Statt Homeoffice Ist Coworking die Lösung für Mitarbeiter, die nicht zurück ins Büro wollen?

Quelle: imago images

Lange waren Coworking-Spaces bloß Arbeitsorte für hippe Start-ups. Jetzt bringen dort selbst Konzerne etliche Mitarbeiter unter, denen der Weg ins richtige Büro zu weit ist. Was es zu beachten gilt.

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Wenn Rainer Schubert davon erzählt, wie er und seine Kollegen vor vier Jahren beim IT-Dienstleister Datev gearbeitet haben, klingt das alles weit, weit weg. Nach analoger Welt. Nicht nach IT. Zwar war mobiles Arbeiten auch schon vor der Pandemie bei seinem Arbeitgeber möglich, sagt Schubert. Nur hat das niemand genutzt. „Denn die Kommunikationswege waren einfach nicht darauf ausgelegt“, erläutert Schubert. „Wer das Büro verlassen hat, war meist von jeglicher Kommunikation abgeschnitten.“ Büro first, Flexibilität second.

Heute ist das anders. Und das liegt maßgeblich an Schubert, der bei Datev eine besondere Aufgabe hat. Er leitet den Bereich Entwicklung neuer Arbeitswelten. 2020, zu Beginn der Pandemie, gründete sich bei Datev eine Projektgruppe, die herausfinden sollte, wie die Belegschaft in Zukunft arbeiten will. Eine Erkenntnis: Coworking-Spaces mussten her. 

Fünf verschiedene mietete Schubert 2022 rund um die Firmenzentrale in Nürnberg, wo 8000 Menschen arbeiten, an. Vorher hatte Schubert mit seinem Team anhand der Postleitzahlen analysiert, wo die Beschäftigten wohnen. Manche pendelten Tag für Tag 100 Kilometer nach Nürnberg – und wieder zurück. Die Menschen, die 15 Minuten um einen Space herumwohnen, fragte Schubert, ob sie nicht ab und zu dort arbeiten und ihm von ihren Erfahrungen berichten wollen.

Und siehe da: Die Initiative glückte. 150 Mitarbeiter nahmen an der Testphase teil, inzwischen haben sich 400 weitere in den Spaces einquartiert. Schubert hat einen Ort gefunden, mit dem er die Nachteile des Homeoffice – geringe Sichtbarkeit, soziale Isolation – tilgt, ohne die Vorzüge – keine Pendelei, mehr Ruhe, Flexibilität und Selbstbestimmung – zunichtezumachen.

Highspeed in der Pause: In dem Coworking-Space, den Datev in Erlangen nutzt, steht eine Carrera-Bahn. Quelle: Datev

Geschäftstreiber Pandemie

Neu ist seine Idee nicht. Sie erlebt nur – angetrieben durch den coronabedingten Siegeszug der mobilen Arbeit – eine Art Comeback. Plötzlich ist es normal, Hunderte, gar Tausende Kilometer weit entfernt vom eigentlichen Standort zu arbeiten. Das spielt den Betreibern der Spaces in die Karten. Noch vor der Pandemie, Ende 2019, musste der Branchenprimus WeWork den Börsengang abblasen.

Während der Pandemie lief das Homeoffice dem Büro seinen Rang ab. Und zum Büro zählte der Coworking-Space. Nun beordern allerorts Unternehmen ihre Belegschaft zurück ins Büro. Doch viele wollen nicht zurück: In einigen Branchen diktieren die Arbeitnehmer den Unternehmen heute die Bedingungen, weil Arbeitskräfte so knapp sind. Und so avancieren Coworking-Spaces in vielen Firmen wie bei Datev zu einer Homeoffice-Alternative. Wenn sie schon nicht bis ins Büro fahren, dann zumindest in Gebäude in ihrer Nähe, in dem auch einige Kollegen sitzen, so das Kalkül der Arbeitgeber. Doch was genau können Coworking-Spaces leisten? Wo liegen die Vorteile? Und was kann das richtige Büro noch besser?

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Ricarda Bouncken, die an der Universität Bayreuth schon seit mehreren Jahren zu Coworking-Spaces forscht, ist überzeugt: „Für soziale und kreative Prozesse sind diese Orte, die eben Gemeinschaftsgefühl und Abwechselung bieten können, ein ganz wichtiges Element.“ Ein Potenzial, das Unternehmen laut Bouncken „nicht außer Acht lassen“ sollten. Bei einer Forschungsreise nach China hatte die Inhaberin des Lehrstuhls für Strategisches Management und Organisation im Jahr 2008 das erste Mal von Coworking-Spaces gehört. Ihr Forschungsinteresse war geweckt. Gemeinhin gilt ein 2005 in der kalifornischen Metropole San Francisco eröffneter Bau als erster Coworking-Space. Der Bundesverband Coworking Spaces zählte im Frühjahr 2020 fast 1300 Spaces in Deutschland – vier Mal so viele wie Anfang 2018.

Das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) hat im Mai 2022 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) die Bedeutung von Coworking-Spaces als dritter Arbeitsort – eben neben Homeoffice und Büro – untersucht. Und dabei einige Vorteile herausgearbeitet: Da wäre zum einen „die Verfügbarkeit einer hochwertigen und professionellen Büroinfrastruktur inklusive technischem Vor-Ort-Support“. Ein weiterer Vorzug: Im Coworking-Space  können ähnlich wie im Büro „potenzielle Ablenkungen durch Sorgearbeit oder eigentlich in die Sphäre der Freizeit gehörende Aktivitäten, die parallel oder statt der beruflichen Aufgaben zu Hause ausgeführt werden, vermieden werden“.

