Gilt das Prinzip auch für die Frage, ob jemand als mächtig wahrgenommen wird oder nicht?
Ja, Macht funktioniert wie eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. Man kann sich als intelligenten, kreativen, machtvollen Typen präsentieren und viele Menschen glauben dieses Bild. Das geht sogar so weit, dass man denen, die mächtig wirken, einige Fehltritte verzeiht. Nehmen Sie Jeff Bezos, der als Chef von Amazon nicht das beste Verhalten an den Tag legt und in seinem Unternehmen auch noch eine schwierige Arbeitskultur eingeführt hat. Sie und ich, wir könnten uns das nicht erlauben. Bei Bezos sagen Beobachter: “So muss man eben sein, wenn man Marktführer werden will.” Sie rationalisieren sein Verhalten nachträglich.
Fällt dieses “So-tun-als-ob”-Verhalten nicht irgendwann auf einen zurück?
Nach meiner Erfahrung nicht wirklich. Natürlich ist ein kleines Risiko dabei, aber der mögliche Gewinn wiegt das auf. Erstens sind die meisten Menschen konfliktscheu und zweitens hätte niemand etwas davon, sie herauszufordern. Es ist viel einfacher, einfach mitzuspielen.
Warum sollten andere dabei mitspielen?
Die Grundlagen der menschlichen Psychologie haben sich in den letzten 500 Jahre nicht wesentlich geändert. Wir wollen uns gerne mit Gewinnern umgeben, deshalb hilft es, sich als einer zu gerieren. Umgekehrt haben wir Angst, dass die Aura des Versagens von Gescheiterten auf uns abfärbt. Wir scheuen die offene Auseinandersetzung, wir wollen, wenn es denn Hierarchien gibt, lieber an der Spitze, als am Ende stehen.
Das ist eine recht zynische Sicht.
Aber so ist es. Menschen tolerieren Verhalten, dass sie normalerweise verurteilen würden, wenn es sie näher an den Erfolg bringt. Deshalb rekonstruieren wir das Verhalten der genialen Menschen mit schwierigem Charakter, von “brilliant jerks” wie Steve Jobs. Moral spielt dabei kaum eine Rolle. Aus Gründen, die auch ich nicht voll und ganz verstehe, kann man sich in unserer Gesellschaft fast alles erlauben, solange man nur reich und erfolgreich ist.
Was muss man also können, um mächtig zu werden?
Auf jeden Fall muss man pragmatisch sein. Man muss wissen, was man will und was man tun muss, um das zu bekommen. Auf das Ziel fokussiert sein, das man erreichen will. Dabei sind auch politische Fähigkeiten wichtig.
Was verstehen sie darunter?
Man muss herausfinden, wer die Macht hat und es verstehen, eine Beziehung zu den Mächtigen aufzubauen. Was wollen sie? Wie kann man ihnen dabei helfen, das zu bekommen, was sie wollen? Und wie kann man selbst davon profitieren?
Einfühlungsvermögen ist also wichtig.
Genau. Man muss ein Chronist der Macht werden, das Verhalten der Entscheider beobachten und verstehen, was es bedeutet. Man muss nicht unbedingt ein Tagebuch über den Chef schreiben, aber über das eigene Verhalten und das von Kollegen und Vorgesetzten zu reflektieren, ist hilfreich. Man muss die Menschen studieren, um mächtig zu werden und man kann viel über sie lernen, wenn man sie beobachtet.
Bringen Sie das auch Ihren Studenten in Stanford bei?
Klar, die Leute müssen sich besser auskennen, wenn es um Macht geht. Wer heute frisch auf den Arbeitsmarkt kommt, ist kaum darauf vorbereitet. In Seminaren über Führung und Leadership geht es oft darum, wie die Welt sein sollte und nicht darum wie sie ist. Den Lehrenden fehlt manchmal der Bezug zur Realität.
Kann man denn ein netter Mensch bleiben und eine steile Karriere hinlegen, ohne seine Integrität zu opfern?
Das hat bestimmt schon mal jemand geschafft, aber viele gibt es davon nicht.