Serie - das Geheimnis meines Erfolgs (V) Wie Dedon-Gartenmöbel die Branche revolutionierten

Bobby Dekeyser: Schulabbrecher, Profitorwart, Weltmarktführer. Wie der Dedon-Gründer die Branche der Outdoor-Möbel revolutionierte. Warum er mit Bewerbern Fußball spielt und ihm Geld nichts bedeutet.

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Bobby Dekeyser Quelle: PR

Neulich am Broadway. Die Theaterpremiere ist zu Ende. Jetzt, kurz vor Mitternacht, will Bobby Dekeyser nur noch eins: nach Hause, in sein Loft im Stadtteil Soho. Taxi? Fehlanzeige. Also winkt Dekeyser eine Rikscha herbei. Klar könne er ihn fahren, sagt der Fahrer, aber das könne dauern, er sei schon sehr müde. Dekeyser überlegt nicht lange, bittet den Fahrer, hinten Platz zu nehmen und fährt die mehrere Meilen lange Strecke durch die laue New Yorker Nacht. "Ich kam ans Ziel, hatte mich bewegt und jemandem einen Gefallen getan", sagt Dekeyser, der dem Rikscha-Halter noch 30 Dollar Fahrgeld bezahlt. "So war es für uns beide das Beste."

Sei verrückt, aber zuverlässig, nutz deine Chance, hilf anderen, verpacke deine Botschaft in eine gute Geschichte, bleib in Bewegung: Diese Maximen gehören zum Bobby-Prinzip – Dekeysers Lebensleitplanken, mit denen er, aus dem Nichts, ein Unternehmen aufgebaut hat, mit dem er nicht nur viel Geld verdient, sondern eine ganze Branche auf den Kopf gestellt hat: Dedon. Seit mehr als 20 Jahren produziert Dekeyser aus einer selbst entwickelten Kunstfaser Stühle, Sessel, Bänke, Tische für Balkon und Garten – Luxusmöbel fürs "Wohnzimmer für draußen", die auch einen Sommerregen unbeschadet überstehen. 2400 Angestellte arbeiten derzeit für Dedon weltweit, in 80 Ländern.

Mit Höhen und Tiefen zum Multimillionär

"Kaum zu glauben", sagt Dekeyser, wenn er auf sein Lebenswerk schaut, mit dem er alle denkbaren Höhen und Tiefen erlebt hat: von den Anfängen in einem umgebauten Kuhstall in der Münchner Peripherie über den Aufbau einer eigenen Fertigung auf den Philippinen und den Aufstieg zum Promi-Lieferanten für Kunden von Brad Pitt bis Papst Johannes Paul II. bis zum Verkauf an einen strategischen Investor. Dekeyser wird Multimillionär. Und kommt zurück, als der neue Anteilseigner das Unternehmen fast an die Wand fährt. "Das war ich meiner alten Truppe schuldig."

Die Zentrale in Lüneburg besucht er nur noch alle sechs Wochen, oft reist er alle zwei, drei Tage in ein anderes Land. Kümmert sich um seine Stiftung, entwickelt in Gesprächen mit Freunden Ideen für neue Projekte.

"Ich will mit meinem Esprit die Kreativität der Menschen um mich anfachen", sagt Dekeyser. "Ich bin ein bisschen Visionär, ein bisschen Realist – und hüte den bunten Haufen um mich wie ein Zirkusdirektor."

