WirtschaftsWoche: Herr Antonic, die meisten Ideen, die heute unter dem Begriff „New Work“ subsumiert werden, sind ja gar nicht so neu. Trotzdem melden sich zurzeit immer mehr Kritiker, Sie sind einer davon. Was stört Sie an New Work?
Bodo Antonic: Man kann gar nichts gegen die Ideen haben. Aber wenn man sie überhöht und es übertreibt, habe ich massiv was dagegen. Neue Impulse für die Organisation der Arbeit, in einer vernünftigen Form und nicht nur emotional diskutiert, könnte man dagegen auch in der Praxis umsetzen.
Ein Problem ist, dass offenbar nicht einmal klar ist, worum es geht. Was der Kern von New Work ist, hinterfragen Sie selbst in eigenen Blog-Artikeln. Haben Sie eine eigene Antwort?
Wir wollen Arbeit und das Miteinander in Unternehmen neu organisieren. Das klingt natürlich sehr formelhaft. Für mich persönlich sage ich, es heißt Unternehmen entschlacken, entbürokratisieren, die Spielregeln über Bord werfen, auf dass das Miteinander leichter, entspannter und produktiver wird. Damit hätte man gleichzeitig einen Nutzen für das Unternehmen.
Sie beklagen einen ungefilterten Umgang mit den ganzen New-Work-Buzzwords, der in manchen Unternehmen in blinden Aktionismus mündet. Wie kommt das?
Da haben auch die sozialen Medien ihren Anteil, wo alles bejubelt wird, was irgendwie mit Agilität und alldem zu tun hat. Aber es fehlen empirische Erfahrungen. Die Folge ist: Die Praktiker ziehen sich zurück und halten New Work für ein Elite-Projekt, während sich die Vertreter im Internet mit immer noch tolleren Ideen überbieten. Der Praxisnutzen für Leute wie mich als Interimsmanager ist überhaupt nicht gegeben, wir gehen in die Betriebe und machen nach bestem Wissen und Gewissen unser Ding.
Wie kann Arbeit produktiv und kapitalismustauglich bleiben und gleichzeitig doch Verbesserungen im Sinne der New-Work-Ideen beinhalten, ohne dass nur gelabert wird?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Arbeit Arbeit bleiben darf und sogar muss. Die ganze Diskussion, die Arbeit mit Sinn – man sagt ja jetzt purpose – aufladen will, unterstellt ja, dass Arbeit jetzt nicht wirklich gut sei. Das sehe ich aber nicht so. Dass ein Job mal mehr und mal weniger Spaß macht, finde ich nicht problematisch. Dass ein Unternehmen produktiv sein muss, finde ich auch nicht problematisch. Die Frage ist eigentlich nur, wie gestalten wir die acht Stunden, die wir im Betrieb sind, so, dass wir ein gutes Miteinander haben. Als Praktiker störe ich mich an der Formulierung, Arbeit müsse ganz neu gedacht werden.
Wann begegnet Ihnen New Work in der Praxis?
Auch ich habe an der einen oder andere Stelle New Work als Eliteprojekt kennengelernt, in der Praxis aber nicht erlebt. Mit wenigen Ausnahmen ist New Work noch nie in Gänze in einem Unternehmen angekommen. Bei Restrukturierungen muss ich mir natürlich überlegen, wie ich die Arbeit organisiere, damit sie allen gerecht wird. Und als Manager muss ich mich natürlich mit den Inhalten von New Work beschäftigen und will es auch. Die Frage ist nur, wie man diesen Begriff, der nicht hinreichend präzisiert ist, in den Unternehmensalltag überführt, in die Praxis.
Sieben Absurditäten der neuen Arbeitswelt
Noch immer wird über Bewerber zu über 90 Prozent nach dem bisherigen Lebenslauf entschieden, obwohl historische Daten kaum etwas über zukünftige Leistung aussagen – vor allem in Jobs, die oftmals gar kein eindeutiges Aufgabenprofil mehr haben. Wichtiger sind Persönlichkeit, Zukunftspläne, Kompetenzen. Diese werden oft nicht berücksichtigt.
Was früher Bonus, Dienstwagen und Eckbüro waren, sind heute Obstkorb, iPhone und schicke Co-Working-Spaces. So setzen Unternehmen immer noch auf äußere Anreize statt der inneren Motivation Raum zur Entfaltung zu geben. Etwa mit Selbstbestimmung, Wertschätzung und passenden Aufgaben!
