Für seinen Modegeschmack war Steve Jobs, der verstorbene Apple-Gründer, nie bekannt. Deshalb hatte er sich auch im Jahr 2007 nicht besonders herausgeputzt, als er das iPhone vorstellte – immerhin ein Gerät, das die Art, wie wir kommunizieren, tief greifend verändern sollte. Schwarzer Rollkragenpullover, die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, den Bund lose in den Saum seiner ausgewaschenen blauen Jeans gestopft, randlose Brille im Gesicht und an den Füßen ausgetretene, helle Turnschuhe. Jobs protzte lieber an anderer Stelle: mit seinen Worten.
Sein vielleicht größtes Talent lag darin, seine Visionen so zu verpacken, dass daraus ein fesselnder Plot entstand. Auch bei der iPhone-Präsentation. Anstatt seine Zuhörer mit technischen Superlativen zu erschlagen und von Zwei-Megapixel-Kameras und 3,5-Zoll-Multitouch-Displays zu schwadronieren, erzählte er ihnen stattdessen lieber eine Geschichte. Er spann einen roten Faden durch die Historie des Konzerns; knüpfte ihn an vergangene, einflussreiche Produkte wie Mac und iPod; wickelte ihn um die früheren Siege. Bis nur noch ein logischer Schluss möglich war: „Wir bei Apple verändern schon immer die Welt. Und dieses Telefon ist der nächste Schritt.“
Die Organisationsforscher Abz Sharma und David Grant von der Universität Sydney haben Jobs’ Storytelling-Fähigkeiten genauer untersucht. „Er nutzte das Geschichtenerzählen als mächtiges Überzeugungsinstrument“, schreiben sie in ihrer Analyse.
Tipps für gute Geschichten
Die meisten erfolgreichen Bücher funktionieren nach dem Prinzip der Heldenreise. Denken Sie an die großen Abenteuer, von Odysseus’ Irrfahrten bis zum „Herrn der Ringe“. Die Helden haben ein großes Ziel, doch dem stehen scheinbar unüberwindbare Hindernisse gegenüber. Dieser Kampf erzeugt Spannung.
Wann waren Sie zuletzt ratlos? Wann mussten Sie eine mutige Entscheidung treffen? Wann haben Sie gemerkt, dass etwas funktioniert? Erinnern Sie sich nicht nur an die Fakten, sondern auch an Ihre Gefühle in der Situation. Besonders passend sind negative Erinnerungen mit positivem Ausgang.
Geschichten vom Scheitern sorgen beim Publikum für stärkere Emotionen – vor allem, wenn Sie sie tatsächlich selbst erlebt haben. Die meisten Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob sich jemand verstellt. Eine frei erfundene Geschichte kann daher eher schaden, weil sie das Vertrauen untergräbt.
Setzen Sie Ihre Geschichten dosiert und vor allem gezielt ein. In einer Telefonkonferenz mit Finanzinvestoren müssen die Zahlen stimmen, eine Geschichte kann da ablenken. Auch komplizierte Geschäftsentscheidungen werden durch zu große Emotionalisierung nicht leichter.
So wie der verstorbene Apple-Chef setzen mittlerweile viele CEOs auf die Macht von Geschichten, um Mitarbeiter anzutreiben, Anleger zu überzeugen oder ihr Bild in der Öffentlichkeit zu gestalten. Als der Schwede Ingvar Kamprad, Gründer des Möbelherstellers Ikea, den Mitarbeitern seine Idee des Unternehmens näherbringen wollte, schrieb er seine eigene Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Lebensgeschichte auf 80 Seiten nieder – gewissermaßen als Vorbild und Inspiration für die Angestellten. Elon Musk, CEO des Elektroautoherstellers Tesla und des Raumfahrtunternehmens SpaceX, umgarnt die Investoren angesichts der aktuell wenig beeindruckenden Geschäftszahlen lieber mit seinen Visionen. Er zeichnet ihnen ein Bild von einer Zukunft, in der seine Elektroautos das Klima auf der Erde retten, während die Menschheit nach und nach in seinen Raketen den Mars besiedelt.
Storytelling als Führungsqualität
Dieese Beispiele zeigen, was den Charme eines guten Erzählers ausmacht: Er gibt vermeintlich schnöden Fakten und einzelnen Ereignissen einen tieferen Sinn, indem er sie in eine Handlung einbettet, die genau auf die Bedürfnisse der Zuhörer zugeschnitten ist – und das Publikum bewegt zurücklässt.
