Mittleres Management Die Sandwich-Position ist noch verhasster als gedacht

Die schwierige Lage des mittleren Managements Quelle: Getty Images

Wer im mittleren Management arbeitet, ist Sündenbock für Vorgesetzte und Hassfigur für Mitarbeiter. Dabei entscheidet sich gerade an dieser Position, wie innovativ und erfolgreich ein Unternehmen ist.

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Dass sie gerade ein besonders emotionales Thema anpacken, müssen Susann Gjerde und Mats Alvesson spätestens gemerkt haben, als es anfing, Scheiße zu regnen. Dabei wollten die beiden Wissenschaftler von der Universität Lund in Schweden bloß wissen, wie Menschen im mittleren Management ihre Rolle sehen. Dazu befragten sie unter anderem 15 Dekane von britischen Hochschulen, die jeweils für 50 bis 100 Mitarbeiter verantwortlich waren – und gleichzeitig eine Universitätsleitung über sich hatten.

Eine typische Antwort, die Gjerde und Alvesson in ihrer kürzlich veröffentlichten Studie im Journal Human Relations zitieren: „Man hält den Schirm hoch, damit die Scheiße von oben nicht jedem auf den Kopf fällt.“ Ein anderer sah seine Arbeit darin, sicherzustellen, dass die Menschen, die in der Hierarchie unter ihm stehen, nicht durchgehend von oben „mit Exkrementen bombardiert werden“. Metaphern wie diese ziehen sich durch viele der Aussagen. Wer sie durchliest, merkt schnell: Ein Leben als Mittelmanager ist zumindest in dieser Stichprobe weitgehend frei von Freude.

Dieses Gefühl scheinen auch deutsche Führungskräfte in der sogenannten Sandwichposition zu kennen, wie eine neue Studie im Auftrag der Jürgen-Meyer-Stiftung zeigt. Für die Organisation, die sich der Förderung des mittleren Managements verschrieben hat, befragte Matthias Fifka 300 Menschen, die in deutschen Unternehmen eben dort arbeiten. „Die Situation ist nach wie vor wenig erfreulich für die Betroffenen“, so die Diagnose des Professors der Universität Erlangen-Nürnberg. Für ihn zählen die Mittelmanager zu den „vernachlässigten Personen“ in der deutschen Wirtschaft.

Die Ursache dafür liegt letztlich in ihrer Verortung im Unternehmen: Während oben in den Vorstandsetagen schöne Strategiepapiere erdacht und unten die eigentlichen Arbeiten gemacht werden, ist die Mitte der Hierarchiepyramide dafür zuständig, die Ideen, die nicht ihre eigenen sind, dem Rest der Belegschaft zu verkaufen und umzusetzen. Umgekehrt landen Mitarbeiter, die mit eben jenen Weichenstellungen unzufrieden sind, als erstes bei ihnen, um Frust abzuladen. Mittelmanager sind von Natur aus gespalten: Für die Führungsriege sind sie ausführende Mitarbeiter, für die Belegschaft sind sie die Chefs. Und sie selbst? Fühlen sich nirgendwo wirklich zuhause.

Auch ihr Image leidet seit vielen Jahren. Als „Lehmschicht“ wurde das mittlere Management vom ehemaligen Siemens-Chef Peter Löscher bezeichnet. Das Bild ist klar: Hier versickern die guten Ideen von oben und die guten Leute von unten werden unter ihrem Druck erstickt. Mancher deutet schon die Bezeichnung bewusst falsch, um seine Abschätzigkeit auszudrücken: Im Mittelmanagement gibt es eben nur Mittelmaß.

Mittelmanager ermöglichen ihren Mitarbeitern kreativeres Arbeiten

Nur: Die Schelte für das mittlere Management basiert nicht auf Fakten. Forscher, die sich den Einfluss der Organisationsmitte genauer anschauen, kommen immer wieder zu dem Ergebnis: Sie entscheidet über Erfolg und Zukunft eines Unternehmens. Ethan Mollick von der Wharton Business School, der schon im Jahr 2012 rund 900 Firmen aus der Computerspielbranche analysierte, stellte fest: Wenn ein Spiel sich besonders gut verkaufte, dann waren die oft übersehenen und gescholtenen Mittelmanager für fast ein Viertel der Umsätze verantwortlich.

