Übergeswapt
10.01.2020, Berlin: Luisa Neubauer, Fridays-for-Future-Aktivistin, steht nach einem Gespräch mit Siemens-Chef Kaeser nahe der Berliner Siemens-Firmenzentrale mit einem Plakat mit der Aufschrift ·Siemens schür kein Feuer!· neben Nick Heubeck, Mitorganisator des Bamberger Klimastreiks. Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Quelle: dpa

Warum Joe Kaeser keine Chance gegen vernetzte Jugendliche hat

Konzerne wie Siemens schmücken sich gerne mit nachhaltigen Geschäftsstrategien. Bald müssen sie sich das gut überlegen: Mit der neuen Transparenzverordnung für nachhaltige Finanzprodukte wird Greenwashing richtig teuer.

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An dieser Stelle gibt die Juristin Verena Ritter-Döring künftig alle 14 Tage überzeichnete, amüsante Darstellungen der Bankenwelt zwischen Regulierung und Wild West. Trockner Stoff? Nein, mit trockenem Humor und einer Prise Schadenfreude nimmt die Juristin typisches Managerverhalten in den Fokus. Denn: Schön blöd ist, wer sich für superschlau hält und großspurig aufs Kleingedruckte blickt ...

Als Konzern-Cowboy hat man es auch nicht mehr leicht. Erst brennt ein ganzer Kontinent, dann springt der Funke über auf die eigene Hütte, man lässt brav den Colt stecken und macht ein zivilisiert unmoralisches Angebot – und was ist der Lohn? Eine Frau, noch dazu eine sehr junge Frau, darf öffentlich kundtun, sie fände diese Herangehensweise unprofessionell.

Joe the Kaeser, der vor zwei Jahren noch prominent an Donald Trumps Seite in Davos dinierte, hat viel Kritik einstecken müssen für seine Linie im #stopadani-Desaster. Doch die Kritik an der Siemens-Beteiligung beim Bau der Bahnstrecke für ein australisches Giga-Kohlekraftwerk der indischen Firma Adani reißt nicht ab. Rund 40.000 E-Mails von australischen Klima-Aktivisten hatte er geglaubt, mit einem Tweet abwehren zu können. Doch die Protestbewegung von Downunder ist weltweit vernetzt: Ein Tweet und – peng! – schon weht der Wind in Wild West aus einer völlig anderen Richtung.

Bis heute hat man trotzdem den Eindruck, der Siemens CEO versteht wie so viele Chefs seiner Generation nicht recht, worum es mittlerweile geht.

Die alte Welt hatte klare Prioritäten: Im Zweifel für das Wohl des Konzerns, das selbstverständlich eng verknüpft ist mit dem eigenen. Man erfüllt Verträge und vergisst ganz schnell, wer die eigentlich gemacht hat. Als Chef muss man schließlich nicht alles wissen, dafür bezahlt man Fachleute, die einem Risiken vom Leib halten. Gibt es dennoch ein Problem, ruft man die Kommunikationsabteilung an und die Sache ist erledigt.

Heute sitzen einem urplötzlich nicht nur die Klimaschützer im Nacken, die trotz aller Versuche, sie auf die eigene Seite zu ziehen, so lange öffentlichen Druck aufbauen, bis das Image des Konzerns massiven Schaden nimmt. Heute rebellieren auch die Anleger, die sich im Zweifel wie Klimaschützer benehmen. Und die Politik? Die stärkt ihnen nun den Rücken.

Mit der neuen EU-Transparenzverordnung, die Ende Dezember 2019 in Kraft getreten ist, macht sie es Unternehmen deutlich schwerer, ihre Aktien als nachhaltig anzupreisen, nur weil sie in Afrika einmal einen Baum als Ökoablass gepflanzt oder so hübsche Institutionen wie einen Nachhaltigkeitsrat eingeführt haben. Der durfte bisher einmal im Jahr im Nachhaltigkeitsbericht ausführlich zu Wort kommen, hatte sonst aber – siehe Siemens – offensichtlich nicht sehr viel zu melden.

Nach der neuen Verordnung müssen alle regulierten Finanzdienstleister – von Banken über Anlageberater, Portfoliomanager, Fondsmanager und Versicherungsvermittler – künftig auf ihrer Website darüber berichten, wie sie mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen und wie nachhaltig ihre Investitionen sind. Kunden sollen also noch vor ihrer Investition eine Chance bekommen, genau zu erfahren, ob ihre Anlage wirklich nachhaltig ist – oder nur ein grün gewaschenes Produkt zum Wohle der Konzerne, nicht aber der Umwelt.

Wenn Siemens im Nachhaltigkeitsbericht behauptet, dass die „Dekarbonisierung einer der wichtigsten Hebel im Kampf gegen den Klimawandel“ sei und „die Technologien unseres Umweltportfolios eine entscheidende Rolle im Rahmen unserer Dekarbonisierungsanstrengungen“ spielten, dann gibt es offensichtlich einen Widerspruch zu Projekten wie dem in Australien. Nach der neuen Verordnung kann die Aktie dann nicht mehr ohne weiteres als nachhaltig beworben oder in nachhaltigen Fonds angeboten werden. Vielmehr muss Siemens genau erklären, inwiefern Signaltechnik für eine Trasse, auf der Kohle befördert wird, zu einer Aktie eines Unternehmens passt, das „Dekarbonisierungsanstrengungen“ unternimmt. Vermutlich freut sich die PR-Abteilung schon auf einen Anruf. De facto fällt dies mit der Transparenzverordnung künftig in die Zuständigkeit der Juristen.

Nicht nur Konzerne werden es in Zukunft deutlich schwerer haben, mit vermeintlich nachhaltigen Geschäftsstrategien Geld in die Kassen zu spülen. Auch die Finanz- oder Immobilienbranche wird sich etwas einfallen lassen müssen, um nicht auf den Risiken sitzen zu bleiben, die falsche Grünzeichnungen mit sich bringen. Wer heute nachhaltige Immobilien über Fonds finanzieren will, sollte besser keine Firma ins Boot holen, die woanders noch munter Ölheizungen verbaut oder Bauarbeiter ausbeutet.

Denn Aktivisten ketten sich nicht mehr nur an Schienen, sie wissen zum Teil sehr genau, wer welches kleinste Schräubchen verbaut hat und welche Subgeschäfte getätigt wurden. Soziale Medien ermöglichen eine enorme soziale Kontrolle aller Akteure. Die Bombe, auf der Finanzanbieter oder Konzerne da gegebenenfalls sitzen, möchte niemand unter seinem Chefsessel liegen haben. Auch ein Cowboy nicht.

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