Als Junge hatte er nur Fußball im Kopf

Clown, Klassenkasper, bunter Hund: Das ist Dekeyser schon als Kind. Der Sohn eines Belgiers und einer Österreicherin – er vertreibt Fertighäuser, sie produziert Kunststoff für die Henkel von Waschmittelboxen – wächst nach der Scheidung der Eltern ohne Vater auf, ist oft auf sich allein gestellt. Streift nachts mit seiner Gang durch abbruchreife Häuser, hat tagsüber nur drei Dinge im Kopf: Fußball, Fußball, Fußball. Weil ihm der Ball leicht vom Fuß springt, stellen seine Kumpels ihn ins Tor. Dekeyser kommt regelmäßig verdreckt und voller Schürfwunden nach Hause, schreibt sich schon als 12-Jähriger akribische Trainingspläne. Hält exakt fest, wie viele Liegestützen, Situps, Sprints und Dauerläufe er zu absolvieren hat, notiert jede Banane, die er zu sich nimmt. "Du hast Talent", versichert ihm Pelé, den er während eines Jugendfußballcamps in New York kennenlernt, für das er sich qualifiziert hatte. "Folge deinem Traum, und es kann alles passieren."

Den Tipp seines Idols aus Brasilien nimmt Dekeyser, damals 16, sehr wörtlich. "Das hier ist nichts für mich", verkündet er nach seiner Rückkehr, inmitten einer Englischstunde. "Ich höre hier auf und werde Fußballprofi."

"Der Fußball hatte mich Demut gelehrt"

Erfolgreiche Gründer und ihre Geheimnisse
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Dekeyser unterschreibt einen Vertrag beim 1. FC Kaiserslautern. Tapeziert seine erste eigene Wohnung mit Trainingsplänen, beginnt sein privates Konditionsprogramm morgens um vier, hackt im Winter ein Loch ins Eis, um sich im eiskalten Seewasser abzuhärten. Als seine Karriere nach einem erfolglosen Engagement in der zweiten belgischen Liga schon zu Ende zu sein scheint, bevor sie richtig begonnen hatte, läuft Dekeyser in einer Hotellobby Jean-Marie Pfaff über den Weg. Und bittet den damaligen belgischen Nationaltorhüter und Torwart des FC Bayern München, ihm an Ort und Stelle die Bälle um die Ohren zu hauen – in der Tiefgarage des Hotels. Pfaff ist beeindruckt. "Manchmal öffnen sich für Sekundenbruchteile Türen", sagt Dekeyser bis heute, "diese Chancen muss man nutzen."

Dekeyser tut es, wird 1986, mit 21 Jahren, Reserve-Torhüter der Bayern, bekommt einen Dienstwagen, gibt Interviews im belgischen TV. Und ist doch nicht glücklich. "Stillsitzen war nie mein Ding." Er verlässt den goldenen Käfig des deutschen Branchenprimus, landet beim Lokalrivalen 1860 München. Der Ellbogencheck eines Gegners zertrümmert 1991 nicht nur sein Gesicht, sondern beendet auch seine Karriere. Dekeyser, damals 26, beschließt noch im Krankenhaus, Unternehmer zu werden – so wie seine Eltern, so wie sein Großvater. Kündigt seinen Profivertrag, lehnt attraktive Angebote ab. "Angst vor der Zukunft hatte ich nicht", sagt Dekeyser. "Der Fußball hatte mich Demut gelehrt, ich hatte gelernt, mit Enttäuschungen und Einsamkeit umzugehen, mit mir selbst klarzukommen und verstanden, dass man sich selbst das wahre Regulativ ist."

Er wollte Geld in Bewegung bringen

Mit diesem Wertegerüst und einem Finanzpolster aus der Profizeit im Rücken, richtet sich Dekeyser in einem fensterlosen Kellerraum eines Reihenhauses in der Münchner Peripherie ein Büro ein und startet einen Vertrieb für Designski – in einem 1000 Quadratmeter großen Kuhstall. "Ich wollte schon immer machen, was mir Spaß bereitet, wollte nicht reich werden, sondern Geld in Bewegung bringen", sagt Dekeyser. "Ein geiziger Unternehmer ist so inspirierend wie ein Musiker, der kein Instrument beherrscht."

