Die Digitalisierung bietet nahezu unendliche Möglichkeiten, schneller zu kommunizieren, effizienter zu arbeiten und kreativer zu sein – in Echtzeit. Für derart grundlegend neue Geschäftsmodelle braucht es jedoch Pioniere: Gestalter, Vorausdenker, Entdecker, die ausgetretene Pfade verlassen, sich den Wünschen ihrer Kunden verpflichtet fühlen und sie in erstklassige Produkte, Services und Lösungen übersetzen, und diese in kürzester Zeit zu entwickeln.
Es liegt auf der Hand, dass der Erfolg der digitalen Transformation eines Unternehmens signifikant davon abhängt, inwieweit es ihnen gelingt, die richtigen Mitarbeiter an Bord zu holen. Gleichzeitig ist klar: wenn der Unternehmensalltag nicht deren Erwartungen an eine herausfordernde und flexible Arbeitskultur erfüllt, in der beispielsweise Social Media integraler Bestandteil sind, werden sich diese „Digital Natives“ schnell abwenden und woanders anzuheuern.
Diese Leute zu finden, ist nicht leicht. Wohl die wenigsten Unternehmen würden sagen, dass sie solche Mitarbeiter bereits in ausreichender Zahl an Bord haben. Stellen für Machine Learning Scientists, Data Analytics Experten, IT-Sicherheits-Fachleute oder Entwickler sind schon jetzt schwer zu besetzen. Und der Bedarf an digitalen Top-Talenten wird in den nächsten Jahren noch weiter massiv zunehmen, wenn Kunden weitere digitale Angebote nachfragen. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland läuft der Markt für digitale Kompetenzen „heiß“.
Zum Autor
Dr. Werner Vogels ist CTO bei Amazon.com, wo er seit 2004 beschäftigt ist und kundenorientierte Technologievisionen vorantreibt.
Auch zuvor bekleidete er bereits zahlreiche Führungspositionen im Technologiebereich. Vogels, der an der Freien Universität in Amsterdam promovierte, hat außerdem zahlreiche Artikel über verteilte Systemtechnologien im Enterprise Computing verfasst.
Die Talente sind nicht alleine bei jenen Firmen gefragt, die schon immer ein digitales Geschäftsmodell hatten. Auch Automobilzulieferer, Finanzdienstleister oder Retailer brauchen dringend Produktmanager und Mitarbeiter mit technischem Hintergrund, die ihre Organisationen in kurzer Zeit fit für die digitale Transformation machen. Es liegt also nahe, diese Herausforderung strategischer anzugehen als in der Vergangenheit. Doch wie positioniert man sich als Arbeitgeber, der für digitale Talente attraktiv ist?
Die Organisation auf einen Neuanfang vorbereiten
Als erstes gilt es, die starren Strukturen aufzubrechen, denn diese sind der natürliche Feind der Digitalisierung. In deren Natur liegt es, dass Bereiche konvergieren, die früher Silos waren. Nehmen wir das Beispiel Industrieunternehmen. Früher definierte der Vertrieb Spezifikationen nach den Wünschen des Kunden, die dann Schritt für Schritt in den Fertigungsprozess überführt wurden.
Heute soll das alles nahezu gleichzeitig passieren. Der Kunde ist idealerweise schon mit in den Entwicklungs- und Innovationsprozess eingebunden. Früher kümmerten sich IT-Abteilungen in erster Linie darum, Rechenzentren mit Hardware zu bestücken, Software einzukaufen und diese gegebenenfalls proprietär weiterzuentwickeln.
Diese Jobs sind durch die Digitalisierung entstanden
Der Data Engineer sorgt dafür, dass Data Analysten und Data Scientisten erfolgreich arbeiten können. Denn die Data Engineers sammeln, generieren und säubern die Daten und bereiten sie auf, um sie dann den Analysten und Scientists zur Verfügung zu stellen. Sie stehen in der Wertschöpfungskette quasi ganz am Anfang aber gleichzeitig in enger Abstimmung mit den Fachbereichen und konkreten Inhalten. Eine Herausforderung, mit der sich Data Engineers immer stärker beschäftigen, ist das Thema Big Data und die damit verbundene Komplexität der Daten.
