New Work Ihr Recht auf Bildungsurlaub

Kaum jemand nutzt das Recht auf Bildungsurlaub und verpasst damit Chancen. Quelle: imago images

Das Bewusstsein für den Wert von Weiterbildungen ist so groß wie nie. Trotzdem nutzt fast niemand das wichtigste Instrument dafür. Was läuft da falsch?

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Weiterbildung, das betonen Coaches, Personaler und eigentlich auch sonst alle, die irgendetwas mit dem Jobmarkt zu tun haben, ist das Gebot der Stunde. Sonst werde der digitale Wandel uns überrollen, Roboter uns überflüssig machen. Die Arbeitnehmer im Land hören zu und mühen sich: 2022 interessieren sich laut Allensbach Institut ungefähr 35 Millionen Deutsche für Weiterbildungen. Und dennoch: Ausgerechnet das wichtigste Instrument dafür wird kaum genutzt.
Seit 1998 gibt es in Deutschland das Recht auf Bildungsurlaub, einmal im Jahr sollen Arbeitnehmer eine Woche lang genau das tun, was ihnen für die persönliche Weiterentwicklung am nützlichsten erscheint. Dahinter steckt eine sehr moderne Idee: Was für ihre eigene Entwicklung am besten ist, weiß jeder Arbeitnehmer im Zweifel selbst am genauesten.
Elisabeth Schwiertz ist diesen Entwicklungsschritt gegangen. Sie arbeitet bei einem großen Online-Händler für Spielzeug und hat dieses Jahr eine Sprachreise für fünf Tage nach Krakau als Bildungsurlaub gemacht. „Ich wollte mein Polnisch aufbessern und habe diese Möglichkeit genutzt“, sagt Schwiertz. Damit gehört sie zu den Wenigen, die diese Art von Weiterbildung nutzen.

Aktuelle, bundesweite Statistiken gibt es zum Bildungsurlaub nicht. Die neusten Daten stammen aus dem Jahr 2018 aus Niedersachsen: 5730 Anträge auf Bildungsurlaub gingen ein, 5368 wurden genehmigt. Zum Vergleich: 2018 gab es ungefähr 3,75 Millionen Arbeitnehmer in Niedersachsen. Wieso nimmt kaum jemand Bildungsurlaub in Anspruch?

Das fragt sich auch Lara Körber. Sie ist Co-Gründerin bei Bildungsurlauber.de und sieht die Gründe in der Angst: „Viele trauen sich nicht, Bildungsurlaub bei ihren Vorgesetzten anzusprechen, weil sie Angst vor der Reaktion haben.“ Zudem seien Themen wie beispielsweise mentale Gesundheit und Kurse zur Burnout-Prävention stigmatisiert. „Hier ist es wichtig, dass Unternehmen die firmenintern herrschende Arbeitskultur ehrlich betrachten und, wenn nötig, ändern. Dafür sollte man den Angestellten Vertrauen entgegenbringen und proaktiv kommunizieren, dass man die Seminarwahl seiner Beschäftigten unterstützt“, sagt Körber. Vor allem aber wisse kaum jemand genau über das Recht auf Bildungsurlaub sowie die davon umfassten Möglichkeiten und das Prozedere Bescheid. Auch hier ist Aufklärung von Unternehmensseite notwendig.

Knapp jeder Dritte hat das Recht auf Bildungsurlaub

Einen Bildungsurlaub kann jeder nehmen, der festangestellt und mehr als sechs Monate in einem Unternehmen arbeitet. In Deutschland sind das rund 27 Millionen. Bildungsurlaub stellt dabei eine persönliche, fachliche oder gesundheitliche Weiterbildung da und muss keinen direkten Bezug zum Beruf haben. Laut Körber habe Bildungsurlaub nicht nur einen Mehrwert für die einzelne Person, sondern auch für das Unternehmen. Schließlich würden viele Menschen Kurse wählen, die ihrer persönlichen Motivation oder zum Beispiel der Gesundheit dienen. Bedenke man, dass 30 Prozent der Krankschreibungen auf Erkrankungen wie Rückenleiden, Depression oder Burnout zurückgehen, ergeben sich diverse Ansatzpunkte für passende Kurse: „Bei Rückenschmerzen kann ein Yoga-Bildungsurlaub helfen oder ein Kurs zu Resilienz und Stressmanagement kann Burnout vorbeugen.“

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Wie nimmt man Bildungsurlaub?

