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Warum Regeln in Unternehmen auch Ausnahmen brauchen

Ohne Regeln können Unternehmen nicht funktionieren – doch ganz ohne Ausnahmen geht es auch nicht. Warum Unternehmen manchmal Regeln brechen müssen.

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Unternehmensmanagement und Regeln in Organisationen Quelle: Fotolia

Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment: Wie vielen Leuten sind Sie heute als Mensch begegnet – und wie vielen als Mitglied einer Organisation? Das Experiment stammt vom Ökonomieprofessor Guy Kirsch. Er ging davon aus, dass wir als Repräsentant von Organisationen überwiegend anderen Repräsentanten von Organisationen begegnen – und uns entsprechend verhalten.

Organisationen sind ebenso unersetzbar wie ungeliebt. Unersetzbar, weil ohne sie kein Fußballspiel stattfindet, kein Flugzeug abhebt und kein Unternehmen eine identifizierbare Form hat. Ungeliebt, weil sie schwerfällig, stur und wuchernd sind. Für das Wuchern gibt es mehrere Gründe.

Zur Person

Die Basishandlung der Organisation ist die Entscheidung. Aus dem „So-oder-so“ wird ein „Nur-so“. Regeln vernichten Alternativen. Dadurch sollen Menschen im Hinblick auf ein Ziel arbeitsteilig kooperieren. Oder anders formuliert: Die Zusammenarbeit soll verbessert werden, indem individuelle Handlungsmöglichkeiten verkleinert werden. Deshalb gibt es Organigramme und Stellenbeschreibungen, Zielvereinbarungen und Vorschriften.

Diese Regeln werden aber selten der Komplexität der Wirklichkeit gerecht. Sie sind unvollkommen. Grund genug, neue Regeln zu erschaffen.

Wuchernde Regeln beschneiden Spielräume

Doch irgendwann wird deren Verwaltung zu aufwendig. Man muss neue Sachbearbeiter einstellen. Die aber wollen ihrerseits ihre Existenzberechtigung nachweisen – gerne mit neuen Regeln. Sie schaffen damit weitere interne Märkte, die eine angebotsinduzierte Nachfrage erzeugen. Die Folge: immer mehr Bürokratie, Vorschriften, Kontrollen, Formulare und Besprechungen.

Das ist das Dilemma vieler Organisationen: Läuft etwas schief, stellen sie sich nicht selbst infrage. Im Gegenteil. Je weniger etwas funktioniert, desto mehr wuchern sie. Die individuellen Spielräume werden dadurch enger. Die Mitarbeiter haben weniger Zeit für das, was den Wert des Unternehmens ausmacht: die Beziehung zum Kunden. Das Verwaltende erstickt das Wertschaffende.

Dadurch wird die Organisation zunehmend zum Selbstzweck. Es geht nicht mehr vorrangig darum, die Lebensqualität anderer Menschen zu verbessern, sondern zu wachsen und interne Stabilitätskriterien zu erfüllen. Wer fragt: „Was soll das?“, wird schnell isoliert. Im Zweifel hört man jenen zu, die am Funktionieren der Organisation interessiert sind – und nicht am Marktgeschehen.

Wer sich nun aber regelgerecht verhält, der macht immer wieder die Erfahrung, dass das nicht automatisch menschengerecht ist; dass man wenig Freiraum hat, um dem Einzelfall gerecht zu werden, um angemessen und verhältnismäßig zu handeln. Man kommt also um Regelverstöße kaum herum, will man sowohl betriebswirtschaftlich flexibel wie menschlich anständig sein.

Man muss die Regeln daher weit auslegen und intelligent interpretieren – nur dann wird das Zusammenleben erträglich. Das bedeutet Inkonsequenz. Ausnahme. Bloß darf diese Ausnahme nicht zur Regel werden.

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