
Die armen, armen Siemens-Aktionäre. Konzern-Chef Joe Kaeser bei der Hauptversammlung zuzuhören, dürfte wenig erfreulich sein - und zwar unabhängig von den Umsatzzahlen. "Wir sind bei der Installation der HGÜ-Plattformen in der Nordsee deutlich vorangekommen und konnten die gemachten Erfahrungen dazu nutzen, Neuaufträge mit deutlich verbesserten Rahmenbedingungen zu landen, beispielsweise bei Borwin 3 mit einem Auftragsvolumen von fast 1 Milliarde Euro für das Konsortium, an dem
Siemens beteiligt ist", sagte er beispielsweise bei der letzten HV. Das sind 47 Worte und fünf verschiedene Informationen in einem Satz. Im Durchschnitt war jeder von ihm verwendete Satz 14,56 Worte lang und jeder dritte Satz enthielt mehr als zwei Informationen.
Einem solchen Vortrag längere Zeit zu folgen - schließlich geht es um Geld - das fordert das Gehirn gewaltig.
Zehn Tipps für die perfekte Rede
Wenn Sie vollkommen auf die Situation und den Inhalt Ihrer Rede fokussiert sind, können Sie Ihr Gegenüber am besten fesseln. Sind Sie nicht bei der Sache, bemerkt das Ihr Publikum zumindest unbewusste und schweift ebenfalls ab.
Am besten ist es natürlich frei zu sprechen. Wenn das nicht geht, schreiben Sie sich Stichwörter auf. Ein ausformulierter Text ist unübersichtlich und verführt zu monotonem Ablesen.
Schon beim Betreten des Raumes oder auf dem Weg zum Rednerpult müssen Sie voll konzentriert sein und Ihre Sprechhaltung einnehmen. Die Zuhörer nehmen Sie schon wahr, bevor Sie die Bühne betreten.
Damit die Distanz zwischen Ihnen und Ihren Zuhörern nicht zu groß wird, sprechen Sie sie direkt an und beziehen Sie sie so in den Vortrag mit ein.
Bei einem Fragezeichen muss die Stimme oben bleiben. Bei einem Punkt muss die Stimme gesenkt werden. Pausen am Satzende oder zur Abgrenzung zweier Gedanken im gleichen Satz sind meist sinnvoll.
Wer zu schnell spricht, hängt seine Zuhörer ab. Deshalb sinnvolle Pausen setzen, deutlich betonen und nicht durch den Text hasten.
Ihre Gesten müssen das Gesagte unterstreichen und gezielt eingesetzt werden. Zu viel Bewegung kann vom Inhalt ablenken und wirkt hektisch. Symmetrische Gesten und eine geschlossene Körperhaltung, zum Beispiel verschränkte Arme, kommen beim Zuhörer nicht gut an.
„Meiner Meinung nach“, „äh“ oder „übrigens“ sind Floskeln, die Sie nicht brauchen und den Zuhörer nerven. Überlegen Sie, was Sie stattdessen sagen können, damit Sie diese Lückenfüller nicht brauchen.
Wählen Sie Ihre Formulierungen so, dass Sie den Inhalt glaubwürdig vertreten können. Neutrale Ausdrücke können dabei helfen, wenn eigenes Empfinden und Firmenpolitik auseinander fallen.
Sich über Nervosität zu ärgern oder sie verdrängen zu wollen, macht es meist noch schlimmer. Nehmen Sie ihre Nervosität hin. Häufig erhöht sie sogar die Konzentration.
Die gute Nachricht: Den Allianz-Aktionären ging es noch schlechter. Am unverständlichsten sind nämlich die Reden von Ex-Allianz-Chef Michael Diekmann. Herr Diekmann mag nämlich Schachtelsätze, wie: "Daher haben wir uns auch entschieden, unser mittelfristiges Investmentziel für reale Anlageklassen, zu denen neben Immobilien und anderem auch Infrastruktur gehört, von bislang 80 Milliarden Euro auf 110 Milliarden Euro zu erhöhen." Er nutzt viele Fremdwörter wie Fixed Index Annuities und seine Reden zeichnen sich auch nicht dadurch aus, besonders kurz zu sein (3496 Wörter Redemanuskript).