Als Erstes, so Körber, sollten sich Interessierte entscheiden, welche Weiterbildung sie konkret planen. „Dann sucht man sich einen Kurs raus, stellt den Antrag bei der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber und wartet auf die Rückmeldung“, erklärt sie. Der Antrag könne nur abgelehnt werden, wenn andere Mitarbeitende zu dem Zeitpunkt im Urlaub sind oder wichtige Projekte anstehen. „Wenn das Unternehmen den Antrag genehmigt hat, müssen Arbeitnehmer nur noch den Kurs bezahlen und es kann losgehen.“ So hat es auch Schwiertz gemacht: „Ich bin zu meinem Vorgesetzten, habe meinen Wunsch vorgestellt, die Tage freigegeben bekommen und nachdem die HR-Abteilung das ‚Go‘ gegeben hat, habe ich noch alle Unterlagen eingereicht.“

Die vielfältigen Möglichkeiten des Bildungsurlaubs

Neben dem fachlichen Bildungsurlaub, wo es zum Beispiel um neue Marketing-Strategien oder das Erlernen einer Programmiersprache geht, gibt es auch noch ausgefallenere Kurse: „Vorgesetzte können im Führungskräftetraining mit Pferden beispielsweise eine sichere Körperhaltung und einen starken Auftritt lernen“, erklärt Körber. Auch Kurse zu Improvisationstheater können mehr Selbstsicherheit vermitteln.

Grundsätzlich gelte: „Bildungsurlaube sind weltweit möglich und so kann auch auf Fuerteventura zum Beispiel Spanisch gelernt werden.“ Das hat auch Schwiertz genutzt und ihr Polnisch verbessert. „Am Ende habe ich ein B1.2 Niveau bescheinigt bekommen“, sagt sie. In der kleinen Akademie gab es an fünf Tagen je fünf Stunden Unterricht. „Dazu gehörten Aufgaben aus Bücher und auch praktische Sprachübungen mit den anderen Teilnehmern aus der kleinen Gruppe“, so Schwiertz. Daneben habe ihre Lehrerin sie noch für den Freizeitteil vorbereitet: „Meine Lehrerin hat mit mir Feinheiten der Sprache durchgesprochen, so etwas wie lokale Redewendungen. Und dazu noch Eckdaten zu Sehenswürdigkeiten wie dem Salzbergwerk Wieliczka bei Krakau, sodass ich dem Reiseführer durch das Bergwerk besser folgen konnte“, berichtet Schwiertz.

Einschränkungen gibt es jedoch in drei Bundesländern: In Bayern und Sachsen ist Bildungsurlaub allgemein nicht möglich und in Nordrhein-Westfalen nur im Umkreis von 500 Kilometern zur Landesgrenze.

Warum nutzen nur wenig Menschen das Recht auf Bildungsurlaub?

Aktuell nehmen laut Körber nur zwei Prozent ihr Recht auf Bildungsurlaub wahr. Das liegt laut Körber zum einen an der Unwissenheit über das Recht auf Bildungsurlaub. Auf der anderen Seite an der Angst vor der Ablehnung oder Stigmatisierung durch den eigenen Arbeitgeber. Oftmals denken auch Arbeitgeber, dass sie ja auch interne Fortbildungen anbieten und dass das schon reichen würde. Das sieht Körber anders, denn „Bildungsurlaub ist eine Ergänzung, keine Konkurrenz zu internen Fortbildungen.“ Zudem seien interne Fortbildungen häufig mit Leistungsdruck verbunden. „Bei einem Bildungsurlaub eröffnet sich die Chance, sich fünf Tage am Stück intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen, jenseits des Arbeitsumfeldes“, so Körber.

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Laut Körber müsse sich die Arbeitskultur ändern: „Unternehmen können sich selbst mit Bildungsurlaub attraktiver für neue und vor allem junge Talente machen.“ Aber auch bei der schon bestehenden Belegschaft sollten Arbeitgeber umdenken und proaktiv für Bildungsurlaub werben. „Denn damit zeigen sie Wertschätzung und steigern die Loyalität“, so Körber.

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