Mitarbeiterführung Warum Jahresendgespräche überflüssig sind

In vielen Unternehmen stehen gerade die Mitarbeitergespräche an. Was als das Motivationsinstrument schlechthin gilt, ist aber oft nur ein Aufzählen von Fehlern. Das ist unzeitgemäß – und sehr schlecht für die Motivation.

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Mitarbeitergespräche sind unbeliebt. Quelle: Getty Images

Das Jahresendgespräch vor den Feiertagen sorgt immer wieder für Frust. Die Kritik: Der Chef veranstaltet entweder nur einen rituellen Kaffeeklatsch. Oder er rechnet den Mitarbeitern vor, was sie alles falsch gemacht haben, beziehungsweise noch besser machen müssen. In dem Fall hält der Vorgesetzte einen Vortrag, der Mitarbeiter muss sich verteidigen.

„Das Gespräch dreht sich oft nur um die Arbeit des Mitarbeiters in der Vergangenheit, um die 'Note' für die erbrachte Leistung. Denn das entscheidet darüber, ob er eine Gehaltserhöhung oder eine Prämie erhält“, sagt Doris Mailänder, Geschäftsführerin der Hamburger Personalberatung TreuenFels. Sie sagt: Bei einem Jahresendgespräch wird – so es überhaupt stattfindet – mehr aufgerechnet, als wirklich miteinander geredet.

Was Mitarbeiter im Gespräch mit ihrem Vorgesetzten in jedem Fall beachten sollten


Trotzdem gilt das im Dezember stattfindende Bilanz ziehen bei vielen Unternehmen als das Mitarbeiterführungsinstrument schlechthin. Hier kann der Vorgesetzte Transparenz schaffen, sich erklären und mit dem Angestellten Ziele für das kommende Jahr vereinbaren. Der Mitarbeiter kann seinem Herzen Luft machen und auch einmal sagen, was ihn bewegt. Soweit die Theorie.

Weil es in der Realität aber eben oft so ganz anders aussieht, haben sich große Unternehmen wie Adobe, Google oder Microsoft von diesem Instrument verabschiedet. Der CEO von Accenture, Pierre Nanterme, begründete den Schritt in einem vielbeachteten Artikel in der Washington Post damit, dass es in einer modernen Unternehmenskultur nicht mehr darum geht, zu messen, zu benoten und zu evaluieren. Wer gleich die richtigen Leute einstellt, müsse diese nicht kontrollieren. Er müsse in einen partnerschaftlichen Dialog mit ihm treten. Und dafür ist das Mitarbeitergespräch nicht der richtige Weg.

Häufige Fehler von Vorgesetzten (aus "Mitarbeitergespräche" von W. Mentzel, S. Grotzfeld und C. Haub)

„Wenn man jemanden einstellt, dann, weil er gut ist“, sagt sein Kollege Rouven Fuchs, Geschäftsführer bei Accenture Strategy im Bereich Talent & Organization. Da brauche es keinen Richter, der einmal im Jahr sein Urteil fällt. Außerdem: „Wenn man einem Mitarbeiter sagt, dass er verglichen mit seiner Peergroup nur durchschnittliche Arbeit leistet, ist das keine besonders gute Motivation. Man sollte sich stattdessen eher fragen, warum das so ist.“

Vielleicht baue der Mitarbeiter gerade ein Haus und sei mit dem Kopf überwiegend auf seiner Baustelle, unpünktlichen Lieferungen und den steigenden Ausgaben. Vielleicht habe er auch gerade erst ein Kind bekommen und mache nachts kein Auge zu. Oder er harmoniere nicht mit dem Kunden oder werde fachfremd eingesetzt, wie Fuchs auflistet. Statt im Dezember zu sagen „Sie sind ein Minderleister“, sollte der Vorgesetzte deshalb lieber schon im Juni sagen, dass ihm ein Leistungsabfall aufgefallen ist und die Hintergründe erfragen.
„Im besten Fall stehen Manager und Projektleiter im ständigen Austausch mit ihrem Team, im schlechtesten Fall finden aber nur ein oder zweimal im Jahr Gespräche statt. Das ist dann immer die Retrospektive: Was hast du gemacht? Was hast du gut gemacht? Woran musst Du noch arbeiten? Und dann wird aufgezählt, was man im nächsten halben Jahr noch von dem Mitarbeiter erwartet“, so Fuchs. Dabei gehe es überwiegend um die Schwächen des Mitarbeiters, den man ja eigentlich wegen seiner Stärken eingestellt hat.

Geht es um Leistung oder Leister?

