Einen weiteren Nachteil leistungsbasierter Boni hat Niels van Quaquebeke, Professor an der Kühne Logistics University, in einer Studie entdeckt. Gemeinsam mit zwei Kollegen ließ er Testpersonen an einem Computer ein Würfelspiel absolvieren. Die Probanden glaubten, gegen einen anderen Teilnehmer der Studie zu spielen; tatsächlich aber war ihr Gegner der programmierte Computer. Dem Gewinner winkte eine Siegprämie zwischen 10 und 150 Euro. Die Teilnehmer wurden während der Übung aufgefordert, dem vermeintlichen Gegner ihre Gefühle in Form von Emoticons mitzuteilen. Wer ohnehin zu Konkurrenzdenken neigte, reagierte bei der Aussicht auf eine hohe Belohnung mit wütenden Smileys oder Mittelfingern.
Die Schlussfolgerung der Forscher: Eine üppige Prämie kann zu aggressivem Verhalten gegenüber den Kollegen führen, kann Grabenkämpfe provozieren und das Arbeitsklima vergiften. Und darunter leide nicht nur die Zusammenarbeit der Mitarbeiter, sondern etwa auch das Innovationsklima des Unternehmens, so das Fazit des Forschers.
Joseph Wilhelm hat Zielvereinbarungen bereits vor Jahren abgeschafft. Der Gründer und Geschäftsführer von Rapunzel Naturkost aus dem bayrischen Legau glaubt nicht, dass man seine Mitarbeiter mit zahlengetriebenen Zielmarken zu Höchstleistungen antreiben kann. Stattdessen setzt der 63-Jährige auf eine Erfolgsbeteiligung für alle – im vergangenen Jahr waren es 6000 Euro pro Vollzeit-Angestellten. „So wollen wir den Gemeinsinn stärken“, sagt Wilhelm, „und einen unsinnigen Egowettbewerb vermeiden.“ Sich mit dem Unternehmen zu identifizieren, Werte zu teilen und seine Kollegen als Gemeinschaft wahrzunehmen führe automatisch zu höherer Motivation.
So erhöhen Mittelständler ihre Attraktivität für Fachkräfte
Wer ohnehin schon Schwierigkeiten hat, seine Mitarbeiterzahl konstant zu halten oder neue Leute zu finden, kann es sich nicht mehr leisten, ganze Gruppen auszuschließen. Das Heer an männlichen Arbeitskräften, 25 Jahre alt, 30 Jahre Berufserfahrung, Mitgliedschaft im Schützenverein, ist nämlich ziemlich klein geworden. Entsprechend müssen sich Mittelständler auch für ältere Arbeitnehmer, ausländische Fachkräfte, junge Eltern oder Menschen mit Handicap öffnen. Wer das nicht tut, verschenkt nicht nur Potenzial - er wirkt auch aus der Zeit gefallen. Und bei so jemandem möchte auch der 25-jährige Schützenkönig nicht arbeiten. .
Quelle: Recruiting-Guide 2017 der Online-Jobbörse Yourfirm
Die Kompetenzen älterer Arbeitnehmer sind in der Vergangenheit bei vielen Unternehmen unterschätzt worden. Dabei kann die Berücksichtigung der Kompetenzen und Bedürfnisse der Generation 50 plus den Fachkräfteengpass entschärfen. Wer auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber sein möchte, darf sich also nicht nur auf die 22-Jährigen Hochschulabsolventen versteifen.
Um die Generation 50plus anzusprechen sind nicht nur gezielte Recruiting-Maßnahmen erforderlich, sondern auch eine Anpassung der Betriebsstrukturen. Ältere Bewerber interessieren sich oft weniger für das Unternehmensimage, Aufstiegs- oder Weiterbildungsmöglichkeiten und schätzen dafür umso mehr integres Management und kooperatives Betriebsklima.
