Neulich habe ich meine Cousine in ihrer Lichtreklamefabrik besucht. Und war erstaunt, gleich im Eingangsbereich den „Hot Boys“-Kalender vom Schraubenimperium Würth zu sehen: Zwölf Monatsblätter voll mit glattrasierten, tätowierten Sixpack-Oberkörpern – nackt bis zur Lende. Eine Optik, die ich bislang eher aus der Gautier-Werbung und Schwulen-Magazinen kannte. „Das ist unser Beitrag zur Gleichberechtigung“, sagt meine Cousine in ihrer humoristisch-sarkastischen Art, mit der sie jeden Comedian schlägt – und führt mich durch die Produktionsstätte, die voller Rote-Bikini-Girl-Kalenderblätter hängt. „Schließlich haben wir jetzt auch ein Lehrmädchen. Und bei uns gilt: gleiches Recht für Alle. Wenngleich mein Mann anfangs ziemlich dafür gefoppt worden ist.“
Die Erfahrung zeigt (leider noch zu selten): Es bedarf immer einer Frau, die sagt, was sie will (Auszubildende: „Ich will hier arbeiten.“) und einer Person, die sie einstellt und fördert (Geschäftsführerin: „Dieses Mal eine Frau.“) und eben auch die Akzeptanz der anderen – meist Männer –, die diese Entscheidung mittragen. Danach muss der weibliche Nachwuchs sich behaupten. In den letzten Männerdomänen kann das auch schon einmal eine größere Herausforderung sein, die spezielle Antworten wie etwa Pin-up-Kalender (Hot Boys) am Arbeitsplatz erfordert.
Dass Frauen andere Frauen nachziehen, war auch ein Argument – oder vielleicht auch nur ein Deckmäntelchen – der Bundestagsabgeordneten, die 2015 für den Minimal-Gesetzesentwurf der damaligen Frauenministerin Manuela Schwesig stimmten. Denn dabei ging es lediglich um die Erhöhung des Frauenanteils in den Aufsichtsräten der 100 größten Dax-Unternehmen. Und das nicht einmal paritätisch (50:50), sondern 30:70 für das weniger vertretene Geschlecht.
Damit handelt es sich eben nicht um eine Frauenquote, sondern um eine Geschlechterquote, von der perspektivisch auch Männer profitieren. Das zeigt ein Blick in die USA, in osteuropäische Nachbarstaaten und einige ostdeutsche Bundesländer, wo Frauen Männer längst überholt haben – nicht nur in der Bildung, sondern auch in Unternehmen und in der Politik. Was zum einen mit rasanten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, zum anderen aber auch mit Sozialisation und Geschlechterstereotypen zu tun hat.
Doch langsam aber sicher kommt es auch in Deutschland beziehungsweise den alten Bundesländern an, dass Geschlechterstereotype und Benachteiligungen in Zeiten von New Work und Arbeit 4.0 nicht mehr zeitgemäß sind. Die Trendforscher des Zukunftsinstituts beobachten einen „Gender Shift“ und sehen #Womanomics = Woman & Economics als einen Aspekt des Megatrends „New Work“: „Künftig wird die Frage nach der Rolle der Frau in Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr normativ-moralisch, sondern vor allem ökonomisch beantwortet. Unternehmen setzen immer öfter gleichwertig auf die Arbeitskraft, Intelligenz und Führungskompetenzen von Frauen und nehmen ihre Wünsche als Kundinnen ernst.“
Megatrends New Work und Gender Shift
Das Zukunftsinstitut gilt mit Trend- und Zukunftsforschung als international führender Ansprechpartner bei Fragen zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Es wurde 1998 von Matthias Horx gegründet. Das Institut New Work und Gender Shift zählen zu den Megatrends unseres Jahrhunderts. Für eine perspektivische Gleichberechtigung sind folgende Entwicklungen und Aspekte der Megatrends relevant.
„New Feminism“ zielt jenseits von Rollenerwartungen und gesellschaftlichen Restriktionen auf wirtschaftliche Gleichstellung sowie eine faire Organisation von Haus- und Familienarbeit ab. Anhänger sind längst nicht mehr nur Frauen, sondern auch Männer und Menschen, die nicht ins Mann-Frau-Schema passen.
Das Individuum wird durch sein Geschlecht künftig viel weniger auf bestimmte Verhaltensweisen und Berufe festgelegt. Individuelle Präferenzen und Talente bestimmen Ausbildung, Berufswahl, Kindererziehung, Freizeitaktivitäten und Konsum wesentlich mehr als das Geschlecht (m/w/d).
Auch Marken und Produktdesigns sind gefragt, die sich jenseits der klassischen Mann-Frau-Binarität bewegen. Hersteller reagieren auf die neuen Bedürfnisse bereits mit Post-Gender-Marketing, das auf die Ansprache einer stereotypen weiblichen/männlichen Käuferschaft verzichtet und stattdessen Design, Individualität, Modifizierbarkeit, Funktionalität oder Unternehmenswerte in den Vordergrund stellt.
Mit der Titelstory „The End of Men“ hat „The Atlantic“ in den USA bereits 2010 für Aufsehen gesorgt: Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Braindrain und die Erkenntnis, dass divers geführte Unternehmen besser performen, hatten dazu geführt, dass erstmals mehr weibliche als männliche „Manager“ gezählt wurden. Nun ist „Manager“ ein dehnbarer Begriff, besonders im Englischen. Und zwischen einer Call-Center-Agentin mit Team-Leitungsfunktion und einer Aufsichtsrätin oder Vorständin liegen natürlich Welten, vor allem finanziell.