Statt Excel-Kurs werden jetzt digitale Kompetenzen gelehrt, Raum zur persönlichen Weiterentwicklung ist aber meistens immer noch nicht gegeben. Intrapreneurship-Programme für unternehmerischen Freiraum im Unternehmen, Sabbaticals, flexiblere Weiterbildungsbudgets zeigen, wie es auch anders geht!
Flache Hierarchien sind der neueste Schrei – und der Chef sitzt womöglich auch noch mit im Großraumbüro. Wichtiger wäre es jedoch meistens, an einer wertschätzenden Haltung auf Augenhöhe zu arbeiten. Denn dann sind auch Hierarchien kein Problem mehr.
Vertrauensarbeitszeit und Home Office werden eingeführt, während im Gedankengut noch fest verankert ist, dass ausufernde Arbeitszeit die Leistung zeigt. Deshalb wird auch so manche E-Mail gern noch später von zu Hause abgeschickt. Besser ist, an gemeinsamen Zielen zu arbeiten, die ergebnisbasiertes Arbeiten ermöglichen. Dann ist es auch tatsächlich egal, wo und wie lange jemand arbeitet.
Mitarbeiter werden in Open Offices, früher Großraumbüro genannt, gesteckt – womöglich noch ohne eigenen Schreibtisch, um „agiler“ zu arbeiten (und natürlich Kosten zu sparen). Dabei ist nicht jede Aufgabe für ein Open Office geeignet, und nicht jeder Mitarbeiter kann sich dort konzentrieren. Deshalb gilt es, den individuell richtigen Platz für die Mitarbeiter und ihre Aufgaben zu bestimmen.
Work-Life-Blending löst die Work-Life-Balance ab und Mitarbeiter sind nun immer erreichbar, Stichwort 24/7. Wenn nicht gleichzeitig auch dafür gesorgt wird, dass Mitarbeiter sich selbst organisieren können und Sinn in ihrer Arbeit sehen, führt dies aber eher zum Burnout als zum „Good Job“!
Aber dann sind Sie doch mittendrin: Sie wollen Arbeit neu organisieren, auf Wünsche von Mitarbeitern reagieren und das ganze vielleicht in eine etwas menschenfreundlichere Richtung denken…
Ja und Nein. Wenn wir es herunterbrechen auf einen Arbeitsbezug, bin ich ganz Ihrer Meinung. Wir haben in der New-Work-Diskussion aber auch einige stark antikapitalistische Inhalte, da wird eine Utopie promotet, die meiner Meinung nach weit weg ist von der Kernfrage, wie wir Arbeit organisieren.
Wo fängt die Utopie an, wo der Antikapitalismus?
Eine gängige Aussage von New-Work-Romantikern ist: Wir müssen Arbeit so organisieren, dass sie den Purpose des Mitarbeiters befriedigt. Damit wird Arbeit degeneriert zu einer Lustbefriedigung des Arbeitenden. Das geht vorbei am Sinn und Zweck von Unternehmen, die ihre Kunden bedienen wollen. Und dafür muss gearbeitet werden. Es geht nicht um eine Sinnbefriedigung der Mitarbeiter. Wenn so ein antimaterialistischer, antikapitalistischer Arbeitsansatz in unserer Gesellschaft auf den betriebswirtschaftlichen Rahmen prallt, der sich im Kapitalismus bewegt, dann klatschen da einfach zwei Welten aufeinander, das kann nicht gutgehen. Der Manager, der das liest, wird sich sofort von allen Ideen abwenden, die mit New Work zu tun haben.
Also überspitzt ausgedrückt: Arbeit muss auch ein bisschen weh tun?
Aus Sicht des Unternehmens ist es völlig egal, ob es Spaß macht oder nicht. Wichtig ist, dass die Arbeit gemacht wird. Zweifelsohne besteht ein Unternehmen aber aus lebendigen Menschen und den Managern dort sollte selbstverständlich wichtig sein, dass die Mitarbeiter glücklich sind. Diese Überbetonung von Arbeit als Sinnbefriedigung wird allerdings kein Unternehmer und kein Manager mittragen können. Auf der anderen Seite sollte Arbeit sollte natürlich keine Schmerzen bereiten. Zwar kann es wehtun, morgens aufstehen zu müssen, das ist aber etwas anderes: Wir müssen unsere Faulheit überwinden. Weil Arbeit nicht immer nur Spaß machen kann, fängt die Utopie da an, wo man denkt, irgendwann sei sie nur noch Hopsasa und Trallala. Das ist ein wunderschönes intellektuelles Projekt, aber übersetzt ans Fließband funktioniert es nicht. Da wird es ein bisschen unerwachsen und unrealistisch.
