Sie sind der festen Überzeugung, dass so mancher wirtschaftliche Zusammenhang am besten über eine Geschichte vermittelt werden kann. Welche Story haben Sie zuletzt erzählt?
Scholl: Als wir in einem Projekt in Japan zum Ergebnis kamen, dass die japanische Niederlassung zu wenig Vertriebsstärke hat, erzählten wir die Geschichte, dass um 12 Uhr mittags das Licht im Gebäude abgeschaltet und um 13 Uhr wieder angeschaltet wird. Wir saßen mit dem dortigen Chef eine Stunde im Dunkeln, weil das eine automatische Zwangspause ist. Alle Mitarbeiter rücken kontrolliert um 12 Uhr zur Mittagspause ab und sitzen um 12.59 Uhr wieder zur Erleuchtung am Arbeitsplatz. Alle. Und das traf auch die Mentalität der gesamten Niederlassung.
Also eine einprägsame Geschichte zur Informationsvermittlung.
Van de Laar: Ja und das funktioniert, weil 98 Prozent unseres Denkens unbewusst verläuft. Storytelling ist ein trojanisches Pferd für Zahlen und Fakten. Guten Kommunikatoren gelingt es komplexe Inhalte, abstrakte Daten oder unübersichtliche Zahlen so darzustellen, dass bei den Zuhörern ein greifbares Bild entsteht.
Was ist dafür ein gutes Beispiel?
Van de Laar: Die Rede von Steve Jobs im Jahr 2005 an der Stanford Universität. Jobs erzählte von drei emotionalen Schlüsselerlebnissen aus seinem Leben. Hinter jeder Anekdote stand eine inspirierende Botschaft für die Absolventen.
Muss man also ein großer Redner wie Steve Jobs sein, um Storytelling benutzen zu können?
Scholl: Es schadet sicherlich nicht. Entscheidend ist, dass die Geschichte zur Zielgruppe passt. Es ist somit ein Unterschied, ob ich mit einer Botschaft Kunden ansprechen möchte oder potentielle Mitarbeiter über mein Unternehmen informieren will. Diese Videos, in denen Arbeitnehmer von ihrem Joballtag erzählen, sind ebenfalls gute Beispiel für Storytelling.
Warum?
Scholl: Sie verpacken die Informationen über den Job und den Arbeitgeber in Geschichten aus dem Alltag – vorausgesetzt sie sind gut gemacht. Dadurch dass ein Mitarbeiter von seinen persönlichen Erfahrungen berichtet, wird die Geschichte authentisch.
Was muss ich noch beachten?
Scholl: Geschichten müssen strukturiert sein. Häufig wirken gute Erzählungen spontan, sind sie aber so gut wie nie. Entscheider aus Marketingabteilungen, Social Media-Manager, aber auch Vorstände müssen sich im Vorfeld genau überlegen, was mit der Geschichte transportiert werden soll und sie darauf aufbauend konzipieren.
Van de Laar: Wenn die einzelnen Botschaften dann noch einprägsam formuliert sind, besteht die Chance, dass sie weitererzählt werden und sich organisch verbreiten.
In etwa Geschichten, die auf Facebook und Twitter dann wochenlang die Runde machen?
Van de Laar: Im Idealfall ja. Soziale Medien spielen bei der Verbreitung häufig eine wichtige Rolle. Gute Geschichten werden aber schon immer weitererzählt. Storytelling funktionierte lange bevor das Internet erfunden wurde.
Scholl: Ein Beispiel einer Anekdote, die sich über Jahrzehnte gehalten hat, kommt von Robert Bosch. Er fand eine Büroklammer auf dem Fabrikboden und fragte einen der Arbeiter, was dort läge. Dieser antwortete: „Eine Büroklammer.“ Bosch entgegnete: „Nein, mein Geld.“ Das ist ein Lehrstück, wie mithilfe interner Kommunikation die eigene Unternehmenskultur geprägt wird und sagt aus: Lass die Details niemals aus dem Auge, denn sie sind entscheidend.
"I have a dream", nicht: "I have a plan"
Wie gut beherrschen Vorstände von heute dieses Instrument?
Scholl: Generell kann man sagen, je höher die Hierarchieebene desto häufiger nutzen Manager Storytelling. Dieter Zetsche erzählt beispielsweise immer wieder die Geschichte, als er in einem Autohaus nicht erkannt wurde und wie er dort behandelt wurde. Die Botschaft dahinter: Orientiert euch mehr am Kunden!
Van de Laar: Auch in der politischen Kommunikation ist durchaus Bedarf für Storytelling. Zu häufig lesen wir von komplexen 9-Punkte-Plänen, deren Inhalt sich kaum ein Wähler merken kann, geschweige denn weitererzählt. Martin Luther King sagte ja auch nicht: „I have a plan.“ Sondern: „I have a dream.“
Wie hat sich Storytelling durch das Internet und die sozialen Medien verändert?
Van de Laar: Social Media hat Storytelling durch zwei Aspekte grundlegend verändert: Zum einen können Geschichten multimedial mit Bildern, Videos oder interaktiven Elementen greifbarer gemacht werden. Zum anderen bieten soziale Netzwerke jedem die Möglichkeit zu interagieren und Teil der Erzählung zu werden.
Scholl: Allerdings werden wir dadurch mit einer stetig steigenden Flut von Informationen konfrontiert. Unternehmen benötigen also sehr gute und inspirierende Geschichten, um aus der Masse herauszustechen. Durch die Vielzahl der Kanäle können Mitarbeiter in Unternehmen deutlich mehr kommunizieren. Das birgt viele Chancen, kann aber auch dazu führen, dass die Botschaften an Konsistenz verlieren.
Was können Unternehmen dagegen tun?
Scholl: In manchen Kommunikationsabteilungen gibt es Leitfäden darüber, was auf den digitalen Plattformen geschrieben werden darf und was nicht.
Halten Sie das für sinnvoll?
Scholl: Ja, die Implementierung sogenannter Social Media Guidelines sind definitiv sinnvoll. Sie liefern konkrete Handlungsempfehlungen und informieren gleichzeitig darüber, welche Auswirkungen Äußerungen in den sozialen Medien haben können. Zum anderen fördern sie eine aktive Partizipation und einen Dialog im Sinne der Unternehmensziele und Kultur. Nicht zuletzt bilden die Guidelines eine Grundlage dafür, dass Mitarbeiter zu Markenbotschaftern des Unternehmens werden und somit einen positiven sowie authentischen Eindruck über die sozialen Netzwerke ausstrahlen.
Welchen Stellenwert nimmt Storytelling in Deutschland ein, wenn man das mal im internationalen Vergleich betrachtet?
Scholl: Traditionell ist die Unternehmenskommunikation im anglosächsischen Raum stärker vom Storytelling geprägt. Gleichzeitig beobachte ich in Gesprächen mit europäischen und asiatischen Geschäftspartnern, dass nicht nur im sozialen sondern auch im Businesskontext mehr und mehr persönliche Erfahrungen und Anekdoten in unsere Interaktion einfließen.