In der fünf Meter hohen Eingangshalle hängen Kronleuchter von der Decke, vor dem Kamin stehen Sessel, bezogen von der hauseigenen Polsterei, jedes der 120 Zimmer ist individuell eingerichtet: Fast 50 Jahre führen Ernst-Friedrich und Sylvia von Kretschmann den Europäischen Hof, ein Fünf-Sterne-Hotel mitten in Heidelberg.
Eröffnet 1865, seit drei Generationen im Familienbesitz. Ihr lang gehegter Wunsch: die Übergabe des profitablen Hotels an Tochter Caroline im Jahr 2010. „Eine bessere Nachfolgerin für unser Lebenswerk als unsere Tochter“, sagt das Paar, „konnten wir uns nicht vorstellen.“
Die ist damals Anfang 40 – und taxiert ihr Interesse, in Kürze das unternehmerische Erbe ihrer Eltern anzutreten, „auf zehn Prozent“. Ihren Lebensmittelpunkt hatte die Hotelierstochter längst vom Neckar an die Spree verlegt, dort mit ihrer Lebensgefährtin gerade eine Unternehmensberatung gegründet – auch, um gerade nicht auf eine Karriere im elterlichen Betrieb angewiesen zu sein.
„Aber das Hotel ist für mich auch wie ein Familienmitglied, und den Urgroßvater gibt man ja auch nicht einfach ins Heim“, sagt von Kretschmann. Und beschließt, eine Weile tageweise nach Heidelberg zu pendeln, um im Austausch mit ihren Eltern ganz in Ruhe nach der besten Lösung zu suchen – für sich und das Hotel.
Alle Optionen liegen damals auf dem Tisch: Verkauf oder Verpachtung des Hauses an eine Hotelkette, die Verpflichtung eines externen Managers oder eben die Fortführung des Traditionshauses in vierter Generation.
Statt Hals über Kopf über ihre Zukunft zu entscheiden, nähert sich Caroline von Kretschmann der möglichen Aufgabe schrittweise. Modernisiert erst mal die Web-Site, macht sich mit dem Hotelmarkt und dem eigenen Haus vertraut. Verbringt immer mehr Zeit in ihrer alten Heimatstadt, wechselt nicht mehr bei jedem Besuch das Hotelzimmer, sondern hat ab Mitte 2012 ein festes Refugium im Gartengebäude der Hotelanlage. Und seit Anfang 2013 auch in der Geschäftsführung.
Hin und her gerissen zwischen familiärer Emotion und unternehmerischer Tradition einerseits und rationalem Ringen um die beste Lösung zum Wohle des Unternehmens andererseits: Diesem Zwiespalt sehen sich Familienunternehmen stets ausgesetzt, wenn eine der zentralen Entscheidungen ansteht – die Auswahl des besten Nachfolgers bei der Übergabe des Unternehmens an die nächste Generation.
Ein heikler Prozess, bei dem es gilt, Entscheidungen zum Wohle des Unternehmens zu treffen, ohne die Familie vor den Kopf zu stoßen. Aber auch, den Clan zusammenzuhalten, ohne das Unternehmen zu gefährden. Und im Zweifel auch die Kraft zu haben, Führungskräfte außerhalb der Familie zu engagieren oder das Unternehmen gar zu verkaufen.
„Die Übergabe an die nächste Generation ist die kniffligste Aufgabe für alle Familienunternehmen“, bestätigt Alexander Koeberle-Schmid, Mittelstandsexperte beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG. Eine Aufgabe, die laut Institut für Mittelstandsforschung Bonn jährlich etwa 27.000 deutsche Familienunternehmen lösen müssen.
„Es ist zwar so gut wie unmöglich und auch nicht angeraten, die familiäre Sicht der Dinge komplett zu ignorieren“, sagt Koeberle-Schmid. „Dennoch sollten beide Generationen diesen Prozess vor allem durch die Unternehmerbrille betrachten.“