
Führungskräfte werden nicht gern übergangen. Erst recht nicht, wenn es um Geld geht. Tim Mois tickt da ein bisschen anders. Wenn seine Angestellten Geld ausgeben, ohne ihn vorher zu informieren, freut er sich.
Der 43-Jährige ist Geschäftsführer von Sipgate, einem Anbieter von Internettelefonie mit 120 Mitarbeitern. Für den kommenden Herbst haben seine Leute im Alleingang eine Entwicklerkonferenz mit hochkarätigen Gästen organisiert. Mois erfuhr erst davon, als ihm die Angestellten das Plakat zur Veranstaltung auf den Schreibtisch legten. „Ich finde das fantastisch“, sagt Mois, „und dann hat auch noch jemand entschieden, dass wir dafür 400 Euro Teilnehmergebühr nehmen!“ Mois erzählt Geschichten wie diese im Dutzend. Und sein Fazit ist immer gleich: Der Schlüssel zu motivierten Mitarbeitern ist deren Selbstbestimmung, deren Freiheit.
Deshalb entscheidet bei Sipgate jeder Mitarbeiter selbst, welche Weiterbildung ihm sinnvoll erscheint, wie er dort hinkommt – und in welchem Hotel er übernachtet. Reisekostenrichtlinien gibt es bei dem Düsseldorfer Unternehmen genauso wenig wie feste Arbeitsplätze. Wird ein Mitarbeiter gesucht, entscheiden bis zu fünf künftige Kollegen, ob der Bewerber ins Team passt und den Posten erhält. Kurzum: Während Konzerne ausgefeilte Bonussysteme entwerfen, um ihre Angestellten anzuspornen, schenkt ihnen Mois etwas viel Wertvolleres – Verantwortung.
Tipps: So motivieren Sie Ihre Angestellten
In seinem Bestseller „Drive“ gibt der amerikanische Managementautor Daniel Pink Ratschläge, wie Unternehmer, Geschäftsführer und Abteilungsleiter ihre Mitarbeiter motivieren können – und zwar mit wenig Aufwand. Eine Auswahl der originellsten Tipps.
Gefällt einem Angestellten die Arbeit eines anderen Mitarbeiters besonders gut, kann er ihm eine Belohnung zukommen lassen. Um was es sich dabei genau handelt, sollte die Geschäftsführung vorher festlegen. Wie zum Beispiel bei Kimley-Horn. Das Bauunternehmen gehört seit Jahren zu den beliebtesten Arbeitgebern in den USA – auch weil die Chefetage ihren Mitarbeitern 50 Dollar als Prämie zur Verfügung stellt, um sie an Kollegen zu vergeben. Die Methode funktioniert, weil die Belohnung nicht von oben bestimmt wird – Anerkennung unter Gleichgestellten motiviert Menschen besonders.
Ist ein Mitarbeiter gelangweilt oder unterfordert, sollte der Vorgesetzte ihm anspruchsvollere Herausforderungen geben – allerdings erst, wenn er zuvor seinen Nachfolger eingearbeitet hat. Wissen weitergeben zu dürfen signalisiert Anerkennung und Wertschätzung – und macht Menschen stolz.
Jeder Mensch braucht Ziele, sollte an deren Formulierung aber mitwirken. Pink ist überzeugt: Angestellte erfüllen ihre Aufgaben umso lieber, wenn sie sie mitgestalten können. Auch über ihre Wortwahl können Chefs signalisieren, dass sie bereit sind, Kontrolle abzugeben. Statt „Sie müssen“ oder „Sie sollten“ benutzen gute Führungskräfte Formulierungen wie: „Ziehen Sie in Erwägung, dass …“ oder „Bedenken Sie ...“. Das vermittle Mitarbeitern ein Gefühl von Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit.
Wie Professoren an der Universität oder Ärzte in der Praxis können sich Führungskräfte Zeit im Kalender für Sprechstunden freihalten. So inszenieren sich die Vorgesetzten eher als Coach statt als Einpeitscher und verdeutlichen, dass sie sich für die Belange der Belegschaft interessieren. Das honorieren Mitarbeiter mit höherem Einsatz.
Um frische Ideen zu fördern, sollten Unternehmer auf den alljährlichen Betriebsausflug verzichten – und lieber einen Tag einplanen, an dem die Mitarbeiter an einem Projekt ihrer Wahl arbeiten können. Was und mit wem sie es umsetzen? Unwichtig. Es gibt lediglich eine Regel: Egal, ob ein neues Geschäftsmodell oder ein neuer Prozess – am Ende müssen alle etwas abliefern.
