Wenigstens war die Nachricht ehrlich, die einige Call-Center-Mitarbeiter eines Morgens auf ihrem Schreibtisch fanden: "Aus organisatorischen Gründen haben wir 20 Prozent unserer Belegschaft abgebaut. Wir haben uns dazu entschieden, einige Ihrer Kollegen zu entlassen. Das erlaubt es uns, Kosten zu reduzieren. Die Auswahl der entlassenen Mitarbeiter geschah zufällig."
Jede weitere Begründung blieb der Arbeitgeber schuldig. Er warb nicht damit um Verständnis, dass alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Und er wies auch nicht darauf hin, dass der Stellenabbau besonders sozialverträglich vonstattenging.
Klar war nur: Wer die Botschaft las, war eben nicht entlassen - und musste danach eine Dreieinhalbstunden-Schicht im Call-Center schieben.
Klingt unfair? Das soll es auch. Schließlich hat Matthias Heinz viel Arbeit investiert, damit die Aktion möglichst ungerecht wahrgenommen wird. "Unser Ziel war es, die negative Botschaft zu senden: Wir bereichern uns auf Kosten der Mitarbeiter", sagt der Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. "Das Verhalten des Arbeitnehmers sollte ganz klar als asozial wahrgenommen werden."
Heinz’ Memo war Teil eines Experiments, dass er zusammen mit den Ökonomen Sabrina Jeworrek (Uni Magdeburg), Vanessa Mertins (Uni Vechta), Heiner Schumacher (KU Leuven) und Matthias Sutter (Max-Planck-Institut für Ökonomik) konzipiert und dessen Ergebnisse er gerade veröffentlicht hat. Die Ausgangsfrage der Forscher lautete: Wie reagieren die Übriggebliebenen darauf, wenn ihre Kollegen auf unfaire Art gefeuert werden?
Die Antwort darauf dürfte derzeit auch Janina Kugel, die Personalchefin des Industriekonzerns Siemens, interessieren. Ihr Chef Joe Kaeser hat gerade zum Kahlschlag angesetzt. 6900 Stellen will er streichen, alleine in Deutschland könnten deshalb 3000 Menschen entlassen werden. SPD-Chef Martin Schulz nannte das „asozial“ – und manch ein Siemens-Mitarbeiter wird diese Einschätzung teilen. Für Kugel entstehen daraus zwei große Herausforderungen: Zum einen wird sie die eigentlichen Streichungen abwickeln müssen. Zum anderen muss sie dabei auch an die Reaktion derjenigen denken, die im Unternehmen verbleiben.
Dem Thema Entlassungen hat sich Matthias Heinz bereits von vielen Seiten wissenschaftlich genähert. Für seine Dissertation las er über zwei Jahre hinweg rund 50.000 Zeitungsartikel über Freistellungen, betriebsbedingte Kündigungen oder Werkschließungen. Immer wenn irgendwo eine größere Zahl von Menschen ihren Job verlor, schaute Heinz genau hin. "Das kann schon deprimierend sein", sagt er. Aber so entstand die Datenbasis für die Analyse eines der unerfreulicheren Aspekte des Arbeitsmarktes.
Im Jobverlust sieht Heinz die "dunkle Seite der schöpferischen Zerstörung", jenem Prozess, mit dem der ökonomische Vordenker Joseph Schumpeter schon im Jahr 1942 die Grundlage der Innovation beschrieb. Wenn neue, bahnbrechende Unternehmen wachsen, welken die Geschäfte der weniger innovativen, bis sie irgendwann völlig verschwunden sind.
Das lässt sich tagtäglich beobachten: Während etwa der Katalogversender Quelle in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, blüht der Onlinehändler Zalando auf. Oder ganz aktuell: Während Siemens ein Werk für Gas- und Dampfturbinen in Görlitz schließen will, baut der Konzern in Cuxhaven eine Fertigungsanlage für Windturbinen.
Das Problem daran: Es programmieren eben nicht die gleichen Leute Zalandos Onlineshop, die auch schon den Katalog von Quelle designt haben. Und nicht jeder Arbeiter, der Gasturbinen fertigt, kann seine Fähigkeiten auch in der Windkraft anwenden. Die Folge sind Entlassungen. Und die Folgen der Entlassungen sind oft drastisch.
