Unternehmenserfolg Wer als Chef nicht zuhört, wird bald überflüssig sein

Seite 2/2

Den Mitarbeitern mehr zutrauen

Das weiß inzwischen auch Uwe Mommert. Schon länger war der Geschäftsführer des Medienbeobachters Landau Media in Berlin unzufrieden mit dem System zur Kundenverwaltung. Gewisse Auswertungen lieferte die Software fehlerhaft, andere gar nicht. Ein neues Programm sollte alle Probleme beseitigen – zum Preis von einer Million Euro.

Vorher jedoch sollte eine Arbeitsgruppe aus eigenen Mitarbeitern die Prozesse analysieren – und kam zu einem überraschenden Ergebnis: Das neue System würde die erhoffte Zufriedenheit gar nicht liefern können. Stattdessen reichten ein paar Eingriffe im alten System, und die kosteten nur ein Zehntel der Summe.

Seitdem hat sich Mommert vorgenommen, seinen Mitarbeitern mehr zuzutrauen und auf sie zu hören – und sich selbst stärker zurückzuhalten. Eine Fähigkeit, die für Top-Manager immer wichtiger wird.

Das bestätigt Nicolas von Rosty, Geschäftsführer der Personalberatung Spencer Stuart. Die Zeiten, in den Manager vor allem allwissend und respekteinflößend sein mussten, seien vorbei, sagt er, stattdessen dominierten Flexibilität und Teamfähigkeit. Das funktioniere aber nur, wenn man in der Lage sei, sich auf andere Menschen einzulassen. „Wer nur im Sendemodus ist“, sagt von Rosty, „wird in der Top-Etage bald überflüssig sein.“

Deshalb findet der renommierte Headhunter die Fähigkeit zur Kommunikation auch wichtiger als Kompetenz: „Wenn Wissen leicht verfügbar ist und schnell veraltet, kann nicht ein Einzelner allein über alle entscheidenden Informationen verfügen.“ Essenziell sei, die richtigen Experten zu vereinen und ihnen Raum für ihre Ideen zu geben: „Die Zukunft gehört nicht dem perfekten CEO, sondern dem perfekten Team.“

Einer, der diesen Lernprozess hinter sich hat, ist Büromöbelhändler Paul Eilfeld. Früher, sagt der Inhaber des Unternehmens Büromöbel-Experte in Dresden, habe er nur diktiert. Bis eines Tages ein Mitarbeiter zu ihm kam, mit Wut im Bauch und einer Liste von Problemen in der Hand.

Den Mann gehen zu lassen war keine Alternative – dafür sind Fachkräfte in Sachsen zu knapp. Also beschloss Eilfeld, sich die Beschwerden anzuhören. Und nachdem sich die beiden zusammengesetzt hatten, war ihm klar, dass es ohne Zuhören nicht geht: „Ich kann alleine nicht so effizient sein wie 28 Leute.“ Heute hat er ein festes Ritual. Jeden Tag macht er die Runde durchs Unternehmen, begrüßt alle Mitarbeiter und holt Feedback ein. Zu Arbeitsabläufen, Projekten oder der Technik.

Sicher, mit 28 Angestellten in Dresden fällt ihm das leichter als einem Konzern-CEO mit Tausenden von Mitarbeitern und Standorten rund um die Welt – aber auch die können Wege finden, um in die Belegschaft hineinzuhorchen. Und das wird durch die digitalen Helfer sogar erleichtert.

Swen Rehders zum Beispiel, Deutschland-CEO des japanischen IT-Riesen NTT, wollte vor allem die Fluktuation im Konzern senken. Deshalb las er vor seinem Amtsantritt im Jahr 2015 knapp 100 Einträge auf dem Arbeitgeberbewertungsportal Kununu zu NTT Data – und stellte fest, dass die Mitarbeiter Wertschätzung vermissten. Rehders initiierte daraufhin ein Programm, mit 360-Grad-Befragungen inklusive Feedback von Kollegen, Vorgesetzten, Kunden, dazu Nachwuchsprogramme und Videobotschaften. Mit Erfolg: Innerhalb von drei Jahren hat er nicht nur den Umsatz um mehr als 50 Prozent auf 316 Millionen Euro gesteigert, sondern auch die Zahl der Mitarbeiter von 1100 auf 1700.

Die Kunst des offenen Ohrs wird auch beim Stuttgarter Konzern Bosch ernst genommen. Beim Lunch-Roulette werden alle vier Wochen Tandems für ein gemeinsames Mittagsessen ausgelost. Damit Menschen sich gegenseitig zuhören, die sonst nie miteinander reden würden.

Die Stuttgarter gehen aber noch einen Schritt weiter, über das reine Zuhören hinaus. Seit einem Jahr testen einige Abteilungen ein neues Stellenbesetzungsverfahren: Bei Beförderungen auf gewisse Positionen dürfen künftige Kollegen ein Veto einlegen – wenn sie es gut begründen. So will das Unternehmen Reibereien von vornherein verringern.

In den Büros funktioniert das Verfahren bereits, nun kommt es auch in der Fertigung zum Einsatz. Jörg Ermel, Leiter des Qualitätsmanagements bei einer Robert-Bosch-Tochterfirma, will auch in der Gießerei sicherstellen, dass neue Vorgesetzte zum Team passen. „Damit zeige ich meinen Mitarbeitern nicht nur meine Wertschätzung, sondern gebe ihnen Verantwortung“, sagt Ermel.

Weil sich dieses Verfahren bewährt, wurde es nun sogar auf den Schichtleiterposten ausgeweitet. Jede Stimme zählt beim Auswahlverfahren gleich viel, egal, ob vom Mitarbeiter oder vom Chef. Ermel: „Denn wenn die Führungsebene die Mitarbeiter überstimmen könnte, wäre das Verfahren sinnlos.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%