Das Prinzip dahinter funktioniert schon seit Jahrtausenden. „Das Erzählen von Geschichten ist die älteste Kulturtechnik, um Sinnzusammenhänge zu vermitteln“, sagt Jürgen Weibler, Professor für Personalführung an der Fernuniversität Hagen. Der Ökonom und Psychologe hat sich in seiner Forschung mit Storytelling als Führungsqualität befasst. „Eine gute Geschichte stiftet aber nicht nur Sinn“, sagt Weibler, „sie berührt auch emotional.“ Das weckt bestenfalls Erinnerungen und Gefühle – und sorgt dafür, dass die Geschichten im Kopf bleiben.
Reaktion im Gehirn deutlich stärker
Aber was macht sie für ihre Zuhörer so überzeugend? Und warum reagieren fast alle Menschen so stark auf Erzählungen? Der amerikanische Literaturwissenschaftler Jonathan Gottschall vom Washington & Jefferson College würde sagen: weil sie nicht anders können. Er sieht den Menschen als „storytelling animal“, als geschichtenerzählendes Tier. Von klein auf hören, sehen und lesen wir Geschichten. Durch Märchen lernen wir als Kinder den Unterschied zwischen Gut und Böse; erfinden Fantasiewelten und erzählen dort eigene Legenden; sehen in Häppchen verpackte Erzählungen in Fernsehserien. Als Erwachsene tauschen wir Klatsch und Tratsch oder lauschen den Anekdoten von Politikern und Unternehmern in den Nachrichten.
Unser Leben, glaubt Gottschall, ist derart von Geschichten bestimmt, dass er sie als die definierende Eigenschaft unserer Spezies versteht. Statt des Homo sapiens sieht er im Menschen den Homo fictus, den großen Primaten mit dem geschichtenerzählenden Geist. Und tatsächlich: Wenn wir Geschichten hören, reagiert unser Gehirn anders, als wenn wir bloß ein Balkendiagramm oder eine Tabelle betrachten. Und diese unterschiedlichen Reaktionen können Wissenschaftler mittlerweile sogar im Gehirn nachverfolgen. Dort bilden das Wernicke-Zentrum und das Broca-Areal das Sprachzentrum, zusammen verarbeiten sie Satzbau, Aussprache und Tonalität. Bei langweiligen Vorträgen werden nur diese Regionen aktiviert. Wenn aber konkrete, sinnliche Wörter in Geschichten verwendet werden, spiegelt sich das auch im Kopf der Zuhörer wider.
Diese Dax-Chefs halten die verständlichsten Reden
Die Universität Hohenheim bei Stuttgart hat bei den Dax-Hauptversammlungen im Jahr 2015 ganz genau auf die Verständlichkeit der Reden geachtet. Die Forscher erstellten einen Verständlichkeitsindex auf einer Skala von 0 (formal schwer verständlich) bis 20 (formal leicht verständlich).
Schlusslicht ist Michael Diekmann mit einem Wert von 8,4. Für den Ex-Allianz-Chef war es ohnehin die Abschiedsrede: Er hatte sich auf der jüngsten Hauptversammlung nach zwölf Jahren an der Spitze von der Versicherung verabschiedet.
Nicht viel besser schnitt Beiersdorf-Chef Stefan F. Heidenreich ab. Er kam auf einen Wert von 8,7. Damit hat er sich - wie auch Diekmann - im Vergleich zum Vorjahr um 0,7 Prozentpunkte verbessert. Allerdings liebt Heidenreich lange Schachtelsätze: 13,95 Worte benutzt er im Schnitt pro Satz.
Heinrich Hiesinger verwendete bei der ThyssenKrupp-Hauptversammlung durchschnittlich 14,1 Worte pro Satz. Auf der Verständlichkeitsskala von 0 bis 20 erreicht er einen Wert von 9,0.
Nikolaus von Bomhard, seit 2004 Vorsitzender des Vorstands der Munich Re, hat sich im Vergleich zum letzten Jahr verschlechtert, was die Verständlichkeit seiner Rede anbelangt. Statt 10,4 erreicht er 2015 nur noch einen Wert von 10. Mit 14,65 Worten pro Satz wird der Chef des Rückversicherers nur noch von Schachtelsatzkönig Diekmann (15,68) übertroffen.