Welcher Typ Mitarbeiter als Erster gefeuert wird
Was müssen Sie tun, um auf die Abschussliste zu geraten? Welche Mitarbeiter sind Lieblingsopfer von Mobbing? Martin Wehrle identifiziert die verschiedenen Typen. Die Vorstellung in aller Kürze...
Besserwisser haben zwei Fehler: Erstens sind sie anderer Meinung als der Chef. Und zweitens sagen sie das auch noch öffentlich. Sie kratzen an der Autorität des Chefs und brauchen sich nicht wundern, wenn dieser sie zum Abschluss freigibt.
Wenn ein Mitarbeiter alles hat, was eine Führungsposition braucht und sich zur Opposition aufbauen, muss sich der Chef Gedanken machen. Erstrecht wenn sie natürliche Autorität, Ehrgeiz und Fachwissen mitbringen. Es kann oft nur einen geben - und der Chef sitzt am längeren Hebel.
Wenn Mitarbeiter Pessimismus verbreiten und schlechte Laune und nur Probleme sehen, wo andere Herausforderungen vermuten - dann sind sie Miesmacher und ebenfalls im Visier des Chefs. Wer die Seifenblasen der Motivation zerbläst, muss mit Mobbing-Attacken rechnen.
Wer tief im Brunnen der Frustration festsitzt und in Sitzungen apathisch aufs Ende wartet - der zieht auch gern die Wut des Chefs auf sich. Die Schlafmütze zeichnet sich dadurch aus, dass sie bei anfallender Arbeit selten zuständig ist und mit den dicken Däumchen der Routine auf die Frühverrentung wartet.
Gefördert werden vom Chef dagegen Mitarbeiter-Typen wie das Alpha-Tier: Er ist ein geborener Führer wie der Rivale, allerdings fordert er den Vorgesetzten nicht zum Kampf auf. So schafft er es, vom Chef als Stellvertreter akzeptiert zu werden - auch ohne offizielle Ernennung. Das Team akzeptiert ihn als Leitwolf.
Der Oberexperte ist quasi der Staatssekretär des Chefs, der, der die fachlichen Mängel ausgleicht. Er bereitet die Entscheidungen im Hintergrund vor und stärkt nach außen den Rücken.
Manchmal gibt es Urgesteine in einer Abteilung, die allerdings immer noch hellwach dabei sind und voller Tatkraft stecken. Der "alte Hase" steht dabei nicht im Verdacht, ehrgeizig auf den Chefsessel zu schielen.
Das Talent, der Vorzeigestar, dessen Heldentaten die gesamte Firma aufschauen lassen. Der Chef ist stolz auf sein bestes Pferd im Stall, zumindest wenn es keinen Grund zum Zweifel an der Treue gibt.
Der verlängerte Arm des Chefs - vor allem für kleinere Aufgaben. Kein schlechtes Wort über den Chef kommt über seine Lippen, aber für höhere Aufgaben eignet er sich auch nicht.
"Stellenstreichungen sind schlecht für die betroffenen Menschen und ein Riesenschock für die Regionen", sagt Matthias Heinz. Die Forschung habe bislang gezeigt, dass wer einmal gefeuert wurde, auch noch Jahre später weniger verdient als jemand, der dieses Trauma nicht erleidet. Außerdem wiesen die Gekündigten eine höhere Scheidungs- und Suizidrate und ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Selbst ihre Kinder waren schlechter in der Schule.
Dazu verändert es ihre politische Einstellung. Bei den Präsidentschaftswahlen in den USA oder der Abstimmung zum Brexit wählten die auf diese Weise wirtschaftlich Abgehängten in beide Richtungen politisch extremer.
Faires Verhalten des Arbeitgebers ist betriebswirtschaftlich sinnvoll
In der aktuellen Studie wollte Heinz aber nicht diese direkten Auswirkungen untersuchen, sondern beobachten, wie sich eine Entlassung indirekt auf die verbliebenen Mitarbeiter auswirkt. Dazu wurde er für acht Wochen selbst zum Arbeitgeber. Für diese Zeit mieteten er und seine Kollegen ein komplettes Callcenter-Büro. Hier sollten rund 200 Menschen in jeweils zwei Schichten à dreieinhalb Stunden eine Telefonumfrage zum Thema "Flüchtlinge und Ehrenamt" machen.
