In ganz Österreich ärgern sich derzeit Baudezernenten, Bürgermeister und Chefs öffentlicher Unternehmen darüber, für Kindergärten, Straßen, Tunnel, Wasserleitungen und große Neubauten viel mehr bezahlt zu haben, als nötig wäre. Sie alle sind Geschädigte eines Baukartells. Über 15 Jahre hinweg hatte es Preise abgestimmt und sich gegenseitig öffentliche Aufträge zugeschanzt. Beteiligt waren nationale Bauunternehmen wie Porr, die Habau-Gruppe, Swietelsky oder Gebrüder Haider, aber auch internationale wie Strabag.
Der Frust, der sich bei den Geschädigten in den Amtsstuben angestaut hat, liegt nicht allein darin begründet, Opfer illegaler Preisabsprachen geworden zu sein. Er speist sich auch aus der Erfahrung, wie schwierig es ist, Schadensersatz vor Gericht durchzusetzen. Ähnlich ergeht es auch immer wieder Verbrauchern oder Unternehmern anderer Branchen, die wegen verbotener Preisabsprachen, Gebietsaufteilungen oder anderer gesetzeswidriger Verabredungen tiefer in die Tasche greifen mussten. Denn um im Kartellrecht Schadensersatz geltend zu machen, müssen die Kläger beziffern, wie hoch die Kartellmarge ist – also die Summe, die aufgrund der Absprache zu viel kassiert wurde. Doch das ist aufwendig, teuer und mitunter unmöglich, vor allem weil das Prozessrecht den Geschädigten Einblick in die Aussagen der Kronzeugen bislang verwehrt.
Die Opfer des Baukartells wollen das nicht hinnehmen und bereiten trotz aller Widrigkeiten Schadensersatzklagen vor. Um das eigene Risiko gering zu halten, lassen sie sich das Vorhaben vom britischen Prozessfinanzierer Litfin gegen eine Erfolgsprämie finanzieren. Weil inzwischen gegen 520 Beschuldigte aus 135 Unternehmen Strafprozesse wegen Verdachts auf wettbewerbsbeschränkende Absprachen laufen, rechnen sich die österreichischen Kläger gute Chancen aus. Sie wollen nun über die nachfolgenden Strafverfahren gegen die Beschuldigten an die sonst für sie unzugänglichen Kronzeugenanträge mit den begehrten Informationen kommen, erklärt Daniela Seeliger, Kartellschadenexpertin bei der Kanzlei Linklaters. In österreichischen Prozessen dürften auch Geschädigte Einblick in Strafverfahrensakten nehmen, selbst ohne Nebenkläger zu werden.
Fakten auf dem Silbertablett
In Schadensersatzprozessen jedoch sind die Kronzeugenanträge bislang weder in Österreich noch in Deutschland für die Kartellopfer einsehbar – eine EU-Vorschrift verbietet dies. Der Grund für diese Regelung: Künftige Kronzeugen sollen nicht abgeschreckt werden. So nachvollziehbar dies im Sinne der Aufklärung von Straftaten sein mag, so sehr erschwert es die Bemühungen um Schadensersatz für die Opfer von Kartellen. Der Kronzeugenantrag würde ihnen oft in komprimierter Form die wichtigsten Informationen zur Durchsetzung ihrer Forderungen liefern – so wie beispielsweise das Indiz der Kartellmarge.
Zur Methode
Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte mehr als 1650 Juristen aus 146 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kollegen für Konfliktlösung. Für Schiedsverfahren (Arbitration) setzten sich 35 Kanzleien mit 48 Anwälten, für Prozessführung (Litigation) 35 Kanzleien mit 55 Juristen durch.
Die Jury: Jan Eckert (ZF Friedrichshafen), Frederick Iwans (Foris), Malte Stübinger (Deminor), Claas Westermann (RWE) und Achim Schunder (C.H. Beck).
Schließlich enthält er auch die Ergebnisse der internen Ermittlungen der Firmenanwälte, die in tage- oder wochenlanger Arbeit E-Mails untersuchen und Vertriebler befragen, um den Sachverhalt zu klären. Dabei kommen Geschäftszahlen wie Einkaufspreise oder beispielsweise die verabredeten Angebotssummen ans Licht, die nötig sind, um eine Schadensersatzklage einreichen zu können.
Diese wertvollen Fakten gewissermaßen auf dem Silbertablett serviert zu bekommen wäre eine enorme Erleichterung. Bislang erhalten Kläger statt der Kronzeugenanträge nur einen Wust von Akten, die immer dann geschwärzt sind, sobald es um Geschäftszahlen geht. „Die Akten füllen in Kartellfällen gerne mal ganze Regale und werden von den Behörden mit Lastwagen abtransportiert“, schildert Seeliger. Diese nach Beweisen zu durchsuchen braucht große Teams von Anwälten und ist für viele der Geschädigten nicht zu leisten.
Blick in den Bußgeldbescheid
Ein erstes Urteil gegen einige der betroffenen Baukartellsünder und damit auch zur Frage, ob die Behörden Kronzeugenanträge weiterhin geheim halten dürfen, wird in den nächsten Wochen vom obersten Strafgericht in Wien erwartet, erzählt Seeliger. Und dieses Urteil könnte auch als Vorbild für Deutschland taugen, meint die Expertin. Auch das Bundeskartellamt dürfte dieses Urteil genau lesen, vermutet sie. Gehe es zugunsten der Kläger aus, könnte die Zahl der Kronzeugenanträge weiter sinken.
Auch in Deutschland scheinen erste Gerichte bestrebt, Kartellgeschädigte einfacher zu ihrem Recht kommen zu lassen. So gab das Landgericht Hannover etwa nicht den Kronzeugenantrag, aber stattdessen den Bußgeldbescheid zur Einsicht frei – wenn auch unter der Bedingung, dass ausschließlich die Anwälte des Kartellopfers, des Entsorgers Alba, diese einsehen durften. Immerhin. Auch in Bußgeldbescheiden kann viel stehen, was die Kartellanten lieber für sich behalten hätten.
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