Aber auch an die junge Zielgruppe und deren Bedürfnisse muss gedacht werden: Für die steht heute oft nicht mehr die geradlinige Musterkarriere mit hohem Einkommen im Vordergrund, sondern die Verwirklichung persönlicher Lebensentwürfe. Dazu gehört auch die Möglichkeit, genug Zeit in private Belange investieren zu können. Aber auch die Chance, sich mit eigener Initiative und Kreativität in die Entwicklung des Betriebs einbringen zu können. Mitbestimmung, konstruktives Feedback und eine gute Work-Life-Balance sind also wichtig.
Obwohl Frauen heute vielfach besser qualifiziert sind als Männer, gelingt es vielen nicht, Familie und Berufsleben angemessen zu vereinen. 1,5 Millionen Mütter werden so laut IZA in Deutschland daran gehindert, Arbeit aufzunehmen oder Arbeitszeiten zu erhöhen. Diese 1,5 Millionen könnten so manchem Mittelständler aus der Patsche helfen.
Wenn er flexible Arbeitszeiten oder Arbeitsmodelle wie Jobsharing anbietet. Auf Frauen ausgerichtete Förderprogramme und eine Betriebskita verhindern außerdem, dass Arbeitszeiten überhaupt unnötig reduziert werden müssen. Auf solche Angebote achten übrigens auch junge Väter, beziehungsweise Männer, die eine Familie gründen wollen.
Wer innovative Mitarbeiter will, darf sich nicht mehr in ein Arbeitszeitkorsett pressen, das gut in das Jahr 1850 passen könnte. Hinzu kommt, dass flexible Arbeitszeiten nicht nur zeitgemäß sind, sondern auch Belastungen durch den Beruf reduzieren können. Besonders Mitarbeiter, die zu Hause Kinder erziehen, in der Pflege eingespannt sind oder pendeln, wissen solche Angebote zu schätzen. Auch Home-Office gehört zur Angebotspalette eines attraktiven Arbeitgebers.
Um als Arbeitgeber gerade für ältere Angestellte attraktiv zu bleiben, machen sich Investitionen in die betriebliche Gesundheitsvorsorge bezahlt. Auch das Angebot von frischem Obst oder Gratis-Getränken verbessert die Gesundheit der Mitarbeiter - und die Arbeitsatmosphäre.
Wer all das bereits anbietet und umsetzt und sich trotzdem schwer tut, bei der Mitarbeitersuche, der kommuniziert vielleicht einfach nicht genug: Schmücken Sie sich mit Ihren Federn - nicht nur mit Produkten und Dienstleistungen, auch mit Angeboten an die Belegschaft kann man angeben. Mitarbeiter können über Unternehmen aus eigener Erfahrung und nächster Nähe berichten. Daher stellen sie die glaubwürdigsten Experten für die Kommunikation der Arbeitgebermarke dar. Bilder, Videos oder schriftliche Stellungnahmen der Angestellten eignen sich also zur Illustration der Karrierewebsite, als Werbemittel auf Social-Media-Kanälen oder Videoportalen. Bei Karrieretagen oder Jobmessen können sie aus erster Hand berichten.
Die Teilnahme an Arbeitgeberrankings kann ebenfalls mediales Interesse wecken und das Arbeitgeberimage verbessern. Hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, die Erfolge öffentlichkeitswirksam darzustellen.
„Natürlich ist es für uns als Biolebensmittelhersteller einfacher, eine verbindliche Vision zu entwickeln, als für einen Schraubenhersteller“, sagt Wilhelm. Doch selbstverständlich sei der soziale Kitt in der Belegschaft trotzdem nicht. Deshalb fördert Wilhelm, dass die Mitarbeiter sich über den Job hinaus austauschen. Das beginnt mit Kleinigkeiten wie der Möglichkeit eines gemeinsamen Frühstücks in der Kantine – alles Bio natürlich. Und endet mit der Veranstaltung des Eine Welt Festivals alle drei Jahre. Anfang September verwandelte sich das Firmengelände im 3000-Seelen-Örtchen zum 13. Mal in eine Festivalmeile für mehr als 20.000 Besucher.
