Seiteneinsteiger im Top-Management „Dafür braucht man kein BWL-Studium“

Fredun Mazaheri Quelle: Marco Woyczikowsk für WirtschaftsWoche

Fredun Mazaheri erzählt, wie er vom Konzertpianist zum Vorstand bei HSBC Deutschland wurde und was Quereinsteiger besser können als klassische Manager.

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Herr Mazaheri, Sie sind studierter Pianist, haben aber in der Wirtschaft Karriere gemacht. Wie passt ein musischer Mensch wie Sie in die zahlengetriebene Bankenwelt?  
Das ist keineswegs ein Widerspruch. Komischer Weise halten wir in Europa das für völlig verschiedene Pfade, die nicht zusammenpassen: Musisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich. Diese Denke ist ein Erbe der Industrialisierung.

Was meinen Sie damit?
In der Renaissance waren wir schon weiter. Da war es selbstverständlich, dass man Künstler, Geschäftsmann und Wissenschaftler war. Nehmen Sie Da Vinci. Er war alles drei. Wir brauchen mehr Menschen, die sich auf allen Feldern entwickeln wollen.

Warum?
Weil es gut ist, das Ganze im Blick zu haben. Nehmen Sie die großen Themen unserer Zeit: Globalisierung, Klimawandel, Digitalisierung. Diese Herausforderungen lassen sich nicht mit dem Blick nur auf Quartalszahlen meistern.

Sie selbst sind einer dieser Exoten. Kommen Sie aus einem musikalischen Elternhaus oder warum haben Sie nach dem Abitur Klavier studiert?
Nein, meine Eltern sind nicht besonders musikalisch. Sie konnten genau wie meine Freunde diese Entscheidung damals überhaupt nicht nachvollziehen. Du wirst arbeitslos, du endest unter der Brücke, lauteten die Horrorszenarien. Aber ich habe immer schon genau das gemacht, was mir am meisten Spaß macht.

Macht Sie das so erfolgreich?
Indirekt schon. Denn wenn ich etwas mit großer Begeisterung mache, dann kann ich sehr diszipliniert an mir arbeiten. Als ich an der Hochschule für Musik in Hannover angefangen habe, war ich der Schlechteste. Ich habe hart gearbeitet und konnte so ins Mittelfeld vorstoßen. 

Was haben Sie während Ihres Studiums gelernt, was Ihnen in Ihrem heutigen Job als Vorstand noch hilft?
Als Pianist lernt man, Kurs zu halten. Man ist die ganze Zeit umgeben von extrem guten Konkurrenten. Jedes Jahr kommt ein neuer Jahrgang von 16-jährigen Kindern dazu, die ihr Studium anfangen. Ich habe die dann gefragt: Warum darfst du hier eigentlich studieren? Die haben geantwortet: Ich habe dich gestern spielen gehört. Warum darfst du hier eigentlich studieren? Davon darf man sich nicht unterkriegen lassen. Man muss dranbleiben.

Durchhaltevermögen also auch eine wichtige Lehre?
Auf jeden Fall. In kaum einem anderen Studiengang trainiert man Entschlossenheit und Disziplin so stark. Und dann hat man das Gefühl, alles lernen zu können. Ein Beispiel: Die Etude Opus 10 Nr. 1 habe ich zwei Jahre jeden Tag geübt, bis ich mich getraut habe, sie vor Publikum zu spielen.

Apropos Publikum. Sie haben nach dem Studium auch drei Jahre als Konzertpianist Ihr Geld verdient. Inwiefern hilft diese Bühnenerfahrung? Als Vorstand steht man schließlich auch oft im Rampenlicht.
Klar habe ich bei den Konzertabenden gelernt, die Menschen mitzunehmen. Und wenn einem jeden Abend Zuhörer applaudieren, ist das auch nicht gerade schlecht fürs Ego. Schon bei meinem Berufseinstieg bei der Boston Consulting Group habe ich gemerkt, dass ich vor Präsentationen überhaupt nicht nervös war. Bei Nachfragen hatte ich plötzlich eine Sekunde, um nachzudenken. Die hat man bei einer Liszt-Sonate nicht.  

Sie haben gerade schon Ihren Einstieg in die Wirtschaft erwähnt. Wie kamen Sie dazu, vom Pianist zum Unternehmensberater umzuschulen?
Vor allem hat es mir keinen Spaß mehr gemacht, durch die Provinz zu tingeln und jeden Abend Konzerte zu geben. Ich hatte das Gefühl ein Nischendasein zu führen und wollte etwas machen, was in unserer Gesellschaft zentral ist. Und Wirtschaft fand ich immer schon spannend. Auch wenn ich davon keine Ahnung hatte.