New-Work-Ideen wie orts- und zeitungebundene Arbeit, Flexibilität, flache bis keine Hierarchien und so weiter machen auch was mit den Menschen, die arbeiten. Neue Wünsche und Erwartungen wurden geschürt und damit müssen Unternehmen jetzt umgehen, gerade wenn sie Mitarbeiter brauchen. Wie tun sie das?
Die Idee, die Leute würden irgendwann nicht mehr kommen, weil irgendein Katalog nicht erfüllt wird, gilt nur in wirtschaftlichen Hochphasen. Dreht die Wirtschaft auf Krise, kommt ganz schnell der Punkt, wo Menschen froh sind, Arbeit zu haben. Die New-Work-Diskussion ist Ausdruck der jetzigen komfortablen Lage und selbst darin ein eher elitär geprägtes Luxus-Projekt. Ein Industriearbeiter kann mit alldem nichts anfangen. Er ist froh, dass er gutes Geld verdient. Wenn er dann keinen völligen Idioten als Vorgesetzten hat, der ihn anständig behandelt, ist er erst einmal zufrieden. Die Anspruchshaltung ist für einen Großteil der Menschen gar nicht vorhanden. Anders sieht es aus bei den Kopfarbeitern. Gerade wer ein gewisses Level erreicht hat, hat eine andere Anspruchshaltung. Ich sage aber: Sobald die Krise kommt, wird sich die ganze Diskussion auflösen.
Angenommen, Ihr Szenario tritt so ein. Was von den New-Work-Ideen hat das Potenzial, sich fest zu etablieren? Flexible Arbeitszeiten etwa?
Ich hoffe, dass einiges bleibt. Auch wenn ich ein bisschen auf New Work herumgedroschen habe, so gibt es gute Ansätze. Flexibilisierung, Entbürokratisierung – das ist alles richtig und wichtig. Eine flexible Organisation ist eine kreative. Wir brauchen Kreativität, um unternehmerische Probleme zu lösen. Ich gehe davon aus, dass es in manchen Punkten kein Zurück mehr gibt – wenn der Geist erst einmal aus der Flasche ist... Der Firlefanz wird fortfliegen, aber auch in der Krise wird einiges bleiben.
Das klingt doch geradezu optimistisch, wie ein Reinigungsvorgang.
Erst einmal ja. Es könnte aber auch einen Rückschlag geben. Es gibt konservative Kräfte, denen das gerade alles zu viel ist. Es könnte schon zu einer Rekonstitution kommen. Aber auch das wird sich wieder nivellieren und dann wird die Gesellschaft wieder neue Wege suchen.
Neun Agilitätsfallen
Agilität total kann es nicht geben, sie ist weder für jeden Menschen noch für jeden Organisationsbereich geeignet. In seinem Buch „Die Agilitätsfalle“ beschreibt Thomas Würzburger den Hype und die größten Fehlannahmen.
Nicht jeder Mitarbeiter und auch nicht jede Führungskraft eines Unternehmens ist dafür geschaffen, selbstorganisiert zu arbeiten, sich immer wieder auf neue Teammitglieder einzulassen und regelmäßig Entscheidungen zu treffen. Für viele ist es einfach zu anstrengend, sich einerseits eigenverantwortlich fachlich wie persönlich weiterzuentwickeln und sich andererseits bedingungslos neuen Kunden und Erfordernissen anzupassen.
Trotz aller Agilität bleiben Hierarchien bestehen. Zum einen gibt keine Führungskraft freiwillig ihre Macht und Privilegien ab, zum anderen muss letztendlich jemand verantwortlich sein, auch im juristischen Sinne (Haftbarkeiten). Das Einzige, was sich geändert hat, sind die Insignien der Macht: Firmenwagen, Büro mit Panoramablick und handgenähte Schuhe sind durch Sneaker, cooles Auftreten und digitale Tools ersetzt.
