New Work Wie Chefs im Teilzeit-Duo besser arbeiten

Zwei Köpfe für die Position des Head of Content Marketing: Angela Puschner (l.) und Anna Bilek (r.) bilden in der oberbayerischen Kartenmacherei das Führungsduo für Kommunikation und Vermarktung. Quelle: Presse

New Work stellt alte Normen auf den Prüfstand. Zwei Teilzeit-Chefinnen im Tandem sind noch eine große Ausnahme. Das Beispiel einer oberbayerischen Familienfirma zeigt: In der Praxis kann das wunderbar klappen.

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Führungstandem in Teilzeit – das fällt für die meisten Unternehmer in die New-Work-Kategorie „Hübsche Idee, nächste Idee“. Anstelle vom Run auf die Teilzeit ist aktuell eher die Rede vom Kampf gegen die Teilzeitfalle. Dass sich zwei Teilzeitkräfte eine Führungsposition teilen, scheint eine logistische Herkulesaufgabe zu sein, von Streitfällen in wichtigen Fragen noch ganz abgesehen. Steffen Behn von der Kartenmacherei meint hingegen über sein Führungsduo: „Die beiden sind mehr als ihre Summe. Das ist signifikant: Das merkt das Team, das merken wir.“

Bei der Kartenmacherei, einem Familienunternehmen im oberbayerischen Gilching, hat sich das scheinbar so komplizierte Modell ganz organisch ergeben. Jennifer und Christoph Behn gründeten die Firma 2010 auf ihrem Dachboden. Christoph Behns Bruder Steffen stieß später dazu und ist heute Geschäftsführer und Technikvorstand (CTO). Drei Jahre zuvor hatte das Ehepaar Behn nach der Geburt ihres Sohns den Markt der individualisierten Baby- und Grußkarten für sich entdeckt. Heute ist das Unternehmen mit 150 Mitarbeitern nach eigenen Angaben Marktführer in Deutschland und verbuchte 2017 einen Umsatz von 34 Millionen Euro.

Jennifer Behn bildete später mit Anna Bilek, Head of Content Marketing, das erste Führungstandem der Firma, schildert Geschäftsführer Steffen Behn. Als seine Schwägerin auf eine andere Position wechselte, rückte Angela Puschner nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit ins Tandem nach. „Die Stelle war sehr umfangreich für eine Person“, erinnert sich CTO. „Wir haben dann gesagt: Es gibt keinen Grund, warum das nicht von zwei Teilzeitlern gemacht werden sollte.“

Die Firmenleitung nutzte eine vermeintliche Bredouille für neue Wege. „Wir hatten von Anfang an sehr junge Mitarbeiter und einen sehr hohen Frauenanteil in der Firma, einfach auch aufgrund unserer Branche“, sagt Behn. Mögliche bevorstehende Schwangerschaften und anschließende eingeschränkte Verfügbarkeit wichtiger Mitarbeiterinnen – durch Elternzeit und anschließende Teilzeittätigkeit – gehörten da zu den unternehmerischen Zukunftsängsten. Dann habe man sich aber darauf besonnen, dass man gerade als Familienunternehmen praktikable Lösungen finden sollte: „Wir haben beschlossen: wenn nicht wir, wer dann?“ 

„Es ging darum, Lösungen zu finden, wie Teilzeitkräfte, vor allem Mütter, in Führungspositionen arbeiten können“, schildert Puschner die Motivation der Geschäftsführung. Sie und Bilek bilden das mittlerweile dritte Führungstandem der Kartenmacherei. Sie teilen sich die Stelle als Head of Content Marketing seit Herbst 2016 und führen ein Team mit sieben Mitarbeitern. Puschner arbeitet wegen ihres dreijährigen Sohns in Teilzeit, Bilek möchte „mehr Zeit für private Herzensprojekte“ haben.

Herausforderungen beim Führungstandem

Nicht in jedem Unternehmen ergibt sich ein Führungsduo quasi wie von selbst. Marc Wagner von der Unternehmensberatung Detecon International rät Chefs bei dem Thema zu Mut, aber auch zur Sorgfalt. „Zwei Perspektiven auf die Dinge und Prozesse können gerade bei Problemlösungen sehr hilfreich sein“, findet der New-Work-Experte. Entscheidend sei aber, „ausreichend Zeit und Aufwand in das optimale Pairing zu investieren und dabei dem Tandem auch die Chance zu geben, sich kennenzulernen, sich aufeinander einzustimmen und gemeinsam neue Abläufe zu definieren“. Klare Definitionen bezüglich Rollenverteilung und Entscheidungsprozesse seien bei einem Führungsduo für eine optimale Zusammenarbeit besonders wichtig: „Die Verantwortlichkeiten sind so von vornherein geklärt und tragen grundsätzlich zu einer Konfliktvermeidung bei.“