Armin Trost, Professor an der Business School der Universität Furtwangen und Autor des kürzlich erschienenen Buches "Unter den Erwartungen – Warum das jährliche Mitarbeitergespräch in modernen Arbeitswelten versagt" unterscheidet grundsätzlich zwischen Leistung und Leister. „Beim Mitarbeitergespräch rede ich über den Leister. Wenn dagegen die Leistung einbricht, muss man das sofort sagen. Ich kann nicht im Januar kritisieren, dass der Mitarbeiter vor einem Dreivierteljahr bei einer Präsentation zu viele Folien verwendet hat“, sagt Trost.
Und Fuchs ergänzt: „Wer bei einem Projekt einen Fehler gemacht hat und ein halbes Jahr später im Mitarbeitergespräch dafür kritisiert wird, kann nichts mehr verbessern. Und vermutlich sagt der Mitarbeiter dann auch: ‚Das hätte man mir auch vor einem halben Jahr sagen können.‘“

Kritik greift an, Feedback motiviert

Es kommt auf den Unterschied zwischen Feedback und Kritik an. Kritik konzentriert sich auf Fehler und wertet ab - und das unabhängig davon, wie nett sie formuliert ist: „Sie haben das falsch gemacht“, „Das hätten Sie besser machen können“, „Sie sollten das im nächsten Jahr besser machen“ – alle drei Formulierungen enthalten den gleichen Vorwurf: „Das war schlecht.“ Selbst in "Ich glaube, das können Sie besser" schwingt das mit. Wer empfindlich ist, hört vielleicht sogar ein „Sie sind schlecht“ heraus. Eines bewirkt Kritik auf jeden Fall nicht: Sie motiviert nicht.

Anders als Feedback, bei dem es darum geht, Lösungen zu finden. Zum Beispiel: „Wir wollen im kommenden Jahr folgendes Ziel erreichen, was halten Sie davon, es auf diesem und jenem Weg zu versuchen?“. Um das richtig zu vermitteln, gehört auch die klassische Gesprächsführung auf den Prüfstand. Trost listet in seinem Buch klassische Tipps für das Mitarbeitergespräch aus der gängigen Coaching-Literatur auf:

Mitarbeitergespräche: Zehn Tipps für Arbeitgeber

Er fragt: Würden Sie ein Gespräch mit Ihrem Partner oder einem Freund auch so führen? Stellen Sie es sich nur einmal kurz vor: "Schatz, wie geht es dir heute? Nimm doch bitte Platz, ich möchte nun mit dir darüber sprechen, wohin wir im kommenden Jahr in den Urlaub fahren. Zuerst werde ich kurz erläutern, wie ich unseren diesjährigen Strandurlaub im Vergleich zu der Rucksacktour im letzten Jahr empfunden habe. Anschließend werde ich dir die von mir präferierten Reiseziele vorstellen und dich um deine Meinung bitten."

Das ist schon völlig absurd, auch ohne darauf zu achten, in welchem Winkel man zueinander am Tisch sitzt. Von einem Gespräch auf Augenhöhe kann hier keine Rede sein. Der Ranghöhere schickt seinem Untergebenen vorab den Gesprächsleitfaden, damit der sich eine Argumentation zurecht legen kann, die seines Vorgesetzten würdig ist. Doch ein Gespräch nach dem Schema "Ich fand unseren Strandurlaub zwar sehr entspannend, aber bei der Rucksacktour durch Thailand habe ich mehr erlebt. Meinst du, wir finden dieses Jahr etwas, wo sich baden und Abenteuer verknüpfen lassen?" scheinen im Unternehmensalltag nicht vorgesehen.

Die gängigen Tipps für Angestellte, die sich auf ein Jahresendgespräch vorbereiten wollen, lesen sich im Übrigen auch nicht besser. Allerdings bekommt man hier den Eindruck, der Mitarbeiter müsse sich selbst vor Gericht verteidigen.

Mitarbeitergespräche: Zehn Tipps für Arbeitnehmer

Ein weiteres Problem der Mitarbeitergespräche ist laut Trost, dass sie viel zu überladen seien. In seinem Buch schreibt er, dass das jährliche Mitarbeitergespräch unter anderem dazu diene, Zielvereinbarung, Leistungsbeurteilung, Kompetenzeinschätzung, Potenzialbeurteilung, Vertrauensbindung, Entwicklungsplanung und die Einschätzung des Fluktuationsrisikos unter einen Hut zu bekommen. Wenn der Personaler also sagt: „Es ist wieder einmal Zeit, dem Müller zu sagen, was er für eine Pfeife ist, was er nächstes Jahr alles besser machen muss, welchen Sprachkurs er belegen kann und vergessen Sie nicht, sein Vertrauen zu gewinnen“, wird dabei vermutlich nicht viel herauskommen.

Gute Beispiele aus der Praxis

„Man kann erwachsene Führungskräfte und Mitarbeiter nicht formal und »auf Kommando« dazu zwingen, ein vertrauensvolles Gespräch zu führen. Wenn Menschen extrinsisch verpflichtet werden, etwas zu tun, was sie intrinsisch nicht wollen, tun sie tendenziell das Gegenteil von dem, was erwartet wird“, schreibt Trost in seinem Buch. Außerdem wisse der Mitarbeiter oft nicht, was mit dem Besprochenen geschieht: Ist es eine vertrauliche Unterhaltung mit dem Chef, gehen die Ergebnisse in die Personalakte? Er sagt: „Ich kann mit einem Mitarbeiter vertrauensvoll über alles reden, aber sobald da ein Formular auf dem Tisch liegt, das an die Personalabteilung geht, ist es mit der Vertraulichkeit vorbei. Dann wird aus mir ein Richter.“