Das Geheimnis meines Erfolges

Als er auf den Skiern sitzen bleibt, entwickelt Dekeyser die nächste Idee – und legt die Basis für seine Erfolgsstory. "Ich wollte eine Art Wohnzimmer für draußen schaffen." Mit eleganten, funktionalen Möbeln, die nicht bei jedem Regenguss in die Garage mussten – aus dem Kunststoff, aus dem seine Mutter seit Jahren Henkel für Waschmittelboxen produzierte. Er besucht einen Flechter auf der philippischen Insel Cebu, den er auf einer Gartenmesse in Köln kennengelernt hatte – mit einer 47 Kilogramm schweren Kunstfaserrolle im Gepäck. Die ersten Stühle werden produziert – haben will sie keiner. Auch nicht, als er mit einem Sänger im Schlepptau durch Münchens exklusivste Möbelläden zieht. Geld verdient Dekeyser trotzdem – mit der Produktion einer Bastgiraffe aus Madagaskar, die als Dekoration für einen Messestand gedacht war. Und sich zum Verkaufsschlager mausert. "Ich liebe Krisen", sagt Dekeyser, "sie geben mir Energie, auch wenn die Lage aussichtslos scheint."

Für Dekeyser zählen Zeugnisse nur wenig

Ans Scheitern zu denken erlaubt er sich nicht, 18-Stunden-Tage sind die Regel. Um den Kopf frei zu bekommen, geht er morgens joggen oder zum Wandern in die Alpen. Preist seine Möbel auf Messen zwischen Frankfurt und Singapur an, teilt sich unterwegs das Hotelzimmer oft mit vier Mitarbeitern, vereinbart Meetings mit potenziellen Kunden in den Lobbys großer Hotels – "als seien wir Gäste des Hauses". Überzeugt den Chef der Club-Med-Kette von der Qualität seiner Stühle. Beschließt, auf den Philippinen eine eigengeführte Produktion aufzubauen. Und vertraut die Mammutaufgabe einem 22-jährigen Bauernsohn an, der damals ein Praktikum bei Dekeyser macht: Hervé Lampert. Der leitet heute als CEO die Geschicke des gesamten Unternehmens, die Leitung der Fabrik auf der Insel Cebu mit rund 2200 Angestellten hat Dekeyser Hervés Bruder übertragen.

Erfolg mit Family&Friends

Dedon-Fertigung Quelle: PR

"Ich glaube an das Geschäftsmodell Family&Friends", sagt Dekeyser. "Zeugnisse waren noch nie wichtig für mich, ich verlasse mich auf meine Intuition, rede lieber mit den Menschen."

Und bittet sie zum Sport: mal auf den Fußballplatz auf dem Gelände der Unternehmenszentrale in Lüneburg, mal zum Stehpaddeln auf den Hudson River in New York. "Da seh ich genau, wie die Menschen wirklich ticken."

Um den Draht zu den Kollegen nicht zu verlieren, bucht Dekeyser auf Dienstreisen auch mal Doppelzimmer. Sorgt sich aber ansonsten sehr um das Wohl seiner Mitarbeiter: Die Büros sind groß und hell, eine italienische Köchin versorgt das gesamte Team, das mittags zum kostenlosen Essen zusammenkommt, mit Köstlichkeiten aus ihrer Heimat, auch Besprechungen mit Kunden und Kollegen finden hier statt. Zum Entspannen laden ein Fitnessstudio mit Sauna und Dampfbad, ein Fußballplatz, ein Volleyballfeld, eine Pétanquebahn. Und ein Fischteich, den Dekeyser eigens für den Hausmeister anlegen ließ, einen passionierten Angler.

Das Leitmotiv ist Lebenslust

"Nur ein zufriedener Mitarbeiter baut einen bequemen Stuhl", sagt Dekeyser. Zum Wohlfühlen gehöre neben materiellen Annehmlichkeiten auch, Fehler nicht überzubewerten. "Mir ist es lieber, jemand gibt sein Bestes und versucht etwas Neues, als vor lauter Furcht, etwas falsch zu machen, in Beamtenstarre zu verfallen."