Total agil funktioniert nicht: Erst eine stabile Grundorganisation ermöglicht es Unternehmen, in den Bereichen schnell und flexibel zu reagieren, in denen es auch notwendig ist. Das gilt nicht nur für die Organisationsstruktur, sondern auch für die Unternehmenskultur und Psyche der Belegschaft: Radikale Veränderungen führen in der Regel zu Verunsicherungen, die einen Schaden anrichten, der monetär kaum zu beziffern ist.
Jüngere Generationen sind in der Regel agiler als ältere; gehen aber auch schneller, wenn ihnen etwas nicht passt. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch von den Unternehmen so gewollt. Allerdings kommt es auch zu einem Verlust an Lösungsansätzen und Denkanstößen, da die jungen Talente nach dem Prinzip „Love it or leave it“ handeln – und der Zwischenschritt „Change it“ dann wohl bald mit den ausscheidenden Generationen verloren geht.
Teamarbeit birgt immer auch Konfliktpotenzial. Auch Mitarbeiter mit einem „agilen Mindset“ und agiler Arbeitsweise kommen nicht um zwischenmenschliche Spannungen herum. Sich die Arbeit von Tag zu Tag neu zu organisieren ist das eine. Einen Konflikt „selbstorganisierend“ zwischen den betroffenen Teammitgliedern zu behandeln, ist ab einem gewissen Eskalationsgrad aber nicht mehr möglich.
Führungskräfte sind ähnlich überfordert mit sich selbst organisierenden Teams wie so manches Teammitglied – sie wissen oft nicht, wie und warum sie überhaupt noch führen sollen. Der Chef in der Stammorganisation wirkt oft abgeschnitten von Kunden und anderen Gruppen, mit denen das Team nun direkt im Kontakt ist. Kontrolle als ureigene Führungsaufgabe wird zur bloßen Vertrauensaufgabe degradiert.
Mit der Abschaffung bestehender Hierarchien, Zuständigkeiten und Prozesse ist auch der psychische Krankenstand nachweislich gestiegen. Denn das waren die Strukturen, die lange Halt und Schutz gaben. Der Mensch ist eben keine Arbeitsmaschine, kein „Human Doing“, sondern ein „Human Being“, wie es Samuel Koch ausdrückte. Wir haben Stärken und Schwächen, Gefühle und Bedürfnisse.
Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht das Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Teams mit gemeinsamen Ritualen können dem gerecht werden. Aber dafür benötigen sie Zeit. Teamleiter können zwar auch mit agilen Methoden Rituale und Austausch schaffen. Aber oft degradieren sie Teammitglieder zu schnellen „Lieferanten“. Viele haben ihre Rolle der neuen, ermöglichenden Führungskraft auch noch nicht gefunden.
Wenn die Verantwortung des Einzelnen steigt und die Anweisungen und die Kontrolle durch Vorgesetzte verschwinden, entsteht ein Vakuum, das nur mit Eigenverantwortung gefüllt werden kann. Dazu gehört auch das Verantwortungsgefühl dem Unternehmen gegenüber. Das aber setzt die persönliche Reife eines jeden Einzelnen voraus. Aber noch lange nicht jeder Arbeitnehmer bringt diese mit.
Drei Arten agiler Arbeit
Arbeitsschritte werden in Phasen von zwei bis vier Wochen zerlegt und von einem kleinen Team bearbeitet. Der Scrum Master sorgt dafür, dass Regeln eingehalten werden. Ein Product Owner behält die Wünsche des Auftraggebers im Blick.
Ziel ist die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle oder Produkte. Die Methode orientiert sich an der Arbeit von Designern. Basis ist die These, dass Probleme besser gelöst werden, wenn Menschen aus verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten.
Die Philosophie geht auf den US-Softwareunternehmer Brian Robertson zurück. Holons sind selbstständige Einheiten aus Mitarbeitern, die sich mit anderen Holons zu einer Struktur zusammenschließen – der Holacracy. Statt einer Hierarchie gibt es Regeln in einer „Verfassung“, die Mitarbeiter versammeln Gleichgesinnte in „Zirkeln“, um „Spannungen“ zu klären, und besprechen den Fortschritt in „taktischen Sitzungen“. Bereits 50 Organisationen weltweit verwenden die Philosophie .