Rhetorik Warum keine Verhandlung ohne Eskalation auskommt

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Eskalation mit Sicherheitsnetz

Beispiel Brexit-Verhandlungen. Beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel teilten die Europäer den Briten mit, dass sie bisher nicht ausreichend klar kommuniziert hätten, wie sie mit ihren Verbindlichkeiten bei der EU umgehen wollen. Deshalb könne die zweite Phase der Verhandlung nicht eröffnet werden. So baut die EU Druck auf Großbritannien auf – und eröffnet sich damit die Möglichkeit, einen Konflikt eskalieren zu lassen. Das Königreich soll endlich überlegen, wie es weitergeht mit der Grenze in Nordirland oder den Rechten der EU-Bürger auf der Insel. „Die Eskalation dient der Klärung der Positionen“, sagt Schranner.

Es ist ein bisschen wie im Geschäftsleben: Wer den Verhandlungstisch zunächst verlässt und trotzdem wieder zurückkommt, ist wirklich an einer Einigung interessiert. Wer sich von der Gegenseite Arroganz gefallen lässt, gibt zu verstehen, dass ihm die Sache wirklich wichtig ist. „Man testet, wer mehr an der Transaktion interessiert ist“, sagt Anwalt Pleister.

Funktionieren können die verschiedenen Eskalationsstufen aber nur, wenn sie geplant und durchdacht sind. Erfahrene Verhandler überlegen sich wichtige Schritte im Voraus und antizipieren Momente, in denen umgeschaltet werden muss – auf den konstruktiven Gesprächsmodus. Profis verlassen sich außerdem auf weitere Helfer. „Man muss vorher ein Sicherheitsnetz aufspannen“, sagt Schranner.

Wenn etwa bei den Brexit-Verhandlungen der britische Unterhändler David Davis oder sein EU-Gegenspieler Michel Barnier den Eklat wählen, muss auf anderer Ebene ein Gesprächskanal offen bleiben. „Die britische Premierministerin Theresa May und Bundeskanzlerin Angela Merkel müssten vorgewarnt werden, damit sie schon einen Telefontermin absprechen“, so Schranner. Ähnlich ist es bei Übernahmeverhandlungen in der Wirtschaft. Fusionsexperte Pleister kennt die Situationen, in denen Anwälte beider Seiten noch mal an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn die Unternehmensvertreter den Raum bereits verlassen haben. Die Berater sind aber nicht auf die Rolle des „Good Cop“ festgelegt. „Es kann auch sein, dass der Anwalt den Schwierigen gibt, der vom Mandanten zurückgepfiffen wird.“

Wenn eine Seite wirklich an einem Durchbruch interessiert ist, dann wird sie Wege finden, den Dialog wieder aufzunehmen. Bodo Ramelow hat das erlebt. Der Ministerpräsident Thüringens sollte im Jahr 2015 im Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL schlichten. Binnen eines Jahres hatten die Lokführer neunmal gestreikt und die Republik lahmgelegt, die Schlichtung verlief äußerst zäh. „Kurz vor Ende der dreiwöchigen Schlichtungsfrist hatten wir einen toten Punkt erreicht“, erinnert sich Ramelow.

Nach einer Kampfabstimmung zog sich Ramelow aus den Gesprächen zurück. Fuhr zurück nach Thüringen, nahm seine Arbeit als Ministerpräsident wieder auf, absolvierte Termine und ließ sein Handy ausgeschaltet – bis die Anrufe aus der Bahn-Zentrale bei seinem Personenschützer aufliefen. Da wusste Ramelow, dass bei der Deutschen Bahn noch was ging. Zwei Wochen später legten die beiden Seiten einen neuen Tarifvertrag mit 300 Seiten vor.

Häufig wird eben erst hinterher klar: Was nach außen wie ein unversöhnlicher Streit wirkt, ist manchmal freilich sorgfältig inszeniert. Mal wird ein Arbeitskampf vorbereitet, mal die Presse über den Beginn des Ausstands informiert – obwohl die Einigung mit der Arbeitgeberseite längst besiegelt ist. „Gewerkschaften zum Beispiel brauchen häufig einen Streik, um ihren Mitgliedern und auch der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie hart verhandeln“, sagt Schranner, der auch Arbeitnehmervertreter berät.

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