Was er dafür gut macht, ist das Erklären von Fachbegriffen. Beispiel: "Die Schaden-Kosten-Quote, also das Verhältnis zwischen Aufwendungen für Schäden und Kosten zu den Prämieneinnahmen, konnten wir bei sehr guten 94,3 Prozent halten."
Den Dax-Chefs auf Redemanuskript geschaut
Das haben Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim in Stuttgart herausgefunden, die mithilfe einer bestimmten Software die Reden der Dax-Vorstandschefs auf den jüngsten Hauptversammlungen ausgewertet haben. Sie achteten darauf, ob die Konzernlenker besonders viele Fremdworter und Wortungetüme verwenden, wie lang die Sätze sind, ob die Redner viel im Passiv sprechen und wie lang die Reden insgesamt sind. Dann entwickelten sie einen Verständlichkeitsindex auf einer Skala von 0 (formal unverständlich) bis 20 (formal sehr verständlich).
Diese Dax-Chefs halten die verständlichsten Reden
Die Universität Hohenheim bei Stuttgart hat bei den Dax-Hauptversammlungen im Jahr 2015 ganz genau auf die Verständlichkeit der Reden geachtet. Die Forscher erstellten einen Verständlichkeitsindex auf einer Skala von 0 (formal schwer verständlich) bis 20 (formal leicht verständlich).
Schlusslicht ist Michael Diekmann mit einem Wert von 8,4. Für den Ex-Allianz-Chef war es ohnehin die Abschiedsrede: Er hatte sich auf der jüngsten Hauptversammlung nach zwölf Jahren an der Spitze von der Versicherung verabschiedet.
Nicht viel besser schnitt Beiersdorf-Chef Stefan F. Heidenreich ab. Er kam auf einen Wert von 8,7. Damit hat er sich - wie auch Diekmann - im Vergleich zum Vorjahr um 0,7 Prozentpunkte verbessert. Allerdings liebt Heidenreich lange Schachtelsätze: 13,95 Worte benutzt er im Schnitt pro Satz.
Heinrich Hiesinger verwendete bei der ThyssenKrupp-Hauptversammlung durchschnittlich 14,1 Worte pro Satz. Auf der Verständlichkeitsskala von 0 bis 20 erreicht er einen Wert von 9,0.
Nikolaus von Bomhard, seit 2004 Vorsitzender des Vorstands der Munich Re, hat sich im Vergleich zum letzten Jahr verschlechtert, was die Verständlichkeit seiner Rede anbelangt. Statt 10,4 erreicht er 2015 nur noch einen Wert von 10. Mit 14,65 Worten pro Satz wird der Chef des Rückversicherers nur noch von Schachtelsatzkönig Diekmann (15,68) übertroffen.
Siemens-Chef Joe Kaeser hat sich dagegen um 0,5 Punkte verbessert und erreicht einen Wert von 12,2. Aber auch Kaeser ist ein Freund des Satzungetüms: Im Schnitt packt er 14,56 Worte in einen Satz.
Gleichauf mit Kaeser liegt Karl-Ludwig Kley mit ebenfalls 12,2. Der Merck-Chef nutzt zwar pro Satz nur elf Worte, dafür packt er in 17 Prozent seiner Sätze mehr als zwei Informationen.
2015 kamen die Dax-Bosse bisher durchschnittlich auf 13,1 Verständlichkeitspunkte. Lufthansa-Chef Carsten Spohr liegt mit einem Wert von 13,0 also ganz knapp unter dem Durchschnitt.
Auch Henkel-Chef Kasper Rorsted hat 2015 seinen Aktionären bei der Hauptversammlung schon Rede und Antwort gestanden. Da er mit einem Wert von 13,2 knapp über dem Mittelwert liegt, dürften sie ihn sogar verstanden haben.
Reinhard Ploss, Vorstandsvorsitzender der Infineon AG, bildet kurze Sätze und bildet wenig Passivkonstruktionen. Das nützt der Verständlichkeit. Er kommt auf einen Wert von 13,9.
