Neue IW-Studie zu Zirkularität Erfolgreicher wirtschaften mit Kreisläufen

Auch Baustoffe können nach dem Recycling wieder in die Wertschöpfungskette fließen. Quelle: imago images

Die Frage ist unter Ökonomen umstritten: Sind Unternehmen, die Treibhausgase senken, Rohstoffe wiederverwerten und weniger Müll produzieren, erfolgreicher? Das Institut der deutschen Wirtschaft will nun eine Antwort gefunden haben.

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Adriana Neligan macht sich keine Illusionen. Das Thema, zu dem sie in Köln am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) forscht, sei nicht so leicht zu verdauen, sagt sie gleich zu Beginn des Gesprächs. Neligan hat untersucht, ob Unternehmen mit zirkulären Geschäftsmodellen erfolgreicher sind als Unternehmen ohne solche Strategien. Zirkuläre Geschäftsmodelle? Bitte was? Im Kern dreht sich Neligans Forschung um die Kreislaufwirtschaft und wie Firmen diese umsetzen. „Für Unternehmen geht es in der Kreislaufwirtschaft darum, Materialien, Rohstoffe und Energie so lange wie möglich im in einem Wirtschaftssystem zu halten“, sagt Neligan.

Auch wenn es sperrig klingen mag: Das zirkuläre Wirtschaften gewinnt politisch immer mehr Bedeutung. Ein Maßnahmenpaket zur Kreislaufwirtschaft, der „Circular economy action plan“ (CEAP), ist einer der wichtigsten Bausteine des Green Deals der EU-Kommission, der den Kontinent bis 2050 in die Klimaneutralität führen soll. Das Maßnahmenpaket sieht neben Recyclingquoten auch konkrete Änderungen bei Produkten vor. Diese sollen unter anderem langlebiger und reparierbar designt werden, Upgrade-Möglichkeiten bieten und einfacher zu recyclen sein.

Neligan, die seit 2016 zur Kreislaufwirtschaft forscht, spürt in den vergangenen Jahren ein immer stärkeres Interesse der Wirtschaft an dem ehemaligen „Randthema“, wie sie sagt. „Die Firmen wollen wissen, wie genau die zirkulären Strategien denn aussehen und wie sie ihr Geschäftsmodell und ihre Lieferketten umstellen können“, sagt sie. Auch beim Bundesverband der Deutschen Industrie gibt es seit April 2021 eine Initiative, welche die Kreislaufwirtschaft in der Industrie vorantreiben soll.

Eine brisante Erkenntnis, auf die Neligan jetzt in einer neuen Studie, die der WirtschaftsWoche vor Veröffentlichung exklusiv vorlag, gestoßen ist, könnte das Interesse der Wirtschaft noch mal erheblich steigern: Zirkularität macht Unternehmen erfolgreicher. Das ist besonders brisant, da sich die Forschung zur Kreislaufwirtschaft bei produzierenden Firmen bislang vor allem mit Auswirkungen auf die Umwelt, nicht aber mit der wirtschaftlichen Bedeutung von zirkulären Geschäftsmodellen beschäftigte, wie Wissenschaftler der Universität im norwegischen Trondheim in ihrer Auswertung der bestehenden Forschung herausfanden.

Um den Erfolg messbar zu machen, hat Neligan hat mit ihren Kolleginnen und Kollegen mehrere Parameter analysiert: Wie hat sich der Umsatz entwickelt? Wie viele Leute hat das Unternehmen eingestellt? Hat es seine Unternehmensziele erreicht? Außerdem fließen Erwartungen zu den wirtschaftlichen Aussichten und Investitionen mit ein. Im Ergebnis sind Unternehmen, die eine zirkuläre Strategie verfolgen, erfolgreicher als Unternehmen ohne zirkuläre Strategie.