Wie haben Sie dennoch den Einstieg geschafft?
Ich hatte gehört, dass Unternehmensberatungen manchmal auch Exoten einstellen und mich bei 17 von ihnen für ein Praktikum beworben. 15 haben mich abgelehnt. Bei BCG habe ich dann angefangen. Damals war ich als Pianist ein extremer Exot.

Skeptische Kollegen

Ohne jegliche Vorkenntnisse war der Einstieg sicherlich schwierig.
Das härteste war, die ersten beiden Jahre zu überstehen. Ich musste schließlich schon nach einigen Wochen liefern, obwohl ich vorher nicht mal eine Bilanz lesen konnte. Geschweige denn wusste, was eine Gewinn- und Verlustrechnung ist. 

Wie haben Sie das dennoch gemeistert?
Mein erster Schritt war, jemanden zu fragen: Was ist das wichtigste Buch in der BWL. Er hat sehr lange überlegt und mir dann von Michael Porter „Competitive Strategy“ empfohlen. Ich habe also den ganzen Porter durchgelesen, was die anderen in ihrem BWL-Studium offensichtlich nicht gemacht haben.

Und das hat geholfen?
80 Prozent aller Probleme, die in der Strategieberatung auftauchen behandelt Porter in irgendeiner Weise. Also Kreativität, gesunder Menschenverstand, harte Arbeit und Porter lesen, bringt einen schon ziemlich weit.

Waren Ihre Kollegen denn skeptisch, ob Sie das Zeug zum Berater haben?
Sicherlich. Aber ich habe sie schnell überzeugt.

Wie?
Ich war gut in Mathe. Das fanden sie schon mal cool. Wenn man mit Zahlen kann, kann man nicht ganz dumm sein. Und ich habe viel gearbeitet, das hat auch viele beeindruckt. 

Worauf Sie beim Neustart in der Lebensmitte achten sollten

Was hatten Sie Mitstreitern voraus?
Ich hatte mehr Mut. Jemand, der nie sein Heimatfeld verlassen hat und woanders hingegangen ist, den schreckt das Neue. Nachdem ich von der Bühne in die Beratung gewechselt bin und mich da etabliert hatte, konnte mich eigentlich nichts mehr schrecken. Wenn da einer gesagt hätte, morgen wandern wir nach China aus oder lass uns ein Segelboot bauen, hätte ich gesagt: Klar, lass probieren. Leute, die immer nur das Gleiche gemacht haben, denen fehlt diese Lass-mal-machen-Mentalität. Gerade jetzt in Zeiten des technologischen Wandels ist das aber unabdingbar.

Warum?
Viele haben zum Beispiel Angst davor, wie Roboter unsere Arbeitswelt verändern. Ich gehe auf solche Neuerungen zu. Ich habe schon 2012 angefangen, mich mit künstlicher Intelligenz zu beschäftigen. Und geguckt, was kann sie leisten und was eben auch nicht. Viele Menschen blenden diese Herausforderung solange aus, wie es geht und schauen, wie weit sie mit dem kommen, was sie schon können.

Haben Sie jemals dran gedacht noch einen MBA draufzusatteln?
Nein, bloß nicht. Ich habe immer das Lernen durch Praxis bevorzugt.

Jetzt sind Sie selbst Chef und stellen auch bewusst Exoten ein. Was ist die wichtigste Lehre, die Sie diesen jungen Außenseitern mit auf den Weg geben?
95 Prozent aller Barrieren bestehen nur in unserem Kopf. Wenn man wirklich etwas erreichen will und bereit ist hart zu arbeiten, dann schafft man das auch. Denn analytisches Denken hat nichts mit Zahlen zu tun, sondern damit Sachverhalte auf ihre logische Konsistenz zu prüfen. Dafür braucht man kein BWL-Studium.

Warum gibt es dann immer noch so wenig Exoten in der Wirtschaft?
Diese Erkenntnis hat sich in deutschen Chefetagen leider noch nicht großflächig durchgesetzt. Die Leute klagen zwar, dass sie keine Mitarbeiter finden. Wenn ich sie dann aber frage, ob sie mal versucht haben einen Koch einzustellen, gucken sie mich verdutzt an und fragen: Hast du einen Knall?

Ein Pianist als Banker, eine Erzieherin bei Microsoft, ein Koch als Personalchef – drei Quereinsteiger wissen: Die wichtigsten Dinge lernt man nicht im Hörsaal. Die ganze Geschichte lesen Sie hier.

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