Rekrutiert wurden die Arbeiter im Internet, über Flyer und auf der Straße. Der Großteil waren Studenten, es waren aber auch Arbeitslose und Rentner darunter. Wichtig für Heinz und seine Kollegen war: Fast keiner der Teilnehmer ahnte, dass das Callcenter eigentlich ein großes Labor war. Nur so konnten die Forscher davon ausgehen, dass das Ergebnis auch der Realität in Unternehmen nahe kommt.
Die erste ihrer Schichten arbeiteten alle Probanden ganz normal. Vor der zweiten Schicht teilten sie die Forscher in drei Gruppen auf. Eine Kontrollgruppe arbeitete ohne Veränderung weiter. Ein Fünftel der Teilnehmer aus den beiden anderen Gruppen wurde bereits Tage vorher informiert, dass ihre Dienste am zweiten Tag nicht mehr benötigt würden.
Weil dies für Ökonomen keine ganz alltägliche Forschungsweise ist und Heinz die möglichen negativen Folgen einer Kündigung so genau kennt, ließ er den Versuchsaufbau von einer Ethikkommission prüfen. So entstand die Auflage, die Entlassung nicht zu negativ zu gestalten. "Wir waren sehr nett. Die Leute haben uns das größtenteils nicht übel genommen", sagt Matthias Heinz.
Die Kollegen der Entlassenen waren das eigentliche Forschungsobjekt für Heinz’ Forschungsteam. Ein Teil dieser verbliebenen Arbeiter wurde vor Schichtbeginn nüchtern informiert, dass die Belegschaft an diesem Tag um 20 Prozent kleiner war. Der andere Teil bekam die bewusst "asoziale" Nachricht, dass aus Kostengründen zufällig ausgewählten Kollegen gekündigt wurde.
Die Forscher verglichen dann die Arbeitsleistung und -qualität zwischen erster und zweiter Schicht. Das klare Ergebnis: Diejenigen, deren Kollegen unfair behandelt wurden, machten zwölf Prozent weniger Anrufe. "Das ist ein sehr großer Effekt, äquivalent zu einer Lohnkürzung", sagt Heinz. "Das heißt, indirektes unfaires Verhalten schadet der Produktivität im Unternehmen in etwa so sehr, wie direktes unfaires Verhalten." Dazu kommt: Auch die Qualität der Arbeit nahm ab. Mündeten in der ersten Schicht noch 20 Prozent der Anrufe in einem erfolgreichen Gespräch, waren es in der zweiten nur noch 15 Prozent.
In einer Umfrage ein paar Wochen nach dem eigentlichen Experiment offenbarten die Forscher den Teilnehmern, dass sie Teil eines Versuchs waren. Sie sollten dann schildern, wie sie sich bei der Arbeit gefühlt hatten. Mit den persönlichen Arbeitsbedingungen waren alle zufrieden.
Aber: Die Gruppe, deren Kollegen ungerecht behandelt wurden, waren darüber sehr unzufrieden. Ein klares Indiz dafür, dass die Produktivitätsverluste größtenteils aus dem Zorn der Übriggebliebenen resultierten.
In einem echten Unternehmen könnten nach als unfair wahrgenommen Kündigungswellen also Umsätze sinken und Beschwerdezahlen steigen – und so das genaue Gegenteil des ökonomischen Kalküls der Firmen bewirken. Der Kölner Professor Matthias Heinz sieht darin aber eine gute Nachricht. "Die negative Reaktion der Mitarbeiter, die noch im Unternehmen sind, schützt die Entlassenen vor zu harten Maßnahmen", so Heinz. Denn um die negativen Effekte zu vermeiden, bemühten sich Arbeitgeber um einen sozialverträglichen Stellenabbau.
So könnte es auch im Fall von Siemens geschehen. Während Am Montag Personalvorständin Janina Kugel mit Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries diskutierte, versammelten sich vor dem Ministerium etwa 200 Siemens-Mitarbeiter zum Demonstrieren. Arbeitskampffähig sei man, so hieß es dort. Für den Fall, dass der Konzern hartnäckig bei seinen Plänen bleiben sollte, könnte es also unter Umständen zu teuren Streiks kommen. Personalchefin Kugel gab sich dann auch gleich konziliant. Die 6900 Stellen gäben den aktuellen Planungsstand wieder – darüber werde mit Arbeitnehmervertretern noch zu diskutieren sein.
Auch wenn es für die Siemens-Angestellten wenig mehr als ein wager Hoffnungsschimmer ist: Die dunkle Seite der schöpferischen Zerstörung lässt das wenigstens ein bisschen heller erscheinen.