Reden halten Versteh einer die Dax-Chefs

Man gebrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge, hat der Philosoph Arthur Schopenhauer einst empfohlen. Bei Hauptversammlungen gilt jedoch eher das Motto: Man verschleiere mit Wortungetümen den Inhalt.

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Der Vorstandsvorsitzende der Allianz SE, Michael Diekmann Quelle: dpa

Die armen, armen Siemens-Aktionäre. Konzern-Chef Joe Kaeser bei der Hauptversammlung zuzuhören, dürfte wenig erfreulich sein - und zwar unabhängig von den Umsatzzahlen. "Wir sind bei der Installation der HGÜ-Plattformen in der Nordsee deutlich vorangekommen und konnten die gemachten Erfahrungen dazu nutzen, Neuaufträge mit deutlich verbesserten Rahmenbedingungen zu landen, beispielsweise bei Borwin 3 mit einem Auftragsvolumen von fast 1 Milliarde Euro für das Konsortium, an dem
Siemens beteiligt ist", sagte er beispielsweise bei der letzten HV. Das sind 47 Worte und fünf verschiedene Informationen in einem Satz. Im Durchschnitt war jeder von ihm verwendete Satz 14,56 Worte lang und jeder dritte Satz enthielt mehr als zwei Informationen.

Einem solchen Vortrag längere Zeit zu folgen - schließlich geht es um Geld - das fordert das Gehirn gewaltig.

Zehn Tipps für die perfekte Rede

Die gute Nachricht: Den Allianz-Aktionären ging es noch schlechter. Am unverständlichsten sind nämlich die Reden von Ex-Allianz-Chef Michael Diekmann. Herr Diekmann mag nämlich Schachtelsätze, wie: "Daher haben wir uns auch entschieden, unser mittelfristiges Investmentziel für reale Anlageklassen, zu denen neben Immobilien und anderem auch Infrastruktur gehört, von bislang 80 Milliarden Euro auf 110 Milliarden Euro zu erhöhen." Er nutzt viele Fremdwörter wie Fixed Index Annuities und seine Reden zeichnen sich auch nicht dadurch aus, besonders kurz zu sein (3496 Wörter Redemanuskript).

Was er dafür gut macht, ist das Erklären von Fachbegriffen. Beispiel: "Die Schaden-Kosten-Quote, also das Verhältnis zwischen Aufwendungen für Schäden und Kosten zu den Prämieneinnahmen, konnten wir bei sehr guten 94,3 Prozent halten."

Den Dax-Chefs auf Redemanuskript geschaut

Das haben Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim in Stuttgart herausgefunden, die mithilfe einer bestimmten Software die Reden der Dax-Vorstandschefs auf den jüngsten Hauptversammlungen ausgewertet haben. Sie achteten darauf, ob die Konzernlenker besonders viele Fremdworter und Wortungetüme verwenden, wie lang die Sätze sind, ob die Redner viel im Passiv sprechen und wie lang die Reden insgesamt sind. Dann entwickelten sie einen Verständlichkeitsindex auf einer Skala von 0 (formal unverständlich) bis 20 (formal sehr verständlich).

Diese Dax-Chefs halten die verständlichsten Reden

Aber nicht nur Diekmann und Kaeser sind Freunde des unverständlichen Wortungetüms. So sagte ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger bei der diesjährigen HV: "In Mexiko wurden die Lager- und Anarbeitungskapazitäten für die Automobilindustrie
modernisiert." Und wer versteht, dass sich hinter dem Ausdruck "nicht kopierbares Asset" die Lufthansa-Mitarbeiter verbergen?

Dax-Chefs bemühen sich um Verständlichkeit

Es gibt jedoch auch positive Beispiele: So tat sich auch Merck-Chef Karl-Ludwig Kley positiv hervor, weil er eine umständliche Abkürzung gut erklärte, in dem er sagte: "Dass uns dies gelingt, zeigt der Erfolg unserer UB-FFS-Technologie (Ultra-Brightness Fringe Field Switching). Das ist ein neuer Schaltmodus, mit dem die Lichtdurchlässigkeit von Displays um 15 Prozent erhöht wird."

Insgesamt bemühen sich die Dax-Chefs um eine verständlichere Sprache, wie Frank Brettschneider, Professor an der Universität Hohenheim sagt. "Zur Halbzeit liegen die CEO-Reden bei einem Durchschnittswert von 13,1 Punkten – das sind 0,8 Punkte mehr als zum Abschluss des CEO-Rankings im Jahr 2014 und starke 3,3 Punkte mehr als zum Abschluss unserer ersten Untersuchung im Jahr 2012."

Und das ist wichtig. Schließlich handelt es sich bei einer Hauptversammlung nicht um einen Fachvortrag vor ein paar Experten. Auch richten sich die Chefs nicht mehr nur an institutionelle Anleger, Analysten, Finanz- und Wirtschaftsexperten. "Sie haben die Hauptversammlung für Reden genutzt, die auch für eine breitere Öffentlichkeit verständlich sind", so der Kommunikationswissenschaftler. Was für die eigene Reputation auch sinnvoll sei. Nur müssen sie dann auch so sprechen, dass sie die breite Öffentlichkeit versteht. Was bei Begriffen wie Betriebsunterbrechungsversicherungen oder 300-Millimeter-Dünnwafer-Technologie nicht der Fall sein dürfte.

Klare Worte statt Kauderwelsch nutzen VW-Boss Martin Winterkorn und Commerzbank-Chef Martin Blessing: Sie sprechen auf den Dax-Aktionärstreffen so verständlich wie sonst kein anderer Spitzenmanager. Für die Allianz-Aktionäre bleibt noch die Hoffnung, dass sie den neuen Allianz-Chef Oliver Bäte in Zukunft besser verstehen, als es bei der Abschiedsrede von Diekmann der Fall gewesen ist.

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