Rollen in Teams „Clowns fördern den Zusammenhalt“

Expedition in der Antarktis: Humor ist wichtig für die Gruppendynamik Quelle: imago images

Der US-Anthropologe Jeffrey Johnson erforscht seit Jahrzehnten die Prinzipien von Teams. Er ist überzeugt: Jede Gruppe braucht einen Alleinunterhalter, der die Moral hochhält.

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WirtschaftsWoche: Professor Johnson, Sie sagen: Teams brauchen Clowns. Ich selbst bin kein Alleinunterhalter. Tauge ich also nicht zum Teammitglied?
Jeffrey Johnson: So weit würde ich nicht gehen. Dann muss Ihr Vorgesetzter eben einen anderen Clown finden.

Warum?
Wenn ein Team über einen längeren Zeitraum harmonisch zusammenarbeiten will, braucht es verschiedene Rollen. Eine davon ist der Alleinunterhalter.

Zu diesem Ergebnis sind Sie in Ihren Feldstudien in der Antarktis gelangt. Was zieht einen Anthropologen aus Florida zum Südpol?
Ich suchte einen Ort, an dem ich eine kleine Gruppe von Menschen über einen längeren Zeitraum beobachten konnte – und ein ehemaliger Kollege empfahl mir die Amundsen-Scott-Südpolstation. Dort arbeiten Wissenschaftler monatelang isoliert auf engstem Raum zusammen.

Ein ziemlich ungewöhnliches Forschungsprojekt.
Finden Sie? Unser Fachgebiet widmet sich der Wissenschaft vom Menschen. Deshalb interessiere ich mich selbstverständlich dafür, wie Individuen in einer Gemeinschaft interagieren. Als ich 1979 meine Doktorarbeit schrieb, beobachtete ich eine Reihe von Lachsfischern in Alaska. Schon damals fiel mir auf, dass Gruppen gewissermaßen automatisch informelle Strukturen bilden. Die entscheiden darüber, ob die Gruppen harmonieren oder nicht.

Und das gilt laut Ihren Studien nicht nur für Fischer in Alaska, sondern eben auch für Forscher in der Antarktis.
Genau. Jede Rolle ist für den Erfolg der Gruppe gleich wichtig: Es gibt die Clowns, die Anführer, die Kumpel, die Geschichtenerzähler, die Friedensrichter und die Berater – egal, ob in amerikanischen, russischen, chinesischen oder indischen Forschungsstationen.

Also herrscht ein universelles Verständnis darüber, was eine Gruppe ausmacht?
Offensichtlich. Und schon der norwegische Polarforscher Roald Amundsen wusste, wie wichtig die Rolle des Clowns für den Zusammenhalt einer Gruppe ist.

Inwiefern?
Amundsen stellte 1910 seine Mannschaft für die Expedition zum Südpol zusammen. Zum Koch ernannte er einen Mann namens Adolf Lindstrøm. Nicht weil der so hervorragend kochen konnte, sondern weil er ein lustiges Kerlchen war. Amundsen wusste, dass Lindstrøm den Stress, das Heimweh und die Tortur der langen Polarnächte lindern und die Teilnehmer in schwierigen Phasen bei Laune halten würde. Später notierte er in seinem Tagebuch: „Er hat mehr für unsere Expedition getan als jeder andere.“

Warum sind Clowns und Entertainer so wichtig?
Wenn Sie für längere Zeit mit anderen Menschen auf engstem Raum zusammenleben und -arbeiten, entstehen zwangsläufig Spannungen. Da ist es wichtig, dass jemand die Stimmung aufrechterhält ...

... ein Plädoyer für den Spaßvogel?
Na ja, es geht um mehr, als nur lustig zu sein. Humor ist wichtig, um die Gruppendynamik zu fördern. Aber vor allem geht es darum, dass ein Teammitglied die Moral aufrechterhält. Das kann über den Spaßfaktor funktionieren, muss aber nicht.

Inwieweit sind Ihre Beobachtungen vom Südpol relevant für den Büroalltag?
Ich bin davon überzeugt, dass es in jeder Gruppe, egal, ob in der Natur oder in einem Unternehmen, nicht nur auf die formelle Hierarchie ankommt. Sondern auch auf die informellen Rollen. Wenn Sie die richtige Kombination haben, wird die Gruppe erfolgreich sein. Wenn nicht, wird die Gruppe scheitern.

Also ist die formelle Hierarchie zweitrangig – oder egal?
Nein, nicht unbedingt. Es ist wichtig, dass die inoffizielle Rolle zur offiziellen Funktion passt. Der formelle Chef sollte von seinem Team auch inoffiziell als Anführer anerkannt werden. Sonst kommt es zu Auseinandersetzungen. Das gilt nicht nur auf der Erde, sondern auch im Weltall.

Wie kommen Sie darauf?
Wir kooperieren derzeit mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa, die die erwarteten Lebensbedingungen von Menschen auf dem Mars nachstellt. Dafür verbringen Astronauten 30 bis 60 Tage in einem Simulator. Auch hier gilt: Informelle soziale Rollen sind für den Zusammenhalt einer Gruppe unerlässlich.

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