„Gute Zwischenlösung“

Laut Wissenschaftlerin Ricarda Bouncken ist die Nutzung eines Coworking-Spaces „keine Branchenfrage“. Auch produzierende Firmen nutzen die Flächen mitunter, „um Innovation voranzutreiben, indem sie Teams aus verschiedenen Abteilungen dort für ein paar Stunden, Tage oder Wochen zusammenbringen“. Und andere Firmen wie etwa Datev haben die Spaces gleich zur Homeofficealternative erklärt. „In unserer Forschung“, erklärt Bouncken, „haben wir festgestellt, dass Coworking-Spaces positive Auswirkungen auf die Kreativität und die Innovationsfähigkeit von Einzelpersonen und Teams haben“. Ein Grund dafür sei, dass die Grenzen zwischen verschiedenen Teams und Abteilungen im Coworking-Space abgebaut werden. „Die Nutzer der Spaces haben häufig die Möglichkeit, mit anderen Teams und Leuten unterschiedlicher Hierarchiestufen zu arbeiten oder ihnen einfach nur zu begegnen“, sagt Bouncken, die Coworking-Spaces deshalb als „gute Zwischenlösung“ bezeichnet. Und zwar „zwischen den Problemen im Homeoffice wie der Vereinsamung und den Vorzügen des Büros“.

Die Motive der Datev-Mitarbeiter, das Homeoffice gegen den Platz im Coworking-Space einzutauschen, sind „vielfältig“, wie Rainer Schubert berichtet. „Manche brauchen den Tapetenwechsel, bei anderen ist der Strom abgestellt oder ein Familienmitglied krank – und wieder andere Kollegen haben auf dem Land schlechtes Internet oder hocken am Küchentisch.“

Dabei ist es jedoch wichtig, wo die Spaces liegen. In dem sechsmonatigen Versuch hat Rainer Schubert bei Datev auch einen Space am Stadtrand von Nürnberg angemietet. „Dieser wurde allerdings viel schlechter besucht als die Spaces außerhalb der Stadt. Die Mitarbeitenden waren also eher bereit, den etwas längeren Weg ins Büro zu nehmen“, erzählt Rainer Schubert.

Und noch mehr gilt es zu beachten. „Einfach nur zu sagen, wir nutzen mal einen Space, weil das gerade cool ist, greift viel zu kurz“, sagt Bouncken. Stattdessen müssen Unternehmen laut der Professorin gleich mehrere grundlegende Fragen beantworten: Welche Formen von Coworking-Spaces sie nutzen wollen, wie deren Interieur gestaltet ist, was dieses vermitteln soll. Was soll das Team dort leisten? Sollen Ideen entstehen? Soll die Motivation gesteigert werden? Wer darf hier arbeiten? Und wie lange? Außerdem benötigen die Firmen laut Bouncken „Feingefühl“, wenn sie Coworking-Teams aus verschiedenen Bereichen zusammenstellen: „Jemand, der eher in der Fabrikation arbeitet, weiß vielleicht nicht, was er in diesem eher bürogeprägten Umfeld machen soll, wie er hier überhaupt zusammenarbeiten kann – und ist zu Beginn erst mal skeptischer.“ Doch gerade „die sehr unterschiedlichen fachlichen und auch persönlichen Hintergründe“ helfen der Kreativität oftmals auf die Sprünge.



Lockmittel für Arbeitskräfte?

Sind diese Fragen geklärt, können Coworking-Spaces laut den IZA-Forschern sogar ein Mittel gegen den Fachkräftemangel sein. So ließe sich „mit einer Verlagerung der Berufsausübung weg vom betrieblichen Arbeitsplatz hin zu dezentralen Arbeitsorten die räumliche Ausdehnung des Arbeitsmarkts, aus dem heraus Personal gewonnen werden kann, vergrößern“. Das Urteil der Forscher: Die Chancen, erfolgreich neues Personal zu rekrutieren, steigen durch Coworking-Spaces.

Doch den Zusammenhalt zwischen direkten Kolleginnen und Kollegen, der laut Meinung vieler Führungskräfte unter Corona so gelitten hat, stärken die Spaces nicht, wie Rainer Schubert bei Datev lernen musste. „Denn es muss schon ein enormer Zufall sein, dass ausgerechnet ein gesamtes Team in der Nähe desselben Coworking-Space wohnt und dort aufeinandertrifft“, sagt Schubert. Und so kämen die Teams meist an einem der Nürnberger Bürostandorte zusammen. Aber immerhin: „Die Begegnungen in den Coworking-Spaces fördern den Austausch zwischen verschiedenen Abteilungen. Da haben sich plötzlich Menschen kennengelernt, die vorher nie etwas miteinander zu tun hatten und die jetzt viel mehr Verständnis füreinander aufbringen“, sagt Schubert.

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Laut Bouncken ist die gemeinsame Arbeitsaufgabe jedoch nicht zwingend entscheidend. Auch „ein zufälliger Kaffee an der Theke oder eine Runde am Tischkicker“ fördern Austausch und Kreativität. „Unternehmen müssen aber zwingend Sorge tragen, dass im Homeoffice oder im offenen Coworking-Space nicht die wichtige Identifikation mit dem Arbeitgeber verloren geht“, sagt Bouncken. Für diese Identifikation braucht es Präsenz, gemeinsame Momente. „Das funktioniert besser, wenn ganze Teams zusammenkommen“. Also wie am eigentlichen Standort des Unternehmens. „Im Coworking-Space können Unternehmen diese Identifikation aber zumindest aufrechterhalten, wenn sich Beschäftigte desselben Unternehmens treffen“, meint Bouncken.

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