Zwei Tage lang gab es Vorträge und Kochshows, Zirkusdarbietungen und Messestände – alles in monatelanger Arbeit organisiert von den 350 Rapunzel-Angestellten. „Es macht unsere Mitarbeiter stolz, ein Teil des Ganzen zu sein“, sagt Wilhelm.
Ist das Bedürfnis der Menschen nach Zugehörigkeit erfüllt, steigt ihre intrinsische Motivation; diese Erkenntnis können Unternehmen für sich nutzen, schlägt Kienbaum-Berater von Preen vor und ist sich sicher: „Bei Mittelständlern ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, der Wunsch nach einer persönlichen, sozialen Anbindung ans Unternehmen größer.“ Die „weichen Faktoren“ helfen nicht nur, Mitarbeiter im Unternehmen zu halten, sondern sind vielen Bewerbern schon beim Vertragsabschluss wichtiger als ein üppiges Gehalt.
Vor allem den jungen Arbeitnehmern. Das belegt auch eine aktuelle Umfrage unter 3721 Europäern zwischen 17 und 36 Jahren. Die niederländische Personalberatung YoungCapital wollte von den Youngstern wissen, ob sie sich eher für einen interessanten Job mit einem moderaten Gehalt oder für eine langweilige, aber gut bezahlte Stelle entscheiden würden. 69 Prozent entschieden sich für eine sinnvolle Arbeit und gegen ein hohes Entgelt.
Als wichtigstes Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers gaben die Befragten an, sich weiterentwickeln zu wollen. Doch was nützen dem Arbeitnehmer seine Fähigkeiten, wenn niemand im Unternehmen sie bemerkt? „Vor allem Lob und Anerkennung sind in diesem Zusammenhang wichtig“, sagt Wirtschaftspsychologe Becker von der FH Rosenheim: „Im Gegensatz zu Boni ist persönliche Zuwendung weniger abstrakt als eine Extrazahlung am Ende des Jahres.“
Deshalb veranstaltet das Technologieunternehmen Rohde & Schwarz aus München jedes Jahr den hauseigenen Innovation Award. Seit 2008 können die Mitarbeiter ihre Ideen einreichen – von neuen Produkten über innovative Dienstleistungen bis hin zu Prozessen, die interne Abläufe verbessern. Aus den 20 bis 25 Vorschlägen, die jedes Jahr eingehen, wählt die Geschäftsleitung vier Finalisten. Sie präsentieren ihre Innovationen via Video im Intranet. Wer gewinnt, bestimmt die Belegschaft.
Zurück zu Sipgate. Beim Düsseldorfer Telekommunikationsunternehmen sitzen fünf Mitarbeiter in einem gläsernen Konferenzraum: Was wie eine Teambesprechung aussieht, ist das Jahresgespräch für einen einzigen der Beteiligten. Da es bei Sipgate keine direkten Vorgesetzten gibt, verteilen die Kollegen Lob und Tadel. Von wem der Beurteilte Feedback bekommt, darf er sich selbst aussuchen. Natürlich könnten die Mitarbeiter ihrer Kritik entgehen, indem sie nur Schmeichler einladen. Aber so schätzt Geschäftsführer Mois seine Leute nicht ein: „Wir haben doch alle ein Interesse daran, uns weiterzuentwickeln.“
Einer der vielen Besucher, die sich jeden Monat Sipgate und seine außergewöhnliche Organisationsform anschauen, hat Mois’ Motivationstaktik vor Kurzem trefflich auf den Punkt gebracht: „Sie behandeln Ihre Mitarbeiter wie Erwachsene“, so der Manager eines deutschen Großkonzerns, „und nicht wie Kinder.“