Der Unternehmensgründer Helmut Vetter war Apotheker. 1950 gründete er die „Chemisch-Pharmazeutische Laboratorium Ravensburg GmbH“. Acht Jahre später folgte die Vetter Apotheke am Marienplatz. Letztere existiert noch heute. Ebenfalls 1958 entwickelte Vetter ein Mittel gegen Magenschmerzen, das er schon damals in die USA exportierte. „Es gab noch keine Blister, also hat er eine Verpackung erfunden, die dafür sorgte, dass die Kapseln trocken blieben“, erzählt Vetter.
„Was mein Vater damals gemacht hat, war eine technische Innovation.“ Und die brachte ihn letztlich auf den Gedanken, sich aus der Medikamentenherstellung zurückzuziehen und sich vollständig auf die industrielle Verpackung der Medikamente zu konzentrieren.
„Wir haben den Patientenfokus aus der einstigen Apotheke in unser heutiges Unternehmen überführt. Wir beliefern zwar die Patienten nicht mehr direkt, aber fragen uns nach wie vor, was sie brauchen. Eine Spritze, die sich ein Patient selber geben muss, muss anders aussehen, als eine, die ein Arzt verabreicht“, sagt Vetter.
Die gängigsten Thesen zum Fachkräftemangel - und ihr Wahrheitsgehalt
Das stimmt zwar für einige Berufsgruppen, ist aber auch regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die aktuellste Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit etwa sieht keinen flächendeckenden Fachkräftemangel - wohl aber Engpässe in einigen technischen Berufen sowie in Gesundheits- und Pflegeberufen. Mit durchschnittlich 162 Tagen am längsten bleiben demnach Stellen in der Altenpflege unbesetzt, gefolgt von Jobs im Bereich Heizung, Sanitär, Klimatechnik und Klempnerei (150 Tage) sowie Softwareentwicklung und IT-Beratung (143 Tage).
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wiederum kommt in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass die Firmen derzeit etwa die Hälfte aller Stellen in Engpassberufen ausschreiben und somit Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung vielerorts bereits die Regel und nicht die Ausnahme seien. Im Süden sei die Lage dabei angespannter als im Norden, aber auch in Ostdeutschland spitze sich die Situation teils zu. Auch Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) sagt: In einigen ostdeutschen Boom-Regionen steige der Arbeitskräftebedarf bei gleichzeitig fehlendem Zuzug entsprechender Fachkräfte.
Das lässt sich nicht ohne weiteres genau prognostizieren. Vorhersagen aus der Wirtschaft zur künftigen Fachkräftelücke stoßen deshalb regelmäßig auf Kritik - auch weil dahinter das Interesse vermutet wird, möglichst viele junge Leute für technische Berufe zu rekrutieren und so die Bezahlung zu drücken. Fest steht nur: Zwar schmälern die Alterung der Gesellschaft und der Trend zum Studium die Zahl potenzieller Bewerber in bestimmten Berufen. Aber die Digitalisierung könnte diese Entwicklung abfedern. Noch lässt sich allerdings nicht genau absehen, in welcher Geschwindigkeit der zunehmende Einsatz von Sensorik, Maschinen und Robotern menschliche Arbeitskräfte einmal ersetzen wird. Auch wie sich Zuwanderung und die Aufnahme von Flüchtlingen mittel- bis langfristig auf das Fachkräftepotenzial auswirken, bleibt abzuwarten.
Darüber klagen Wirtschaftsvertreter immer wieder. Zu häufig hapere es nicht nur an ausreichenden Mathematik- und Deutschkenntnissen, sondern auch an sozialen Kompetenzen, sagte erst kürzlich der Hauptgeschäftsführer der bayerischen Metall-Arbeitgeberverbände, Bertram Brossardt. In einer kürzlich veröffentlichten Branchenumfrage in Bayern hatte fast die Hälfte der Unternehmen, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen konnten, eine fehlende Eignung der Bewerber als Ursache angegeben. Doch Ausbildungs- und Arbeitsmarktexperten halten dagegen: Angesichts schrumpfender Bewerberzahlen sollten die Firmen auch sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Leuten mit schwächeren Schulabschlüssen Chancen bieten.