In einem aktuellen Forschungspapier schreiben Christoph Grimpe, Martin Murmann und Wolfgang Sofka dem Mittelbau eine ähnlich wichtige Rolle zu. Die Ökonomen konnten nachweisen, dass dies selbst in Start-ups gilt, die meist wenig von Hierachien halten. Dazu untersuchten sie einen Datensatz aus mehr als 2400 deutschen High-Tech-Start-ups, die zwischen 2005 und 2012 gegründet wurden.

Für jene Neugründungen, die mindestens einen Beschäftigten in der Position zwischen Geschäftsführung und Mitarbeiter hatten, war es um rund sieben Prozent wahrscheinlicher, eine Innovation auf den Markt zu bringen. Statt Kreativität zu lähmen, scheint die vermeintliche Lehmschicht sie sogar zu fördern. Die Autoren vermuten, dass die Menschen in der Mitte den Gründern Organisationsarbeit abnehmen und diese sich auf die größeren Ziele konzentrieren können. Außerdem würden sie vorhandenes Wissen im Unternehmen besser verknüpfen und Fehler reduzieren. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Start-ups Mittelmanager anstellen sollten, sobald ihre Finanzen das erlauben“, so das Fazit der Forscher.

Die „Knalltüten“ sind oft der Sündenbock

Matthias Fifka versucht deshalb, den schlechten Ruf aufzupolieren. Wie viele Menschen genau aktuell in dieser Situation arbeiten, sei schwierig zu beantworten, sagt der Ökonom. Seine Schätzung: Für jede Position im Top-Management, also im Vorstand oder direkt darunter, gibt es etwa 20 bis 30 Stellen im Mittelbau. Klar sei dagegen, wie sie sich selbst sehen: „Die Betroffenen denken: Ich bin das Getriebe, das die Entscheidungen von oben auf die Straße bringt“, so Fifka.

Doch damit gehen einige Probleme einher, wie seine aktuelle Erhebung zeigt. So fühlt sich die Hälfte der Befragten vom Top-Management stark unter Druck gesetzt und häufig zum Sündenbock gestempelt. „Die Logik der Vorstände ist oft: Unsere Strategie war hervorragend, aber die Knalltüten im mittleren Management haben es nicht richtig hingekriegt“, sagt Matthias Fifka.

Ebenfalls die Hälfte der Befragten musste bereits Vorgaben an die eigenen Mitarbeiter weiterreichen, die nicht mit den eigenen Wertvorstellungen übereinstimmen. Fifka nennt dazu das Beispiel des Abgasskandals bei Volkswagen: „Wenn der Vorstand sagt, wir ziehen das durch, hat man zwei Optionen: Mitlaufen oder im schlimmsten Fall rausfliegen.“ Auch Entscheidungen, die nicht kriminell sind, können unangenehm umzusetzen und zu kommunizieren sein. Wenn von oben entschieden werde, 500 Leute zu entlassen, gehe eben nicht der Vorstand mit den schlechten Neuigkeiten zu den betroffenen Kollegen.

All diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Menschen im Sandwich besonders unzufrieden sind - und besonders häufig psychisch krank werden. Das konnte zum Beispiel der US-Epidemiologe Seth Prins von der Columbia-Universität in New York 2015 nachweisen. Für eine Studie analysierte er die Gesundheitsdaten von 22.000 Arbeitnehmern. Darin berichten unter den Angestellten ohne Führungsverantwortung zwölf Prozent von Depressionen oder Angstzuständen, unter Unternehmern und Vorständen sind es etwa elf Prozent. Im mittleren Management dagegen fühlten sich immerhin 18 Prozent der Untersuchten depressiv oder ängstlich.

Um besser in der Mittlerrolle klarzukommen, hat Matthias Fifka ein paar Empfehlungen erarbeitet. Unternehmen müssten klar kommunizieren, dass die Mitte für viele bereits das Ziel sein kann. „Wenn alle an die Spitze wollen, bleiben logischerweise ein paar auf der Strecke“, sagt Fifka. Entscheidend sei, dass Arbeitgeber ihnen trotzdem Wertschätzung entgegenbringen. Sei es durch neue Aufgaben in anderen Abteilungen oder im Ausland – oder einfach durch mehr Geld. Nur wenige Mittelmanager würden leistungsorientiert bezahlt, für die wirklich guten Kandidaten mangele es an Anreizen. Und für die Sandwichmanager sei es hilfreich, die Zwitterrolle zwischen Mitarbeiter und Führungskraft als solche zu akzeptieren. „Dadurch wird es leichter“, so Fifka, „die Schizophrenie dieser Position zu ertragen.“

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