Suche nach fairer Vergütung So kommen Firmen dem perfekten Gehaltsmodell nahe

Quelle: Getty Images

Firmen ohne Tarifbindung stehen vor der großen Frage: Wie bezahle ich meine Mitarbeiter angemessen und vergleichbar? Gerade Gründer lassen die Frage andere beantworten: das Kollektiv. Ein guter Weg?

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Fabian Eckert ist eine Ausnahme. Als einer der wenigen Chefs räumt er ein: Welchem Mitarbeiter welches Gehalt fairerweise zusteht, kann er selbst gar nicht so gut beurteilen.

Eckert ist einer der beiden Gründer des Mehrwegpfandsystems Recup. Nachhaltigkeit ist sein Geschäftszweck. Neben der ökologischen Verantwortung ist ihm die soziale ebenso wichtig, wie er im Podcast Chefgespräch der WirtschaftsWoche erzählt. Und zu der gehört für ihn eben auch eine faire Bezahlung.

Eckert und Recup haben lange nach dem richtigen Weg gesucht: Am Anfang stand ein Topf. Aus dem konnten sich die Mitarbeiter selbst bedienen, was laut Eckert gut funktionierte, solange die Zahl der Mitarbeiter gering war, einstellig, ein paar Dutzend höchstens. Doch mit wachsender Belegschaft änderte sich das. Manche überschätzten sich im Vergleich zu anderen, brachten das Gefüge durcheinander, und der Topf reichte nicht. Während das Unternehmen viele neue Mitarbeiter einstellen musste, war zudem keine Zeit, lange über die Gehälter zu diskutieren.

Eckerts Überlegungen und Erfahrungen machen deutlich, wie schwierig es für Chefs ist einzuschätzen, wer im Unternehmen welchen Lohn verdient hat – und wie ein Gehaltsrat womöglich dabei helfen kann, Fairness herzustellen.

Transparenz ist dafür ein hohes Gut. Oft beschrien und selten in die Tat umgesetzt. Der jüngste Vorstoß der EU, die Entgelttransparenz zu stärken, könnte daran etwas ändern. Die Richtlinie, an der derzeit in Brüssel gefeilt wird, dürfte sich nämlich als effektiver erweisen als das in Deutschland längst geltende Entgelttransparenzgesetz.

Recup und Einhorn dürfte das nicht passieren

Der Grund: Die EU hat die Beweislast zugunsten der Arbeitnehmer gekippt. Müssen bislang sie beweisen, dass sie von Lohndiskriminierung betroffen sind, sind künftig die Arbeitgeber verpflichtet, den Nachweis zu erbringen, dass sie „nicht gegen die EU-Vorschriften über gleiches Entgelt und Lohntransparenz“ verstoßen haben. Unternehmen sollen dazu gezwungen werden, Berichte über Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen offenzulegen. Solchen, die ein Gefälle von mehr als fünf Prozent aufweisen, droht ein Bußgeld.

Unternehmen wie Recup, Formigas oder Einhorn dürfte das nicht passieren. Sie rühmen sich damit, selbst genau auf Gleichbehandlung zu achten und dabei volle Transparenz zu wahren. Gewährleistet durch die Gremien, denen die Chefs oftmals gar nicht angehören. Bei der Konstanzer Digitalagentur Formigas können die Mitarbeiter sämtliche Gehälter jederzeit einsehen – auch das des Geschäftsführers. Der Chef selbst hält sich raus.

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Volle Transparenz sieht Steffen Behn hingegen skeptisch. Er ist Geschäftsführer der Celebrate Company, einer Dachgesellschaft für Firmen, die Babytagebücher, Kalender und Poster verkaufen. Sie setzt allein auf Kompetenzen und hat daraus ein festes Gehaltsmodell strukturiert. Die Kompetenzen teilt Behn in neun Stufen ein. Diese wiederum sind mit einer Gehaltskurve verknüpft, die anhand von Marktdaten entwickelt wurde, um kompetitive Gehälter zahlen zu können.

Wie das konkret funktioniert, hat Behn einmal im Interview mit „t3n“ erläutert: Bis zu acht Kollegen ordnen die zu bewertende Person anhand von drei Fragen einem Kompetenzlevel zu. „Wir errechnen daraufhin das neue Kompetenzlevel, diskutieren in einem Gehaltscouncil über das mathematische Ergebnis, vergleichen das mit der Selbsteinschätzung der Person und teilen der Person dann ihr neues Gehalt mit.“ Fertig ist der Lohn.

Das Unternehmen Einhorn, das Kondome und Periodenprodukte verkauft, alles unter strengen Nachhaltigkeitsgesichtspunkten, hat gut 25 Mitarbeiter. Die Gründer haben sich 2019 enteignet und das Unternehmen quasi sich selbst überlassen. Gewinne verbleiben in der Kasse und werden reinvestiert. Es gibt einen Gehaltsrat aus drei gewählten Personen, der alle zwei Jahre neu besetzt wird. Der über alle Gehälter entscheidet und der allen Mitarbeitern pro Jahr einen Monat voll bezahlten Sonderurlaub ausschüttet. Wobei das relativ ist, denn ohnehin kann sich jeder so viele freie Tage nehmen, wie er oder sie möchte.




Das Gehaltsmodell sollen die amtierenden Ratsmitglieder ständig weiterentwickeln, um möglichst viele Lebensrealitäten abzubilden. Eltern und Pflegende bekommen etwa 400 Euro netto mehr im Monat. Mitarbeiterinnen mit Kinderwunsch unterstützt Einhorn bei einer künstliche Befruchtung. Das höchste Gehalt, nach wie vor das der Gründer, ist maximal das Dreifache des niedrigsten.

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