Vor allem die Gewerkschaften werfen Arbeitgebern in Berufen mit Nachwuchssorgen vor, zu wenig für die Ausbildungsqualität zu tun. Überstunden, fehlende Ausbildungspläne oder hoher Druck - solche Mängel machten manche Berufe für junge Leute eben unattraktiv, argumentiert etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund. In seinem jährlichen Ausbildungsreport kommen etwa immer wieder Ausbildungsgänge im Hotel- und Gaststättengewerbe vergleichsweise schlecht weg. Genau in solchen Berufen gebe es besonders viele unbesetzte Ausbildungsplätze, sagt DGB-Bundesjugendsekretär Florian Haggenmiller. Um Abhilfe zu schaffen, haben Wirtschaft und DGB ein spezielles Beschwerde-Management auf den Weg gebracht.
Darauf macht etwa die IW-Studie aufmerksam - und empfiehlt den Arbeitgebern, selbst aktiver und beweglicher zu werden. Neben dem Blick über den regionalen Tellerrand bei der Suche von Fachkräften und Azubis könnten die Betriebe den jungen Leuten vor Ort verstärkt Wohnmöglichkeiten anbieten und auch Arbeitslose zum Umzug bewegen.
Hier besteht dringender Handlungsbedarf, sagt etwa IAB-Experte Weber - und Staat und Betriebe sollten dabei Hand in Hand arbeiten, auch um den digitalen Wandel gut zu bewältigen. „Wir brauchen eine Weiterbildungspolitik.“
Insgesamt, so sagt er, lebe der Geist seines Vaters im Unternehmen weiter. „Als Apotheker Helmut Vetter 1999 gestorben ist, gab es die ganzen Biotechniktrends noch nicht so ausgeprägt wie heute und Vetter war noch deutlich kleiner. Ich denke, er kann stolz sein auf das, was aus seinem Unternehmen geworden ist“, ergänzt Sölkner.
Das Unternehmen wächst weiter: Rechts von Böttgers Wirkungsstätte entstehen vier neue Reinraumlabors. Links der aseptischen Produktion heben Bagger die Grube für ein neues Verwaltungsgebäude aus. Grundsteinlegung war Ende September 2017. „Auch wenn wir ein Familienunternehmen sind: Wir haben einen klaren Fokus auf Wachstum“, sagt Sölkner. „Die höchsten Baukräne in Ravensburg stehen meist auf unseren Baustellen.“ Eine Milliarde Umsatz sei das Ziel.
Keine Angst vor Zukunftstrends
Das soll auch schon zu Zeiten seines Vaters so gewesen sein. „Wir hatten schon 1987 den ersten Reinraumroboter im Einsatz“, sagt Vetter. Die mehr als 200 Ingenieure in Ravensburg arbeiten laut ihm schon seit Jahren mit Robotik und vernetzten Geräten. „Deshalb ist es bei uns nicht so, dass Automatisierung oder Digitalisierung für uns den großen Umbruch bringen.“ Trotz zunehmender Automatisierung wachse die Zahl der Mitarbeiter.
Weltweit beschäftigt Vetter 4500 Mitarbeiter, den Großteil davon in Deutschland. „Und trotz Digitalisierung und Automatisierung brauchen wir auch in Zukunft mehr und nicht weniger Leute, aber tendenziell für andere Tätigkeiten“, sagt Sölkner. Um die wirbt das Unternehmen auf verschiedenen Kanälen, vom Headhunter über Plakate in der örtlichen Volksbank oder Karriere bis zur klassischen Stellenanzeige. „Klar, die Menschen und das Know-how, das wir brauchen, finden wir nicht nur auf dem Ravensburger Marktplatz. Auch wir spüren die Auswirkungen des Fachkräftemangels. Trotzdem haben wir allein im letzten Jahr 400 neue Mitarbeiter eingestellt.“