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„Während gut jedes zweite Industrieunternehmen ohne zirkuläre Strategie einen mittleren bis hohen Erfolg verzeichnet“, so bilanziert die Studie, seien es bei den Konzernen mit einer solchen Strategie „mindestens zwei Drittel“. Die Daten basieren auf einer Umfrage unter knapp 500 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes. Neligan geht davon aus, dass viele Firmen, die zirkuläre Strategien nutzen, zwar per se schon erfolgreiche Unternehmen sind. Aber: „Ein Unternehmen nutzt die Strategien in der Regel nur, wenn es sich wirtschaftlich lohnt.“

Für Unternehmen stellt sich also die Frage: Wie sieht ein zirkuläres Geschäftsmodell überhaupt aus? Und welche konkreten Strategien zählen dazu? Denn immerhin verfolgt mehr als ein Drittel der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe noch gar keine zirkuläre Strategie, zeigt die Studie.

Unabhängiger von Rohstoffen

Neligan und ihre Kollegen unterscheiden in der Studie zwischen drei zirkulären Strategien: Kreisläufe schließen (1), Kreiskäufe schaffen (2) und Kreisläufe verlängern (3). In der ersten Strategie geht es darum, Rohstoffe und auch Produkte wiederzuverwerten, etwa durch Reparatur und Wiederaufbereitung von Smartphones.

Rohstoffe aus dem Handy könnten aber auch bei der Produktion neuer Geräte genutzt werden. Unternehmen erschaffen Kreisläufe, wenn sie weniger oder nachwachsende Rohstoffe verwenden – und so weniger Umweltschäden bei der Produktion entstehen. Fällt bei der Produktion ein Abfallprodukt an, das Firmen normalerweise entsorgen würden, könnte ein anderes Unternehmen dieses als Material für eigene Produkte nutzen. Bei der dritten Strategie, dem Verlängern der Kreisläufe, geht es gewissermaßen ums Sharing: So könnten Unternehmen teure Maschinen einfach gemeinsam nutzen.

Mit einem zirkulären Geschäftsmodell verfolgen Unternehmen unterschiedliche übergeordnete Ziele: Allen voran wollen sie die Herstellungskosten senken (88 Prozent) und Abfall vermeiden (81 Prozent). Sie wollen die Umwelt schützen (73 Prozent), neue Märkte und Geschäftsmodelle erschließen (60 Prozent) und ihre Treibhausgasemissionen senken (51 Prozent).

Die drei zirkulären Strategien umfassen noch mal eigenen Ziele. So soll die Strategie „Kreisläufe schließen“ Wiederverwertung und den Verkauf von Nebenprodukten, Rest- und Abfallstoffen erhöhen. Von der zweiten Strategie versprechen sich die Firmen ihre Abhängigkeit von Rohstoffen zu mindern, was in Zeiten gestörter Lieferketten durch Pandemie und Krieg in der Ukraine ohnehin immer wichtiger wird. Die letzte Strategie verspricht Wiederverwendung und eine höhere Produktlebensdauer.

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23,4 Prozent der befragten Unternehmen verfolgen eine der drei Strategien, die meisten davon (12,2 Prozent) die Strategie „Kreisläufe schaffen“. 15,6 Prozent der Firmen nutzen gleich zwei zirkuläre Strategien, mehr als zehn Prozent die beiden Strategien „Kreisläufe schließen und verlängern“. Und fast jedes vierte Unternehmen in der Befragung verfolgt bereits alle drei Ziele. Forscherin Neligan betont jedoch: „Es ist nicht zwangsläufig besser, mehrere zirkuläre Strategien zu verfolgen.“ Das hänge von der Branche, der Unternehmensgröße und dem ursprünglichen Geschäftsmodell ab. „So haben Unternehmen, die sich auf eine zirkuläre Strategie spezialisieren, in den letzten beiden Jahren im Durchschnitt höhere Produkt- und Prozessinnovationen hervorgebracht, zeigt unsere Studie“, konstatiert Neligan.

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