Pflicht zum Homeoffice Stell dir vor, es ist Montag – und keiner kommt

Nicht wenige fordern vom nächsten Corona-Krisengipfel Anfang kommender Woche eine Pflicht zum Homeoffice. Quelle: dpa

Politiker und Gewerkschafter prangern Unternehmen an, die ihre Mitarbeiter nicht ins Homeoffice schicken und fordern eine Pflicht wie in der Schweiz. Damit ignorieren sie, dass viele Angestellte selbst das Problem sind.

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Es gibt kein einziges größeres Unternehmen, das öffentlich verkündet: Wir haben geöffnet – und verpflichten unsere Mitarbeiter zur Anwesenheit. Und doch hat sich in den vergangenen Tagen unter dem Slogan „Macht Büros zu“ eine immer lautere Bewegung gebildet, die eine Pflicht zum fordert, um die Coronapandemie einzudämmen. Gegen wen agitiert diese da also? Sind es wirklich die Unternehmen im Allgemeinen und all die Vorgesetzten im Speziellen, die ihre Mitarbeiter zwar nicht körperlich zwingen, aber doch subtil unter Druck setzen, jeden Tag ins Büro zu kommen? Und zwar nicht weil es notwendig ist, sondern aus Prinzip. 

In der Schweiz sollen Unternehmen nun verpflichtet werden, ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken, wo es nicht zwingend anders sein muss. In Frankreich gilt sie bereits seit Oktober. Auch Belgien verhängt Bußgelder von bis zu 48.000 Euro gegen all jene, die zu Hause arbeiten könnten - aber dennoch ins Büro gehen. Und nicht wenige fordern vom nächsten Corona-Krisengipfel Anfang kommender Woche ähnliche Beschlüsse.

Doch je lauter der Lärm der Empörung wird, desto dringlicher wird auch die Frage, ob überhaupt zutrifft, was da behauptet wird. Geknechtete Mitarbeiter, verlogene Unternehmen, das ist eine Erzählung, die auch nach 150 Jahren deutscher Arbeiterbewegung reflexhaft funktioniert. Dabei fällt doch auf: Viele Fälle, die die These vom Zwang zur unnützen Büroarbeit belegen sollen, sind anonyme Schilderungen, bei denen die Einschätzung der anderen Seite oft ganz fehlt.

Angst oder Opportunismus?

Das bedeutet nicht, dass es solche Fälle nicht gibt. Die Unternehmen dieses 80-Millionen-Einwohner-Landes sind schließlich vielfältig. Das Problem ist ein anderes. Die Schilderungen verengen die Sache und blenden damit einen möglicherweise viel wichtigeren Aspekt aus: Das Verhalten der Arbeitnehmer selbst.

Denen nämlich nimmt das Geraune von den angeblich so präsenzfixierten Chefs die Verpflichtung ab, sich selbst Gedanken machen zu müssen – und Verantwortung zu übernehmen. Wer sich vom Chef unter Druck gesetzt fühlt, der geht eben murrend ins Büro. Und wenn es am Ende schief geht, kann er immer sagen: Ich wäre ja lieber zu Hause geblieben. Ob der Vorgesetzte einen tatsächlich gezwungen hat oder nicht - danach fragt dann keiner mehr. Die anderen waren ja auch da. Das muss dann als Beleg reichen.

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Damit aber belügt man sich selbst. Eine explizite Präsenzpflicht gibt es in den allermeisten Büros nicht. Dass viele Mitarbeiter trotzdem hingehen, liegt schlicht daran, dass sie den Konflikt fürchten. Sie nehmen an, dass es ihnen negativ ausgelegt werden wird, wenn sie von zu Hause aus arbeiten – während Kollegen noch durch ihre Anwesenheit beweisen, dass es ja offenbar auch anders ging.

Karrierefaktor Anwesenheit

Oder, schlimmer noch, sie nehmen opportunistisch die Vorteile mit, welche die Anwesenheit den wenigen bietet, wenn viele wegen geschlossener Schulen oder Virusangst zu Hause bleiben. Denn auch das ist wahr: Der Karrierefaktor Anwesenheit existiert – und er wird umso größer, je weniger Kollegen ihn unter sich aufteilen. Wer da ist, wenn sonst die meisten Büros leer stehen, der versammelt die informellen Informationen, den Smalltalk und damit das Vertrauen des Vorgesetzten auf sich, das er sonst mit anderen hätte teilen müssen.

Diese Verhaltensmuster sind besonders ärgerlich, weil sie die Eindämmung der Pandemie verhindern. Und so den Druck auf Politiker erhöhen, noch strengere Maßnahmen zu erlassen. In dem Moment, in dem Unternehmen zur Schließung verdonnert werden, gibt es aber zwangsläufig Kollateralschäden. Dann trifft es wie im Frühling nämlich alle Bereiche gleich, egal ob dadurch eine ganze Autoproduktion stillsteht oder der Kaffeefleck bloß auf einem anderen Schreibtisch landet. Würde jeder hingegen selbst entscheiden, wie notwendig oder unnötig die eigene Präsenz im Büro ist, könnten große Teile der Arbeit ins Homeoffice verlagert werden, ohne dass gleich die ganze Wirtschaft stillstehen muss. 

Mag sein, dass es tatsächlich den ein oder anderen Chef gibt, der dann sein Veto einlegt. Aber die Pflicht, es zumindest auszuprobieren, die hat jeder einzelne selbst. 

Mehr zum Thema: Je seltener Mitarbeiter sich im Büro begegnen, desto schwieriger haben es auch Gerüchte. Warum Klatsch und Tratsch im Büro so wichtig sind.

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