Siemens-Chef Joe Kaeser hat sich dagegen um 0,5 Punkte verbessert und erreicht einen Wert von 12,2. Aber auch Kaeser ist ein Freund des Satzungetüms: Im Schnitt packt er 14,56 Worte in einen Satz.
Gleichauf mit Kaeser liegt Karl-Ludwig Kley mit ebenfalls 12,2. Der Merck-Chef nutzt zwar pro Satz nur elf Worte, dafür packt er in 17 Prozent seiner Sätze mehr als zwei Informationen.
2015 kamen die Dax-Bosse bisher durchschnittlich auf 13,1 Verständlichkeitspunkte. Lufthansa-Chef Carsten Spohr liegt mit einem Wert von 13,0 also ganz knapp unter dem Durchschnitt.
Auch Henkel-Chef Kasper Rorsted hat 2015 seinen Aktionären bei der Hauptversammlung schon Rede und Antwort gestanden. Da er mit einem Wert von 13,2 knapp über dem Mittelwert liegt, dürften sie ihn sogar verstanden haben.
Reinhard Ploss, Vorstandsvorsitzender der Infineon AG, bildet kurze Sätze und bildet wenig Passivkonstruktionen. Das nützt der Verständlichkeit. Er kommt auf einen Wert von 13,9.
Der Niederländer Peter Terium belegt mit einem Wert von 14,9 den sechsten Platz. Und das, obwohl er sich um 2,4 Punkte verschlechtert hat.
Elmar Degenhart, seit 2009 Vorstandsvorsitzender der Continental AG, erreicht einen Wert von 15,0. Mit durchschnittlich 8,92 Worten pro Satz bildet er übrigens die kürzesten Sätze aller "abgehörten" Dax-Chefs.
Auch Daimler-Chef dieter Zetsche können Aktionäre gut folgen. Er erreicht einen Wert von 15,4. Das macht Platz vier.
Der dritte Platz geht den BASF-Vorstandsvorsitzenden Kurt Bock. Wie auch im Vorjahr erreichte er einen Wert von 15,9. Und das, obwohl er durchschnittlich 12,3 Worte in einem Satz unterbringt.
Die größte Verbesserung gab es bei VW-Chef Martin Winterkorn: Um 4,2 Punkte verbesserten sich seine Reden. Er erreicht nun einen Wert von 17,2.
Martin Blessing erreicht ebenfalls einen Wert von 17,2. Damit redeten Winterkorn und Commerzbank-Chef Blessing auf den bisherigen Hauptversammlungen 2015 so klar wie sonst kein anderer Spitzenmanager. Allerdings haben 2015 auch noch nicht alle Dax-Konzerne ihre Aktionärstreffen abgehalten.
Forscher um den spanischen Psychologen Julio González Álvarez von der Universität Castellón wiesen diese Wirkung im Jahr 2006 mit Bildgebungsverfahren nach. Hörten Probanden vermeintlich nüchterne Wörter wie Schlüssel oder Stuhl, aktivierte sich nur ihr Sprachzentrum. Bei sinnlicheren Wörtern wie Zimt oder Kaffee sprang im Gehirn der Freiwilligen zusätzlich auch das olfaktorische Zentrum an, das Gerüche erkennt und verarbeitet.
Eine ähnliche Studie untersuchte den Effekt von Bewegungswörtern und kam zu einem ebenso verblüffenden Ergebnis: Wer davon hört, einen Ball zu treten oder ein Objekt zu greifen, in dessen Gehirn wird gleichzeitig das motorische Zentrum aktiviert.
Das Gleiche gilt für Metaphern, wie der Neurologe Krish Sathian von der amerikanischen Emory-Universität herausfand. Er spielte seinen Probanden statt einzelner Wörter Sprachbilder wie „ledrige Haut“ oder „samtige Stimme“ vor und überwachte dabei ihre Hirnaktivitäten. Wieder wurden neben dem Sprachzentrum die für den Tastsinn zuständigen Areale aktiviert.
Unser Denkapparat unterscheidet also kaum zwischen der Ausführung einer Handlung und dem Nachdenken über selbige. Wer seine Botschaft mit einer besonders anschaulichen Geschichte vermittelt, kann sie so tief im Geist der Zuhörer verankern. Auch Wirtschaftsführer sollten diese Technik nutzen, findet Frank Brettschneider.