Quelle: Telefónica
Neben der Anwendung klassischer Analysemodelle zur Generierung von Business-Insights (Job des bisherigen „Data Analyst“), wendet der Data Scientist komplexere statische Methoden an, hat Kenntnisse im Bereich maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz. Außerdem spielt beim Data Scientist am Ende eines Projekts die Visualisierung der Ergebnisse und das sogenannte Storytelling eine große Rolle. Das heißt, er muss nicht nur gut mit Zahlen jonglieren, sondern auch kommunikative Fähigkeiten besitzen.
Bei der Arbeit mit Daten kommen die Spezialisten mit Themen wie Datensicherheit und Datenschutz in Kontakt, wodurch wiederrum neue Berufsprofile entstehen. So sucht Telefónica aktuell nach einem Data Protection & Data Security Consultant, der sich als erster Ansprechpartner und Berater um alle internen Themen rund um den Datenschutz bei der neuen Tochtergesellschaft Telefónica NEXT kümmert.
Der Take-to-Market Analyst ist Bindeglied und Übersetzter zwischen Analysten und externen Partnern. Wenn die Mitarbeiter anonymisierte Bewegungsdaten der Kunden nutzen wollen, um ihren Service zu verbessern, übersetzt der TTM Analyst die Anforderung jeweils in die Sprache des anderen. Dafür muss er – wie alle anderen Rollen auch – beide Parteien verstehen können. Er benötigt dazu ein gewisses technisch-analytisches Know-how und zugleich ein unternehmerisches Verständnis. Der TTM Analyst ist ein Allrounder, denn er schreibt ebenso Verträge und begleitet die Produktmanager zum Kundentermin. Anschließend erklärt er den Analysten, was genau zu tun ist.
Er gibt die Leitlinien für den Umgang mit Daten vor. Welche Informationen können bedenkenlos in welchem Zusammenhang verwendet werden? Wo liegen rechtliche Grauzonen bei der Auswertung von Daten? Wo ethische Barrieren? Seine Position ist meist nah am Vorstand angesiedelt, da eine Fehlentscheidung schnell ernsthafte Probleme verursachen kann.
Sowohl Mathematiker und Informatiker als auch Physiker sind für die Tätigkeit des Data Strategist besonders geeignet. Denn hohes technisches Verständnis ist Grundvoraussetzung, um nachvollziehen zu können, wie die Daten überhaupt erhoben werden.
Der CDO ist der oberste Digitalisierungsbeauftragte eines Unternehmens – oftmals sogar auf Vorstandsebene. Er gibt die Leitlinien für die Digitalisierung vor: entwickelt neue Geschäftsmodelle, führt innovative Technologien ein und fördert vernetztes Arbeiten in seinem Konzern. In seiner Position muss er die zukünftige Richtung vorgeben, Mitarbeiter und Anteilseigner in die digitale Transformation mitnehmen. Dazu braucht er neben fachlichen Qualifikationen vor allem Überzeugungskraft, Risikobereitschaft und Neugier.
Dieser Entwickler kümmert sich um neue Programme für Smartphones und Tablets. Bei kleineren Unternehmen ist er nicht nur Ideengeber, sondern programmiert die Anwendungen auch selbst.
Die meisten Mobile Developer sind entweder auf das Apple-Betriebssystem iOs oder Googles Konkurrenzprodukt Android spezialisiert. Früher ein Feld für Autodidakten, ist dieser Job heutzutage am besten für Informatiker geeignet – egal, ob studiert oder mit Berufsausbildung zum Fachinformatiker.
Der SEO-Manager – die Abkürzung steht für Search Engine Optimization, zu Deutsch: Suchmaschinen-Optimierung – ist der wohl bekannteste Performance Marketing Manager. Er ist dafür verantwortlich, Inhalte von Web-Seiten so zu optimieren, dass sie von Suchmaschinen möglichst gut gefunden werden.