Das Beispiel Sipgate zeigt, was Wirtschaftspsychologe Florian Becker von der Fachhochschule Rosenheim seit Jahren predigt: „Wer kreativ ist, kann seine Mitarbeiter mit wenig Geld motivieren, auch wenn das viele immer noch nicht begriffen haben.“
Tatsächlich buhlen die meisten Personalabteilungen noch immer mit herkömmlichen Mitteln um qualifizierte Bewerber. Sie winken mit Firmenwagen, Betriebskindergärten oder hauseigenen Fitnessstudios, versuchen den Azubi mit einem neuen iPhone an sich zu binden und den Topmanager mit hohen Bonuszahlungen anzutreiben – kostspielige Anreize, ja: Verführungen, die durch erwartbare Knappheiten am Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren sicher nicht billiger werden.
Mois zeigt, dass es auch anders geht. Natürlich, jeder Angestellte wünscht sich, angemessen bezahlt zu werden. Doch was er sich noch viel mehr wünscht, lässt sich nicht in Geld aufwiegen: Anerkennung, Wertschätzung und Befugnis. Ein gutes Gespür dafür haben nicht nur Psychologen, sondern auch Mittelständler entwickelt, die in einem umkämpften Arbeitsmarkt tagtäglich mit Konzernen um die besten Köpfe der Republik konkurrieren – und ihre Mitarbeiter davon überzeugen müssen, sie seien für ihn – pfeif auf das Geld! – die bessere Wahl.





Die kleinen Betriebe sind finanziell nicht in der Lage, ihren Mitarbeitern reduzierte Flüge anzubieten (wie die Lufthansa) oder ein Studium zu finanzieren (wie die US-Kaffeehauskette Starbucks) – und müssen sich daher andere Kniffe einfallen lassen, um das Beste aus ihren Mitarbeitern herauszuholen. Und das ist gut so. Denn materielle Boni alleine machen die Menschen weder glücklich noch leistungsbereiter – noch treiben sie Menschen zu Höchstleistungen.
Der Managementprofessor Timothy Judge etwa hat in einer Übersichtsstudie 92 Erhebungen aus 120 Jahren analysiert und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Zusammenhang zwischen Gehalt und Zufriedenheit bestenfalls schwach ist. Auch der Psychologe Daniel Kahneman und der Ökonom Angus Deaton haben festgestellt, dass das emotionale Wohlbefinden nur bis zu einem Einkommen von 75.000 US-Dollar steigt. Stattdessen sehnen sich Menschen nach einem Mix aus individuellen und sozialen Faktoren: nach Selbstbestimmung, kollegialer Zugehörigkeit und persönlicher Weiterentwicklung. Sind diese Bedürfnisse erfüllt, haben die Psychologen Richard Ryan und Edward Deci schon in den Achtzigerjahren herausgefunden, sind die meisten Menschen von sich aus motiviert.





Alexander von Preen, Geschäftsführer der Beratung Kienbaum, sieht darin einen immensen Vorteil für Mittelständler ohne großes Geld- und Renommee-Kapital: „Junge Leute können in kleinen Unternehmen viel schneller Verantwortung übernehmen als in den starren Hierarchien der Konzerne.“
Manche Studien legen sogar nahe, dass äußere Anreize den inneren Antrieb reduzieren. Forscher sprechen dabei vom Korrumpierungseffekt. Seit den Siebzigerjahren gab es dazu zahlreiche Experimente mit unterschiedlichen Ergebnissen. US-Psychologe Deci führte sie 1999 gemeinsam mit zwei Kollegen zu einem Generalbefund zusammen: Belohnungen wirken sich negativ auf den inneren Antrieb aus. Vor allem materielle Anreize, die im Voraus angekündigt werden, sind kontraproduktiv.
Sipgate-Geschäftsführer Mois sieht den Korrumpierungseffekt in seinem Arbeitsalltag bestätigt. Deshalb gibt es bei Sipgate keine Bonuszahlungen. „Extrageld blockiert die Gedanken“, sagt Mois. Die Menschen seien durch die Aussicht auf einen Bonus zu sehr auf den materiellen Vorteil fixiert. Demgegenüber trete die eigentliche Ursache ihrer Motivation in den Hintergrund. Mit negativen Auswirkungen für alle Seiten: „Die Mitarbeiter versuchen das System dann so zu manipulieren, dass sie ihre Zielvereinbarung erreichen, auch wenn es dem Unternehmenserfolg widerspricht.“ Etwa, wenn plötzlich wichtige Aufgaben auftauchen, die nicht in der Zielvereinbarung vorkommen.