Das alte Modell hinterfragen

Aber wie geht es denn nun richtig? „In der Praxis kann man einen Trend hin zu agileren Ansätzen beobachten, bei denen Teams, Eigenverantwortung und Offenheit dominieren“, heißt es in Trosts Buch. Nur muss man dafür eben erst einmal erkennen, dass der alte Ansatz nicht mehr taugt.
Bei Accenture hat sich das Geschäftsmodell binnen zehn Jahren sehr stark verändert, wie Fuchs von erzählt. Vom zunächst eher monolithischen Modell der klassischen Unternehmensberatung hin zu fünf verschiedenen Modellen von der Strategieberatung bis zum Outsourcing. Hinzu komme, dass die Mehrheit der Mitarbeiter in Asien sitze und 70 Prozent der Mitarbeiter sogenannte Millennials seien. „Da mussten wir uns fragen, ob unsere bisherige Leistungsbeurteilung noch angemessen ist“, so Fuchs. Mittlerweile gebe es im Unternehmen ein Recognition & Awards System, bei dem sich Mitarbeiter durch gute Leistungen und positive Bewertungen von Kunden und Kollegen Prämien verdienen können. Das hält Trost – zumindest in einer modernen Unternehmenskultur – auch für durchaus sinnvoll. In seinem Buch heißt es: „In einer agilen Welt sind Mitarbeiter nur dann A-Player, wenn ihre Kollegen und Kunden das auch so sehen.“ Was nützt es, wenn der Chef die tollste Meinung von seinem Angestellten hat, der aber mit keinem Kunden klar kommt und von allen Kollegen gehasst wird?

Gutscheine für hilfsbereite Flugbegleiter, Punkte für nette Kollegen

Aber nicht nur Accenture hat sich überlegt, wie sich Leistung und Verhalten besser beurteilen und belohnen lassen. Bei einem Frankfurter Computerspielehersteller verfüge jeder Mitarbeiter über zehn Anerkennungspunkte, die er pro Jahr an Kollegen verteilen darf. Abhängig von der Zahl der Punkte, die jeder am Ende des Jahres von seinen Kollegen bekommen hat, verteile das Unternehmen Boni. Und bei einer amerikanischen Fluglinie können Vielflieger besonders freundliche Stewards und Stewardessen mit Gutscheinen beschenken, führt Trost auf.

Über solche Ansätze – stetes Feedback der Kollegen und Kunden statt Fallbeil-Aburteilung durch den Chef im Dezember – sollten auch andere Unternehmen zumindest einmal nachdenken. Denn verschiedene Studien und wissenschaftliche Arbeiten zum Thema zeigen, dass selbst die Top-Mitarbeiter nach den Jahresendgesprächen eher demotiviert und frustriert sind. Wahlweise, weil sie zwar jedes Jahr aufs Neue ihr Herz ausschütten und der Vorgesetzte zwar nickt, aber nichts ändert, oder weil ständig neue Rekorde von ihnen verlangt werden beziehungsweise erreichte Leistungen nicht genügend gewürdigt werden.

Eine Untersuchung der Personalberatung Rochus Mummert zeigt darüber hinaus, dass 35 Prozent der Arbeitnehmer davon ausgehen, dass sich die von ihnen geäußerte Kritik negativ auf Gehaltserhöhungen und Beförderungen auswirken würde. Und ein Großteil gab an, dass es überhaupt nichts an ihrem Arbeitsablauf ändern würde, wenn es keine Zielvereinbarungen mehr gäbe.

Diesem doch sehr geringen Effekt gegenüber stehen laut Berechnungen des amerikanischen HR-Beratungsunternehmens CEB rund 200 Arbeitsstunden allein für die Vor- und Nachbereitung der Gespräche – und zwar pro Jahr und Manager. Hinzu kommt noch das jeweilige Gespräch an sich.

Man muss sich das Jahresendgespräch ja nicht völlig schenken, wenn es zur liebgewonnen Unternehmenstradition geworden ist. Aber man muss sich zumindest fragen, ob es für den jeweiligen Mitarbeiter sinnvoll ist, wie Trost sagt: „Es gibt sehr standarisierte Jobs wie das Housekeeping im Hotel oder der Kassierer im Supermarkt, da haben Zielvereinbarungen keinen Sinn. Der Kassierer soll kassieren, da gibt es kaum etwas zu vereinbaren.“ Auch bei Wissenschaftlern und Forschern, deren Arbeit mit einer großen Ergebnisunsicherheit einhergehe, seien Zielvereinbarungen unmöglich. Was sollen die Leute denn auch sagen? "Nächstes Jahr finde ich aber sicher das Mittel gegen Krebs"?

„Und dann gibt es Jobs, wo man fragen kann: Was wollen wir feiern, wenn wir uns in zwölf Monaten wieder zusammensetzen? Welche Ziele wollen wir erreicht haben?“ Genau so sollte man die Frage dann aber auch stellen.

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