Ebenfalls dazu gehören der SEM- und der SEA-Manager. Sie sind für Search Engine Marketing beziehungsweise Search Engine Advertising zuständig. Das heißt, sie entscheiden unter anderem, bei welchen Suchbegriffen eine Anzeige ihres Arbeitgebers erscheint, und kontrollieren den Erfolg solcher Maßnahmen. Ebenfalls in den Aufgabenbereich von Performance Marketing Managern fallen Direktmarketingaktionen zum Beispiel via E-Mail oder die Schaltung von Werbebannern.
Heute nutzen Unternehmen Serverkapazitäten und Software aus der Cloud. Diese Veränderungen müssen berücksichtigt werden, wenn sich Unternehmen auf die Suche nach Talenten machen. So kooperieren etwa beim Düsseldorfer Fashion Retailer Peek&Cloppenburg Business, Entwicklung und IT-Betrieb zunehmend enger, weil dort klar wurde, dass abgeschottete Abteilungen und starre Hierarchien die Organisation in Ihrer Innovationskraft und Geschwindigkeit bremsen. Das Unternehmen gibt den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen dafür zunehmend größere Entscheidungsfreiräume.
Das Thema digitale Transformation wird für P&C von einem Inhouse-Consulting-Team begleitet. Dieses Team hilft den Fachabteilungen, genau die Prozesse zu analysieren und zu digitalisieren, welche die Touchpoints zum Kunden verbessern.
Freiraum, um Neues zu schaffen
Ein weiterer Weg, das eigene Unternehmen attraktiv für digitale Talente zu machen, ist ihnen so viel kreativen Freiraum wie möglich zu geben. AutoScout24, ein in München ansässiger Online-Marktplatz für Autos, Motorräder und Nutzfahrzeuge, hatte schon immer ein digitales Geschäftsmodell.
Man hat dort erkannt, wie wichtig es ist, strategisch bedeutsame Fragen schnell zu entscheiden. Aus diesem Grunde hat das Unternehmen den Mitarbeitern mehr Freiheiten zugestanden, die direkten Kontakt zu den Kunden haben. Das Unternehmen gab die Ergebnisverantwortung für einzelne Marktsegmente an kleine und bewegliche, funktionsübergreifende Teams ab.
Diese Maßnahmen haben die Abhängigkeiten der einzelnen Geschäftsbereiche verringert, die Eigenverantwortung gestärkt, die Kommunikationsprozesse vereinfacht und die innerorganisatorische Koordinierung verbessert.
Digitalen Talenten Sichtbarkeit verleihen
Es ist wichtig, die bestehende Mannschaft zu ermutigen, sie mit Ressourcen auszustatten, ihnen Entscheidungsfreiräume zu geben – damit sie eigene Ideen verfolgen können und sich dafür verantwortlich fühlen. Die Fähigkeiten eigener Mitarbeiter verbessern sich, wenn man ihnen die richtigen Entwicklungsmöglichkeiten anbietet. Das geschieht meist nicht über einen zentralen Weiterbildungskatalog wie in der prä-digitalen Welt. Die passenden Lernfelder sollten genau auf den jeweiligen individuellen Bedarf abgestimmt werden. Das kann ein Seminar sein, oder die Chance, ein bestimmtes Projekt zu führen, oder die Gelegenheit, neue Kompetenzen zu erlangen, indem der Mitarbeiter zeitweise in einem anderen Teil des Unternehmens arbeitet.
Einige Unternehmen haben geschäftsfeldübergreifende Stellen wie den Chief Digital Officer (CDO) geschaffen, um zu verbinden, was in der digitalen Welt zusammen gehört. Zu seinen Aufgaben gehört es, künftige Wachstumsfelder zu definieren, Change-Prozesse anzustoßen und die Ressourcen so neu zu verteilen, dass das Unternehmen für die digitale Ära – vor allem die sich ständig verändernden Erwartungen der Kunden – gerüstet ist. Er muss sich Verbündete suchen, die über genug digitales Know-how verfügen, um die Chancen zu nutzen, die sich aus neuen Technologien ergeben.
