
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hatte am Donnerstag, den 29. Juni 2017, zu entscheiden, ob ThyssenKrupp vom Bundeskartellamt verhängte Bußgelder in Höhe von 191 Millionen Euro von einem ehemaligen Geschäftsführer zurückfordern kann. Diese Frage war höchst umstritten, da etwaige Schadenersatzpflichten in Millionenhöhe für betroffene Manager erwartungsgemäß existenzvernichtende Folgen haben können. Die Bundesrichter ließen diese Frage jedoch ausdrücklich unbeantwortet.
Dem Verfahren lagen Kartellverstöße eines Tochterunternehmens des ThyssenKrupp-Konzerns in den Jahren von 2001 bis 2011 zugrunde. Im Rahmen des sogenannten Schienenkartells hatten verschiedene Wettbewerber unter anderem Preise und Quoten abgesprochen. Nachdem dies im Mai 2011 aufgedeckt wurde, erließ das Bundeskartellamt besagte Bußgeldbescheide. ThyssenKrupp stützt die Klage gegen den ehemaligen Geschäftsführer auf dessen angebliche Kenntnis und Beteiligung am Kartell, was der Beklagte bestreitet.
Zu den Autoren
Markulf Behrendt, Experte für Arbeitsrecht und Dr. Ellen Braun, Expertin für Kartellrecht, sind Partner bei der Kanzlei Allen & Overy in Hamburg.
Die Frage, ob Leitungsorgane einer Gesellschaft für deren Kartellbuße haften können, ist ein Dilemma: Einerseits sollen Geldbußen das Unternehmen treffen und sind dementsprechend an dessen Wirtschaftskraft ausgerichtet. Während das Bußgeld gegen ein Unternehmen bis zu zehn Prozent des weltweiten Gesamtjahresumsatzes ausmachen kann, ist das für Vorstände, Manager & Co. auf eine Million Euro begrenzt.
Andererseits ist es unfair, wenn Geschäftsführer bei leichten Pflichtverletzungen voll haften und bei schwerwiegenden Kartellverstößen gar nicht.
Thyssenkrupp, Schienenkartell und Schadenersatz: eine Never Ending Story
Den Kartellwächtern zufolge haben Stahlunternehmen mindestens ein Jahrzehnt lang illegal Preise und Quoten beim Verkauf von Schienen abgesprochen. Dabei wurden die Deutsche Bahn und andere Abnehmer von Gleisen und Weichen durch überhöhte Rechnungen geprellt. 2011 flogen die wettbewerbswidrigen Absprachen auf. Für die Kartell-Beteiligung bekam Thyssenkrupp ein Bußgeld in Höhe von 191 Millionen Euro aufgebrummt. Hinzu kamen Vergleichszahlungen an geschädigte Kunden, Anwaltskosten und ein enormer Reputationsverlust, wie ein Konzernsprecher sagte. Insgesamt hat das Schienenkartell Thyssenkrupp nach eigenen Angaben mehr als 300 Millionen Euro gekostet.
Thyssenkrupp will für den erlittenen Schaden einen ehemaligen Geschäftsführer in die Pflicht nehmen und fordert von ihm die 191 Millionen Euro gezahlte Geldbuße zurück sowie weitere 100 Millionen Euro als Schadenersatz für einen mit der Deutschen Bahn geschlossenen Vergleich. Das Unternehmen sieht in dem Manager einen „der ranghöchsten Hauptverantwortlichen des Schienenkartells“. Der Beklagte bestreitet das allerdings. Er gibt an, nichts von den Absprachen gewusst zu haben, da er auch nicht für das operative Geschäft zuständig gewesen sei.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte in einem Teilurteil vom Januar 2015 die von Thyssenkrupp geforderte Erstattung der Bußgelder zurückgewiesen. Der Konzern könne die Unternehmenskartellbußen nicht weiterreichen. „Denn eine Abwälzung der Geldbuße auf den Geschäftsführer würde das differenzierte Sanktionssystem des Kartellrechts entwerten (...)“
Über die geforderten 100 Millionen Euro hatte das Gericht zunächst keine Entscheidung getroffen und das Verfahren ausgesetzt. Die Richter verwiesen jedoch damals darauf, dass im Sanktionsrecht Kartellbußen für natürliche Personen auf eine Million Euro beschränkt sind.
Bislang gibt es noch keine höchstrichterliche Entscheidung dazu, ob Unternehmen Kartellstrafen an ihre Führungskräfte weiterreichen dürfen. Deswegen war der Erfurter Richterspruch mit Spannung erwartet worden. Doch die obersten Arbeitsrichter spielten den Ball wieder dem Düsseldorfer Landgericht zu. Die zweite Instanz müsse zunächst klären, ob der frühere Geschäftsführer und Bereichsvorstand sich pflichtwidrig verhalten habe, sagte eine Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts. Zudem hätten die Düsseldorfer Richter - deren Entscheidung das Bundesarbeitsgericht aufhob - keine kartellrechtlichen Fragen würdigen dürfen. Denn dafür seien sie gar nicht zuständig.
Thyssenkrupp zeigte sich nach der Verhandlung in Erfurt dennoch zufrieden. „Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass sich unser ehemaliger Geschäftsführer im Schienenkartell falsch verhalten hat“, erklärte der Sprecher. Compliance sei eine Frage der Haltung; der Beklagte hätte seiner Verantwortung als Führungskraft gerecht werden müssen. Der Anwalt des Ex-Managers zeigte sich hingegen enttäuscht. „Wir hätten uns eine klare Entscheidung vom Bundesarbeitsgericht gewünscht, die wäre nach fünfjährigem Rechtsstreit auch notwendig gewesen“, sagte Rechtsanwalt Andreas Lotze.
Entsprechend unterschiedlich bewerteten die Gerichte den Fall: Das Arbeitsgericht Essen wies die Klage von Thyssenkrupp in erster Instanz ab, weil es eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers als nicht erwiesen ansah. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf – zweite Instanz – stellte sich auch auf die Seite des beklagten Managers, allerdings aus einem anderen Grund. Die Düsseldorfer Richter sagten, dass der Sanktionszweck einer Geldbuße verfehlt sei, wenn das betroffene Unternehmen das Geld auf zivilrechtlichem Weg zurückbekommen könne.
Und das Bundesarbeitsgericht in Erfurt urteilte jetzt, dass über Sinn und Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße nur die zuständigen Landgerichte entscheiden könnten.
Also geht das Verfahren zurück nach Düsseldorf. Dort sollen jetzt die Richter prüfen,
ob nicht auch ein Urteil gefällt werden könne, indem die Pflichtverletzung des Beklagten geklärt werde. Also ohne die kartellrechtlichen Sonderfälle. Lange Rede, kurzer Sinn: Das 191 Millionen Euro teure Damoklesschwert schwebt weiterhin über dem Manger.