Verständlichkeitsindex für Dax-Vorstände
„Geschichten entsprechen unseren Hörgewohnheiten viel eher als zahlenlastige Vorträge“, sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim. Auf deutschen Chefetagen setzt sich diese Erkenntnis allerdings nur langsam durch – zum Verdruss von Aktienbesitzern auf Hauptversammlungen oder Journalisten bei Bilanzpressekonferenzen.
Brettschneider untersucht regelmäßig, wie verständlich die Reden von Dax-Vorständen bei den jährlichen Treffen sind, und bewertet sie nach vergleichbaren Formkriterien. Nutzt ein CEO zum Beispiel sehr lange Schachtelsätze, die vor Fremdwörtern oder Passivkonstruktionen nur so strotzen, bekommt er weniger Punkte als ein Vorstand, der sich kurz fasst und klar und deutlich ausdrückt. Die ersten drei Plätze auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex belegten in diesem Jahr Timotheus Höttges (Deutsche Telekom), Norbert Reithofer (damals BMW) und Ulf Schneider (Fresenius).
Zwar tauchen immer noch Satzungetüme in den Manuskripten auf, aber die meisten Topmanager drückten sich seit einigen Jahren wesentlich verständlicher aus, sagt Brettschneider. Gegenbeispiele waren bei den vergangenen Hauptversammlungen wie schon in den Vorjahren vor allem die scheidenden CEOs Michael Diekmann (Allianz) und Reto Francioni (Deutsche Börse). Den Rekord für den längsten Satz hält aktuell E.On-Chef Johannes Teyssen – mit 62 Wörtern.
Mit Kauderwelsch lassen sich keine Herzen gewinnen
Bereit? Los geht’s: „Die Gründung von E.On als offensive Antwort auf die Liberalisierung der europäischen Energiemärkte, die Auflösung der überkommenen Konglomerats-Struktur mit einem 100-Milliarden-Euro-Programm aus Beteiligungsverkäufen und -erwerben, die Fokussierung auf das Energiegeschäft und dessen entschlossener europäischer Ausbau, die Übernahme von Ruhrgas, um die Grenzen zwischen Strom- und Gasgeschäft zu überwinden – immer haben wir die Kraft gehabt, uns neu aufzustellen, wenn die Zeit dies erforderte.“ Keine weiteren Fragen.
Die wesentlichen Verständlichkeitshürden sind nach Angaben von Brettschneider Bandwurmsätze, abstrakte Begriffe, zusammengesetzte Wörter und nicht erklärte Fachbegriffe: „Zusammengenommen ergibt sich dann Kauderwelsch statt Klartext.“ Neben den formalen Kriterien empfiehlt der Kommunikationswissenschaftler aber, wenn möglich auch anschauliche Elemente in die Geschichte einzubauen.
Zehn Tipps für die perfekte Rede
Wenn Sie vollkommen auf die Situation und den Inhalt Ihrer Rede fokussiert sind, können Sie Ihr Gegenüber am besten fesseln. Sind Sie nicht bei der Sache, bemerkt das Ihr Publikum zumindest unbewusste und schweift ebenfalls ab.
Am besten ist es natürlich frei zu sprechen. Wenn das nicht geht, schreiben Sie sich Stichwörter auf. Ein ausformulierter Text ist unübersichtlich und verführt zu monotonem Ablesen.
Schon beim Betreten des Raumes oder auf dem Weg zum Rednerpult müssen Sie konzentriert sein und Ihre Sprechhaltung einnehmen. Denn die Zuhörer nehmen Sie schon wahr, bevor Sie die Bühne betreten.
Damit die Distanz zwischen Ihnen und Ihren Zuhörern nicht zu groß wird, sprechen Sie sie direkt an und beziehen Sie sie so in den Vortrag mit ein.
Bei einem Fragezeichen muss die Stimme oben bleiben. Bei einem Punkt muss die Stimme gesenkt werden. Pausen am Satzende oder zur Abgrenzung zweier Gedanken im gleichen Satz sind meist sinnvoll.
Wer zu schnell spricht, hängt seine Zuhörer ab. Deshalb sinnvolle Pausen setzen, deutlich betonen und nicht durch den Text hasten.
