt und von allen Kollegen gehasst wird?

Gutscheine für hilfsbereite Flugbegleiter, Punkte für nette Kollegen

Aber nicht nur Accenture hat sich überlegt, wie sich Leistung und Verhalten besser beurteilen und belohnen lassen. Bei einem Frankfurter Computerspielehersteller verfüge jeder Mitarbeiter über zehn Anerkennungspunkte, die er pro Jahr an Kollegen verteilen darf. Abhängig von der Zahl der Punkte, die jeder am Ende des Jahres von seinen Kollegen bekommen hat, verteile das Unternehmen Boni. Und bei einer amerikanischen Fluglinie können Vielflieger besonders freundliche Stewards und Stewardessen mit Gutscheinen beschenken, führt Trost auf.

Über solche Ansätze – stetes Feedback der Kollegen und Kunden statt Fallbeil-Aburteilung durch den Chef im Dezember – sollten auch andere Unternehmen zumindest einmal nachdenken. Denn verschiedene Studien und wissenschaftliche Arbeiten zum Thema zeigen, dass selbst die Top-Mitarbeiter nach den Jahresendgesprächen eher demotiviert und frustriert sind. Wahlweise, weil sie zwar jedes Jahr aufs Neue ihr Herz ausschütten und der Vorgesetzte zwar nickt, aber nichts ändert, oder weil ständig neue Rekorde von ihnen verlangt werden beziehungsweise erreichte Leistungen nicht genügend gewürdigt werden.

Eine Untersuchung der Personalberatung Rochus Mummert zeigt darüber hinaus, dass 35 Prozent der Arbeitnehmer davon ausgehen, dass sich die von ihnen geäußerte Kritik negativ auf Gehaltserhöhungen und Beförderungen auswirken würde. Und ein Großteil gab an, dass es überhaupt nichts an ihrem Arbeitsablauf ändern würde, wenn es keine Zielvereinbarungen mehr gäbe.

Diesem doch sehr geringen Effekt gegenüber stehen laut Berechnungen des amerikanischen HR-Beratungsunternehmens CEB rund 200 Arbeitsstunden allein für die Vor- und Nachbereitung der Gespräche – und zwar pro Jahr und Manager. Hinzu kommt noch das jeweilige Gespräch an sich.

Man muss sich das Jahresendgespräch ja nicht völlig schenken, wenn es zur liebgewonnen Unternehmenstradition geworden ist. Aber man muss sich zumindest fragen, ob es für den jeweiligen Mitarbeiter sinnvoll ist, wie Trost sagt: „Es gibt sehr standarisierte Jobs wie das Housekeeping im Hotel oder der Kassierer im Supermarkt, da haben Zielvereinbarungen keinen Sinn. Der Kassierer soll kassieren, da gibt es kaum etwas zu vereinbaren.“ Auch bei Wissenschaftlern und Forschern, deren Arbeit mit einer großen Ergebnisunsicherheit einhergehe, seien Zielvereinbarungen unmöglich. Was sollen die Leute denn auch sagen? "Nächstes Jahr finde ich aber sicher das Mittel gegen Krebs"?

„Und dann gibt es Jobs, wo man fragen kann: Was wollen wir feiern, wenn wir uns in zwölf Monaten wieder zusammensetzen? Welche Ziele wollen wir erreicht haben?“ Genau so sollte man die Frage dann aber auch stellen.

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