Für den Managing Partner bei der Tochtergesellschaft der T-Systems International ist das Thema aber beim Blick auf die deutsche Firmenlandschaft aktuell noch weitgehend Zukunftsmusik. „Meiner Meinung nach hapert es derzeit noch an der Umsetzung – Teilzeitstellen werden häufig nicht konsequent in Teilzeit realisiert. Meistens ist es so, dass Teilzeitkräfte de facto doch jeweils vollzeitnah arbeiten“, kritisiert Wagner. Außerdem reiche es nicht, Aufgaben einfach auf zwei Kollegen zu verteilen. Ein Tandem erfordere speziell abgestimmte Arbeitsabläufe, damit es seine wahren Stärken entfalten könne. „Die Unternehmen müssten sich der Investition bewusst sein, die eine solche Optimierung beziehungsweise Neugestaltung der Führungs- und Teamprozesse, unter Partizipation des gesamten Teams, bedeutet“, warnt der Unternehmensberater.

Höhere Ausgaben für ein Führungsduo beginnen bereits damit, dass zwei Computer bereitgestellt werden müssen und die Lohnbuchhaltung für eine Stelle doppelten Aufwand betreibt. Nach Ansicht von Kartenmacherei-CTO Steffen Behn ist das zu vernachlässigen. „Aus finanzieller Sicht würde ich nicht sagen, dass ein Tandem Luxus und am Ende betriebswirtschaftlich für uns teurer ist. Im Gegenteil: Alle Zahlen weisen darauf hin, dass es eher besser ist“, meint er. „Ich bekomme trotzdem das volle Know-how zweier Personen. Das ist deutlich mehr, als was eine Person leisten kann.“

Diese Erfahrungen hat das Führungstandem in Teilzeit gemacht

Anna Bilek und Angela Puschner sind gemeinsam Head of Content Marketing im Unternehmen Kartenmacherei in Gilching. Sie steuern gemeinsam die Inhalte der Kommunikation und des Marketings. Im WiWo.de-Interview berichten sie von ihren Erfahrungen.

WirtschaftsWoche: Wie funktioniert die geteilte Stelle in der Praxis?
Anna Bilek: Wir haben die unterschiedlichen Themengebiete klar zwischen uns aufgeteilt. So behalten wir den Überblick und verhindern Doppelarbeit. Zwischen uns beiden herrscht dabei absolute Transparenz. Wir tauschen uns regelmäßig aus. Wenn es brennt oder eine von uns ausfällt, können wir problemlos füreinander einspringen. Und auch grundsätzlich kann das Team immer auf jeden von uns beiden zukommen.

Gab es Anlaufschwierigkeiten bei der Zusammenarbeit?
Angela Puschner: Bei uns waren von der ersten Minute an Sympathie und Grundvertrauen da – das ist natürlich ein Glücksfall. Wir haben für den Start vor knapp zwei Jahren ein externes Coaching in Anspruch genommen, was wir auch jedem anderen Tandem empfehlen würden. Ein Coach ist neutral, daher ist es für ihn einfacher, einem auf den Zahn zu fühlen, auch wenn es weh tut. Denn gerade, wenn man sich sehr sympathisch ist, ist es manchmal schwer, Kritik zu äußern. Dabei ist es genau das, worauf es ankommt: Probleme frühzeitig zu adressieren und schonungslos offen zueinander zu sein.

Wo sehen Sie die Vorteile, wo vielleicht auch die Herausforderungen der geteilten Stelle?
Bilek: Ein Vorteil ist natürlich, dass zwei Köpfe deutlich mehr schaffen als einer. Außerdem ist im Fall von Krankheit oder Urlaub immer eine Vertretung da. Das Wertvollste an einem Führungs-Tandem ist aber ein anderer Aspekt: Als Führungskraft ist man nicht „allein“, man hat einen Sparringspartner an seiner Seite, mit dem man sich auf Augenhöhe über Fach- und Führungsthemen austauschen kann. Aber es ist nicht so einfach, wie es klingt. Ein Tandem ist wie eine Beziehung: Damit sie gelingt, braucht es auf beiden Seiten viel Selbstreflexion, Offenheit und Vertrauen.

Wie lange wollen Sie sich die Stelle teilen, wie geht es danach weiter?

Puschner: Wir wollen und werden uns die Stelle teilen, solange es für das Team und uns sinnvoll ist. Keine von uns plant, in Vollzeit zurückzugehen. Und selbst wenn – die Stelle ist mit zwei Köpfen einfach viel besser besetzt.

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