Rüstungskonzerne mit Imagewandel Die Arbeitgeber-Attraktivität hat ihre ganz eigene Zeitenwende

Bei den Rüstungskonzernen steigen die Bewerberzahlen. Quelle: imago images

Ein Job bei einem Rüstungskonzern? Seit der Zeitenwende scheint das für immer mehr Menschen eine gute Karriereoption. Die Konzerne freuen sich über Bewerberanstürme, planen Joboffensiven – und haben doch zu kämpfen.

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Headhunterin Neele Riemann ist bei der Hamburger Personalberatung Hapeko für die besonders schwierigen Fälle zuständig. Im Auftrag ihrer Mandanten sucht sie Menschen, die Jobs annehmen, für die sie von Freunden und Familie keine anerkennenden Worte erwarten dürfen. Vor allem zwei Branchen forderten Riemann in der Vergangenheit heraus: die Fleischindustrie und die Rüstungsbranche. Seit dem vergangenen Jahr hat sie zumindest eine Sorge weniger. „Es ist heute viel leichter, eine offene Stelle bei einem Rüstungskonzern zu besetzten als bei einem Fleischverarbeiter“, sagt Riemann.

Das erlebte sie erst vor wenigen Monaten, als sie im Auftrag eines Mandanten 70 technische Spezialisten kontaktierte und gleich zu Beginn offenbarte, dass sie gerade für ein Rüstungsunternehmen auf Personalsuche ist. „Niemand lehnte aus diesem Grund ab“, erzählt die Headhunterin. „Die Akzeptanz für die Branche wächst, das Interesse der Bewerber steigt, die Arbeit in der Rüstung wird als sinnstiftender empfunden.“

Und das liegt in diesem Fall weniger an Riemanns überzeugender Art als vielmehr an all den Verwerfungen, die der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ausgelöst hat. Plötzlich ist es gesellschaftlicher Konsens, dass die Landesverteidigung oberste Priorität besitzt. Für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr sind selbst 100 Milliarden Euro nicht zu viel. Und die Lieferung von Waffen und Panzern in die Ukraine wird stetig umfassender: erst 5000 Helme, jetzt 18 Kampfpanzer und 40 Schützenpanzer. Wer all das Gerät fertigt, darf sich über einen enormen Imagegewinn freuen.

Das weiß nicht nur Headhunterin Riemann. Wer Eva Brückner fragt, wie ihr Geschäft gerade läuft, der bekommt als Antwort einen derben, aber treffenden Witz: bombig. Brückner besetzt für die Personalberatung Heinrich & Coll. Führungspositionen bei Rüstungskonzernen. Bis vor ziemlich genau einem Jahr fristeten ihre Mandanten ein Dasein in der „Schmuddelecke“, wie sie es formuliert. Das ist vorbei. „Wir erhalten seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges deutlich mehr Mails von Kandidaten, die sich samt Lebenslauf initiativ bei uns bewerben und in die Rüstungsindustrie wechseln wollen“, sagt Brückner. „Und auch die Abwerbeversuche in der Automobilbranche oder dem Maschinenbau – also das klassische Headhunting – sind heute leichter. Die Kandidaten sind viel häufiger bereit, in die Rüstungsindustrie zu wechseln.“

Bewerberansturm in Düsseldorf

Auch der Düsseldorfer Konzern Rheinmetall, der gerade vor der Aufnahme in den obersten Aktienindex Dax steht, spürt „einen Imagewandel der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“, wie es von dem Unternehmen auf Anfrage heißt. Im vergangenen Jahr landeten 169.000 Bewerbungen aus aller Welt bei der dortigen Personalabteilung. 20.000 mehr als im Jahr zuvor. Allein in Deutschland gingen schon 19.000 Bewerbungen mehr ein als im Jahr zuvor (77.000). In diesem Jahr soll die Belegschaft um zehn Prozent wachsen – Rheinmetall beschäftigt aktuell 26.000 Menschen.

Bei Rheinmetall wuchsen die Divisionen Fahrzeugsysteme sowie Waffen und Munition im vergangenen Jahr am stärksten. Das Unternehmen produziert gemeinsam mit Krauss-Maffei Wegmann den Schützenpanzer Puma, stellt die Hauptwaffe des Leopard-2-Kampfpanzers – eine Glattrohrkanone – her, produziert den hauseigenen Schützenpanzer Lynx und arbeitet derzeit an dem Kampfpanzer Panther. Dahinter folgt das Geschäft mit Flugabwehrkanonen und Cybersicherheitslösungen, erst dann kommen die Produkte, die Rheinmetall Automobilherstellern zuliefert.

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Eine Auswertung der auf die Auswertung von Stellenanzeigen spezialisierte HR-Agentur Index belegt, dass in der deutschen Rüstungsindustrie bereits seit Monaten die Kapazitäten hochgefahren werden. Seit Oktober sind in der Branche durchgehend mehr als 500 offene Stellen gemeldet. Die meisten Neueinstellungen gehen dabei auf das Konto von Rheinmetall. Von den insgesamt 564 im Januar ausgeschriebenen Positionen in der Branche entfielen 204 auf Rheinmetall, das entspricht knapp 30 Prozent aller Stellen. Viele Stellen ausgeschrieben waren auch bei der Airbus-Tochter MBDA (11,3 Prozent aller Stellen) und beim Waffenhersteller Umarex (7,8 Prozent). Das liegt auch, aber nicht nur am Krieg in der Ukraine. „Viele Projekte, die viel Personal erfordern, etwa das europäische FCAS-Vorhaben, sind schon deutlich länger geplant“, weiß Headhunterin Brückner.

Bei MBDA beobachten sie dank der von Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende eine ganz eigene Zeitenwende bei der Arbeitgeberattraktivität: „Früher kamen Bewerber zu uns, obwohl wir Ausrüster für die Bundeswehr sind, heute kommen sie zu uns, weil wir das sind“, so ein Sprecher des Unternehmens. MBDA fertigt den Marschflugkörper Taurus und Lenkflugkörpersysteme. In Deutschland will das Unternehmen die Belegschaft in den kommenden zwei bis drei Jahren „deutlich erhöhen“, wie es von dem Unternehmen heißt. Der Großteil der 1000 Mitarbeiter arbeitet am Hauptsitz des Unternehmens in Schrobenhausen in Oberbayern. Und MBDA verspürt ein gestiegenes Interesse bei Bewerbern: „Mit dem Überfall auf die Ukraine hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Verteidigung unseres Landes von Bedeutung ist. Heute ist Konsens, dass nur gut ausgestattete, ausgebildete und ausgerüstete Streitkräfte unser Land verteidigen können“, so der Sprecher.



Von den besonders aktiven Herstellern leitet sich auch die regionale Verteilung der neuen Stellen ab. Besonders viele Stellen waren an den Rheinmetall-Standorten im niedersächsischen Unterlüß (17,7 Prozent) und Kassel (16,7 Prozent) ausgeschrieben. Es folgen der MBDA-Standort Schrobenhausen (10,1 Prozent) und Arnsberg im Sauerland, wo Umarex seinen Sitz hat (7,1 Prozent).

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