Das Bobby-Prinzip

Das gilt auch in der Fabrik auf Cebu, wo Ohrenschützer und Schutzbrillen für die Arbeiter ebenso selbstverständlich sind wie kostenlose Pendelbusse, Gratismahlzeiten, eine Krankenversicherung und bis zu 50 Prozent höhere Löhne.

Einen Betriebsrat? "Halte ich für überflüssig, der könnte bei uns höchstens die Farbe der Fußbälle bestimmen", sagt Dekeyser. "Unser Leitmotiv heißt Lebenslust."

Zeit für Abstand

Der Erfolg gibt ihm recht: Ab 2002 werden Dedon-Möbel in Wohnzeitschriften weltweit gefeiert, selbst die "New York Times" berichtet. Die Zahl der Mitarbeiter auf Cebu verzehnfacht sich innerhalb von vier Jahren, der Umsatz verdoppelt sich damals in jedem Geschäftsjahr. Selbst Promis wie Schauspieler Brad Pitt oder Rennfahrer Michael Schumacher müssen sich bis zu einem Jahr gedulden. Dedon wird Sponsor des Deutschen Fußball-Bunds, während der WM in Deutschland 2006 flätzen sich die Publikumslieblinge Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger werbewirksam auf Dedon-Sesseln.

Trotz des Erfolgs merkt Dekeyser, dass er immer weniger Zeit für die Familie hat, ihn der Kauf von Häusern, Autos, Flugzeugen nicht glücklich macht, sich Fehler einschleichen. "Das zermürbte mich", erinnert sich Dekeyser. "Es war Zeit für Abstand, Zeit, das Ergebnis vieler Jahre harter Arbeit einzufahren."

Zurück ins Geschäft

Hilfe für die Ärmsten: Mit Kindern, die auf einer philippinischen Müllkippe leben Quelle: PR

Für einen dreistelligen Millionenbetrag verkauft er 49 Prozent an einen Investor, verschenkt etliche Millionen an wichtige Mitarbeiter. Der Preis: Das Bobby-Prinzip, die Dedon-Unternehmenskultur, verschwindet. Dekeyser findet mit seinen Ideen kein Gehör mehr, die Finanzkrise trifft Dedon schwer. Und Dekeyser beschließt, sein Lebenswerk zu retten, kauft die Anteile samt Schulden mithilfe eines privaten Investors zurück. Ihre Vorstellungen kritzeln die beiden auf ein paar kleine Zettel, besiegeln den Deal mit einem Handschlag am Ufer des Lago Maggiore, beide nur mit einem Bademantel bekleidet. Einen Tag vor Dekeysers 45. Geburtstag, im Oktober 2009.

Statt auf Stellenabbau setzt Dekeyser auf eine weltweite Werbekampagne, seit seiner Rückkehr wächst der Umsatz jedes Jahr im Schnitt um 15 bis 20 Prozent. Davon profitiert auch Dekeyser&Friends. 80 Stipendiaten aus aller Welt, vom ehemaligen Kindersoldaten bis zur Oxford-Studentin, lädt die Stiftung des Dedon-Gründers jährlich zu einem jeweils zweimonatigen Programm mit Dekeysers Promi-Freunden – etwa Sternekoch Tim Mälzer, Ex-Skistar Markus Wasmeier oder Affenforscherin Jane Goodall. Und unterstützt die jungen Leute weitere zehn Monate bei einem Projekt in ihrer Heimat. Dekeysers Anspruch: "Lebenserfahrung statt Zeugnis".

Viele Millionen Euro hat Dekeyser schon in die Stiftung gesteckt, ist ständig auf der Suche nach Investments, um die Projekte finanziell abzusichern. Und den Spielraum für seine weitere Lebensplanung zu vergrößern. "Mit 50 will ich noch mal was ganz Neues machen", sagt der bald 49-Jährige. "Das Leben ist zu kurz für Kompromisse."

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