Sich selbst als maximal selbstbestimmt darzustellen, liegt im Trend. Dazu gehört auch, den eigenen Status auf eigene, freie Entscheidungen zurückzuführen. „Ich bin kein Produkt meiner Umstände, ich bin ein Produkt meiner Entscheidungen“ ist deshalb ein beliebter Leitsatz. Klar: Wer immer nur die Gründe in den Umständen sucht, gilt leicht als Verlierer. Doch in dem kernigen Satz steckt leider auch eine Portion Bullshit - Teil 3 der Reihe „Motivationsbullshit“.
Urheberschaft
Das Zitat wird in der Regel dem Management-Autor Steven Covey („Die 7 Wege zur Effektivität“) zugeschrieben. Wie üblich kursieren viele leicht abweichende Versionen im Netz. Letztlich ist der unterliegende Gedanke über die Jahrtausende schon vielfach verarbeitet worden, man denke beispielsweise an „Invictus“, ein berühmtes Gedicht von William Ernest Henley („Ich bin der Meister meines Los’. Ich bin der Käpt’n meiner Seel‘“).

Die gute Absicht
Der Satz soll Menschen ermutigen, sich nicht als Opfer ihrer Umstände zu erleben, sondern Optimismus und Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Das ist durchaus hilfreich. In der Psychologie, insbesondere im Leistungssport, unterscheidet man beispielsweise eine sogenannte Lageorientierung von der Handlungsorientierung. Menschen in Lagerorientierung versuchen nach einem Misserfolg tendenziell, die Umstände zu ergründen, gerne auch „die Schuldfrage“ zu klären. Sie schauen dafür allerdings zu wenig auf den eigenen Anteil an der etwaigen Lage. Menschen in einer Handlungsorientierung bemühen sich stattdessen, unabhängig von den Umständen möglichst schnell wieder wünschenswerte Ergebnisse zu erzielen und konzentrieren sich dafür vor allem auf die eigenen Ressourcen.
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Der Irrtum
Der Fehler bei diesem Zitat liegt wie so oft in der extremen Übergeneralisierung. Selbstverständlich sind wir alle – ein gutes Stück weit – das Produkt unserer Umstände: zunächst unserer Gene und unserer Erziehung, aber auch weiterer prägender Faktoren, beispielsweise unserer Kultur oder auch der sozioökonomischen Schicht, welcher wir entstammen. Nur ein Beispiel: Unser Level an allgemeiner Intelligenz, also unserer Fähigkeit, Muster erkennen zu können, logische Schlüssen zu ziehen und so weiter ist sehr stark genetisch determiniert. Wir haben darauf kaum Einfluss und können uns demnach nicht (oder nur in einem sehr begrenzten Umfang) entschließen, intelligenter zu werden – auch wenn das sicherlich wünschenswert wäre. Des Weiteren muss man sogenannte Interaktionseffekte berücksichtigen. Konkret: Welche Entscheidung wir in einer gegebenen Situation treffen, hängt immer auch von unserer genetischen Disposition ab, dies geschieht nicht in einem luftleeren Raum.
Schließlich ist zu berücksichtigen, wir sehr unsere Handlungen in sozialen Kontexten vom Verhalten unserer Mitmenschen geprägt werden. Insbesondere in von Stress geprägten und potenziell gefahrvollen Situationen sind wir dem Herdentier in uns bisweilen näher, als dem kritisch denkenden Philosophen.
Was ist Motivationsbullshit?
Früher musste man noch ein Buch kaufen oder einen Vortrag besuchen, um mit Motivationsbullshit konfrontiert zu werden. Dank Facebook, Twitter und – seit neustem – sogar LinkedIn kriegt man dergleichen als gut vernetzter Mensch vielgestaltig um die Ohren gepfeffert.
Motivationsbullshit fußt zumeist auf irrigen Vorannahmen über die menschliche Natur, ignoriert etablierte psychologische Forschung und gerne auch mal die physikalische Realität als solche. Er schadet deutlich Menschen mehr als er nützt, so wie die Aufschrift „zuckerfrei“ auf Diätprodukten.
In einer Serie erklären wir hier einige der irreführendsten Motivationsleitsprüche.
Die Falle
Wer den Einfluss seiner Gene, und damit angelegter Stärken und Schwächen, seiner Herkunft oder einfach nur den unmittelbaren Kontext ausblendet (beispielsweise die einfache Tatsache, dass es für manche Entscheidungen günstige und weniger günstige Zeitpunkte und Orte gibt), vergeudet notwendigerweise viel Potenzial, um über viele Situationen hinweg richtig und angemessenen zu handeln. Im Extremfall birgt die dem Spruch innewohnende Haltung, wie so oft im Motivationsgenre, die Gefahr des Abdriftens in Allmachtsphantasien, welche notwendigerweise enttäuscht werden müssen.