Der Niederländer Peter Terium belegt mit einem Wert von 14,9 den sechsten Platz. Und das, obwohl er sich um 2,4 Punkte verschlechtert hat.
Elmar Degenhart, seit 2009 Vorstandsvorsitzender der Continental AG, erreicht einen Wert von 15,0. Mit durchschnittlich 8,92 Worten pro Satz bildet er übrigens die kürzesten Sätze aller "abgehörten" Dax-Chefs.
Auch Daimler-Chef dieter Zetsche können Aktionäre gut folgen. Er erreicht einen Wert von 15,4. Das macht Platz vier.
Der dritte Platz geht den BASF-Vorstandsvorsitzenden Kurt Bock. Wie auch im Vorjahr erreichte er einen Wert von 15,9. Und das, obwohl er durchschnittlich 12,3 Worte in einem Satz unterbringt.
Die größte Verbesserung gab es bei VW-Chef Martin Winterkorn: Um 4,2 Punkte verbesserten sich seine Reden. Er erreicht nun einen Wert von 17,2.
Martin Blessing erreicht ebenfalls einen Wert von 17,2. Damit redeten Winterkorn und Commerzbank-Chef Blessing auf den bisherigen Hauptversammlungen 2015 so klar wie sonst kein anderer Spitzenmanager. Allerdings haben 2015 auch noch nicht alle Dax-Konzerne ihre Aktionärstreffen abgehalten.
Aber nicht nur Diekmann und Kaeser sind Freunde des unverständlichen Wortungetüms. So sagte ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger bei der diesjährigen HV: "In Mexiko wurden die Lager- und Anarbeitungskapazitäten für die Automobilindustrie
modernisiert." Und wer versteht, dass sich hinter dem Ausdruck "nicht kopierbares Asset" die Lufthansa-Mitarbeiter verbergen?
Dax-Chefs bemühen sich um Verständlichkeit
Es gibt jedoch auch positive Beispiele: So tat sich auch Merck-Chef Karl-Ludwig Kley positiv hervor, weil er eine umständliche Abkürzung gut erklärte, in dem er sagte: "Dass uns dies gelingt, zeigt der Erfolg unserer UB-FFS-Technologie (Ultra-Brightness Fringe Field Switching). Das ist ein neuer Schaltmodus, mit dem die Lichtdurchlässigkeit von Displays um 15 Prozent erhöht wird."
Insgesamt bemühen sich die Dax-Chefs um eine verständlichere Sprache, wie Frank Brettschneider, Professor an der Universität Hohenheim sagt. "Zur Halbzeit liegen die CEO-Reden bei einem Durchschnittswert von 13,1 Punkten – das sind 0,8 Punkte mehr als zum Abschluss des CEO-Rankings im Jahr 2014 und starke 3,3 Punkte mehr als zum Abschluss unserer ersten Untersuchung im Jahr 2012."
Und das ist wichtig. Schließlich handelt es sich bei einer Hauptversammlung nicht um einen Fachvortrag vor ein paar Experten. Auch richten sich die Chefs nicht mehr nur an institutionelle Anleger, Analysten, Finanz- und Wirtschaftsexperten. "Sie haben die Hauptversammlung für Reden genutzt, die auch für eine breitere Öffentlichkeit verständlich sind", so der Kommunikationswissenschaftler. Was für die eigene Reputation auch sinnvoll sei. Nur müssen sie dann auch so sprechen, dass sie die breite Öffentlichkeit versteht. Was bei Begriffen wie Betriebsunterbrechungsversicherungen oder 300-Millimeter-Dünnwafer-Technologie nicht der Fall sein dürfte.
Klare Worte statt Kauderwelsch nutzen VW-Boss Martin Winterkorn und Commerzbank-Chef Martin Blessing: Sie sprechen auf den Dax-Aktionärstreffen so verständlich wie sonst kein anderer Spitzenmanager. Für die Allianz-Aktionäre bleibt noch die Hoffnung, dass sie den neuen Allianz-Chef Oliver Bäte in Zukunft besser verstehen, als es bei der Abschiedsrede von Diekmann der Fall gewesen ist.