Die Diskussionen um Sinn oder Unsinn der Zielvorgaben für die deutschen Sportler bei den Olympischen Spielen wird viele Menschen an ihren Berufsalltag erinnert haben. Denn auch in so manchen Unternehmen könnte man sich fragen, welchen Sinn der Rummel um die jährlichen Zielvereinbarungen überhaupt haben soll. Die Vorgaben sind längst Routine: Manager absolvieren ihre Mitarbeitergespräche, man vereinbart Ziele und macht Provisionen von ihrer Erfüllung abhängig – doch der tiefere Zweck der Übung erschließt sich vielen Beteiligten nicht.
Manager begnügen sich häufig schon damit, sich an die „SMART-Regel“ gehalten zu haben: Ziele müssen demnach spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und zeitlich terminiert sein. Damit ist für manche Vorgesetzte schon der Hauptteil ihrer Führungsaufgabe abgehakt – hat man ihnen doch in Trainings eingetrichtert, dass Zielvereinbarungen im Grunde automatisch zu einer höheren Mitarbeitermotivation führten und ein Garant dafür seien, dass „der Laden läuft“.
Tatsächlich geht eine solche Praxis gehörig am eigentlichen Sinn von Zielvereinbarungen vorbei. Im Idealfall leisten sie nämlich mehr: Sie sind das dringend erforderliche „Missing Link“ zwischen den generellen Unternehmenszielen und der durch ganz andere Faktoren bestimmten persönlichen Agenda des einzelnen Mitarbeiters. Zielvereinbarungen enthalten die Chance, in konkreten, anschaulichen Schritten zu planen, wie lang- und mittelfristige Ziele der Gesamtorganisation konkret umgesetzt werden können.
Natürlich hakt es in der Praxis oft schon an diesem Punkt: Die übergeordneten Unternehmensziele sind nämlich keinesfalls in jedem Unternehmen definiert. Auch werden sie nicht unbedingt in aller Klarheit an die Führungskräfte weitergegeben. In den seltensten Fällen besteht außerdem die Vorgabe, dass gemeinsam überlegt werden muss, wie die Unternehmensziele auf die Aufgabenbereiche der Mitarbeiter heruntergebrochen werden können. Meistens stehen nur leere Zahlengerüste im Raum, mit denen man wenig anfangen kann. Der „Stille-Post-Effekt“ tut dann sein Übriges: Bis die Botschaft bei den Führungskräften der dritten oder vierten Ebene angekommen ist, gleicht sie der ursprünglich vermittelten Zielvorgabe des Vorstands nur noch in groben Zügen.
Die strategische Ausrichtung prüfen
Nicht selten werden an dieser Stelle dann Bottom-up-Prozesse initiiert – mit anderen Worten: Die Mitarbeiter wünschen und die Führungskräfte übernehmen Ziele, die viel mit persönlicher Karriere- und Lebensplanung, aber wenig bis gar nichts mit den übergeordneten Unternehmenszielen zu tun haben. Das erklärt, warum ganze Organisationen ihre ehrgeizigen Zahlenziele nicht erreichen - und sich noch darüber wundern.
Unternehmen müssen daher immer wieder den Stand ihrer strategischen Ausrichtung prüfen:
1.) Existiert eine definierte Strategie mit klaren qualitativen und quantitativen Unternehmenszielen?
2.) Wenn ja, sind Strategie und Ziele für die Anforderungen der nächsten Jahre noch gültig?
3.) Sind die gültige Strategie und die übergreifenden Ziele im Unternehmen bekannt?
4.) Besteht ein Grundverständnis dafür, dass die Unternehmensziele in Einklang mit den Mitarbeiterzielen gebracht werden müssen?
Man sieht an dieser Auflistung, dass die Verantwortung für sinnvolle Zielvereinbarungen zunächst bei der Unternehmensführung liegt. Diese muss eine klare Strategie kommunizieren und verfolgen. Zudem muss sie einen Rahmen dafür schaffen, die Strategie im Alltag konkret umzusetzen. Führungskräfte aller Ebenen müssen wirklich in die Umsetzung einbezogen werden - sie müssen eine Art kreative Übersetzungsleistung erbringen, die aber enorme Wirkung zeigen kann. Mitarbeiter mit abgestimmten Zielen arbeiten in dieselbe Richtung, sie fokussieren ihre Anstrengungen, und ihre Leistungen und Erfolge sind am Ende einer Arbeitsperiode klar benennbar.
Und sollte es einem Unternehmen dann trotz allem noch ergehen wie der deutschen Olympiamannschaft, sollten also die gesteckten Ziele nicht erreicht werden, so bieten Zielvereinbarungsgespräche eine Quelle für die systematische Problemanalyse und -behebung. Solche Dialoge mit der Basis sind dringend notwendig, denn sie fließen zuletzt wieder als Rückmeldungen in den Prozess der Strategieentwicklung mit ein. Wenn Unternehmen es auf diese Weise schaffen, Zielvereinbarungen als mächtiges Instrument der Strategieverwirklichung zu nutzen, verschaffen sie sich einen klaren Wettbewerbsvorteil.