Gesucht: Mitarbeiter mit mehrdimensionalem Kompetenzprofil
Ein weiterer Schritt ist, Bewerber mit der richtigen Mischung an Fähigkeiten ins Visier zu nehmen. Nicht nur in Deutschland hören wir immer wieder, wie dünn gesät IT-Fachkräfte oder Ingenieure sind. Gleichzeitig ist aber die Frage, welche Rolle in der Wertschöpfungskette jemand spielen wird, der Autos konstruiert, wenn Automobilhersteller künftig vielleicht vor allem mit Daten und mit Mobilitätsservices Geld verdienen?
Platz für Abenteuer schaffen
Wie derartige Veränderungen die Zusammensetzung von Fähigkeiten beeinflussen, muss abhängig vom Einzelfall definiert und bewertet werden. Zwei Dinge sind hier entscheidend. Erstens: Unternehmen brauchen Talente, die sich dem Kunden verpflichtet fühlen und die in der Lage sind, über die Grenzen von Kunden- und IT- Verantwortlichkeiten hinweg zu denken. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, Mitarbeiter für eine bestimmte Zeit direkt beim Kunden arbeiten zu lassen.
Zweitens: Für digitale Geschäftsmodelle brauchen Unternehmen Experten, die Daten als wesentlichen Bestandteil künftiger Wertschöpfung betrachten. Am Ende werden die erfolgreich sein, deren Mitarbeiter das schaffen – unabhängig von ihrer spezifischen Qualifikation.
Schließlich sollte man die Rolle der Unternehmenskultur nicht unterschätzen. Top-Talente der digitalen Welt sind auf der Suche nach Abenteuern und einer sinnstiftenden, herausfordernden Tätigkeit. Je wohler sie sich fühlen, desto mehr Engagement werden sie mitbringen. Sie möchten mit Kollegen zusammenarbeiten, die ähnlich ehrgeizige Ziele verfolgen wie sie selbst. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Firmenkultur diese Anforderungen erfüllt. Unverwechselbar wird, wer zu den Themen Stellung bezieht, die für Mitarbeiter wichtig sind. Beispielsweise durch Führungsprinzipien, die es nicht nur auf Papier gibt, sondern die von den Mitarbeitern jeden Tag gelebt werden.
Bei Amazon stehen wir für eine Kultur, bei der Scheitern explizit erlaubt und sogar erwünscht ist, denn unserer Erfahrung nach verläuft der Weg zu bahnbrechenden Innovationen niemals geradlinig. Scheitern ist ein Zeichen von zukunftsgerichtetem Denken. Deswegen brauchen wir Kandidaten, die experimentierfreudig sind, die bereit sind, Umwege zu gehen und die genug Energie haben, aus einer Sackgasse schnell wieder heraus zu finden. Unsere Leadership Principles spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle. Sie beschreiben sehr genau, was uns wichtig ist.
Diese Werte kann jeder auf unserer Website finden und sie sind für alle verbindlich. Wir erwarten von unseren Mitarbeitern eine konsequente Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Kunden. Ebenso die Bereitschaft, sich ständig zu verbessern. Das kann unbequem sein. Doch Innovationen brauchen ein gewisses Spannungsfeld, um zu gedeihen.
Die Digitalisierung vollzieht sich schnell. Das darf aber keine Entschuldigung sein, beim Recruiting eine Abkürzung zu suchen. Jeff Bezos sagte einmal: „Ich würde lieber Vorstellungsgespräche mit 50 Kandidaten führen, und niemanden einstellen, als die falsche Person einzustellen.“ Letztlich ermöglicht nur eine sorgfältig geplante und umgesetzte Personalstrategie, die digitale Transformation konsequent zu vollziehen und sich nachhaltig im Sinne der eigenen Ziele zu verändern.
Werner Vogels hat als CTO von Amazon.com täglich mit Entwicklungen und Veränderungen der digitalen Transformation zu tun. Er wird in seiner neuen Kolumne regelmäßig über relevante Fragen und Folgen der Digitalisierung für wiwo.de schreiben.