Ihre Gesten müssen das Gesagte unterstreichen und gezielt eingesetzt werden. Zu viel Bewegung kann vom Inhalt ablenken und wirkt hektisch. Symmetrische Gesten und eine geschlossene Körperhaltung, zum Beispiel verschränkte Arme, kommen beim Zuhörer nicht gut an.
„Meiner Meinung nach“, „Am Ende des Tages“, „äh“ oder „übrigens“ sind Floskeln, die Sie nicht brauchen und den Zuhörer nerven. Überlegen Sie, was Sie stattdessen sagen können, damit Sie diese Lückenfüller nicht brauchen.
Wählen Sie Ihre Formulierungen so, dass Sie den Inhalt glaubwürdig vertreten können. Neutrale Ausdrücke können dabei helfen, wenn eigenes Empfinden und Firmenpolitik auseinander fallen.
Sich über Nervosität zu ärgern oder sie verdrängen zu wollen, macht es meist noch schlimmer. Nehmen Sie ihre Nervosität hin. Häufig erhöht sie sogar die Konzentration.
Einige Forscher haben mittlerweile auch eine evolutionäre Rechtfertigung für unsere Neigung zur Narration entdeckt. Geschichten waren schon früh ein Mittel, um wichtige Informationen innerhalb von Jäger-und-Sammler-Gruppen zu vermitteln. „Verglichen mit einfachen Gesten und Geräuschen transportieren Geschichten mehr Emotionen“, sagt der Psychologe Charlie Yang von der Southern-Connecticut-State-Universität, „dadurch können sie mehr Informationen verständlich rüberbringen.“
Geschichten müssen Emotionen wecken
Dazu kommt, dass gute Geschichten keine alltäglichen Inhalte haben, sondern von besonderen Herausforderungen handeln. Wer sich durch die Story bereits mental mit einer solchen Situation auseinandergesetzt hat, ist auf den Ernstfall besser vorbereitet. Flugsimulator-Effekt nennt das der Psychologe Keith Oatley von der Universität Toronto. Wer die besseren Geschichten erzählte, konnte schon zur Zeit unserer Vorfahren Angaben über Feinde oder Jagdgründe besser vermitteln oder sich mental besser darauf vorbereiten – und dessen Gene, so scheint es, setzten sich langfristig durch.
Wie aber können Manager diese fest verdrahtete Faszination für ihre eigenen Zwecke ausnutzen? Für Christian Riedel wäre es schon mal ein Anfang, überhaupt in Geschichten zu denken. „Im Wirtschaftsleben wird das Wissen um deren Kraft kaum genutzt“, sagt der Kommunikationsberater. Eine Geschichte muss für ihn vor allem eines schaffen: Emotionen wecken. „Wenn ich um Verständnis für eine Entscheidung werben will, muss ich meine Zuhörer zum Mitfühlen bringen“, sagt Riedel. Und das geht eben nicht ohne eine gute Geschichte. Das zeigt auch ein Experiment des US-Hirnforschers Paul Zak von der Claremont-Graduate-Universität, der dafür vor einigen Jahren eine wissenschaftliche Erklärung fand.
Er spielte seinen Versuchsteilnehmern ein Video vor, auf dem ein Mann mit seinem zweijährigen Sohn zu sehen ist. „Ben stirbt“, sagt der Vater, während der Sohn im Hintergrund spielt. Der Junge leidet an einem Hirntumor und hat nur noch wenige Monate zu leben. Der Vater schildert, wie schwer es für ihn ist, trotz dieses Wissens noch unbefangen mit seinem Sohn Spaß zu haben. Es ist eine berührende Erzählung, die die Probanden zu tiefem Mitgefühl bewegt. Sie versetzen sich in die Lage des Vaters und teilen seine Emotionen.
Und das spiegelt sich auch in ihrer Hirnchemie wider, wie Zak herausfand – genauer gesagt in der Ausschüttung des Hormons Oxytocin. Menschen mit höherem Oxytocin-Spiegel vertrauen leichter, sind großzügiger und empathischer. Genau darauf zielen die großen Erzähler der Wirtschaft. „Wenn Mitarbeiter mit Elan, Freude und Kreativität bei der Arbeit sein sollen, dann geht das nicht mit Druck“, sagt Christian Riedel. „Man muss ihre Herzen gewinnen.“ Und der schnellste Weg dorthin führt immer über eine gute Geschichte.