Jürgen Stehrs Baumaschinen-Firma entwickelt, produziert und vertreibt Spezialgerät für den Straßenbau. Der Unternehmer hält mehr als 70 Patente. Für sein Neuestes ist die Auftragslage besonders gut. „Wir konnten die Produktionskosten für die Maschine nicht komplett aus dem Cashflow stemmen“, berichtet der hessische Mittelständler, warum er im Herbst bei seiner Hausbank um Kredit gebeten hat. Doch statt der angefragten dreiviertel Million Euro streckt die Bank ihm nur eine halbe vor. Für die restlichen 250.000 Euro sucht Stehr private Investoren über kapilendo. Das Berliner Startup arbeitet wie ein Kreditmarkt, präsentiert online Privatanlegern Projekte. Crowdlending nennt sich diese Form der Kapitalbeschaffung.
Schnell, aber ohne Sicherheit
Mehr als 1,3 Billionen Euro Kredit vergaben Banken 2015 an inländische Unternehmen und wirtschaftlich Selbstständige, sagt der Bankenfachverband. Das Kreditvolumen, das im selben Jahr über Online-Plattformen vergeben wurde, wirkt dagegen belanglos: 249 Millionen Euro waren es laut den Wirtschaftsprüfern von KPMG.
Anders sieht es beim Arbeitstempo aus: Dauern Kreditanträge bei Banken im Schnitt vier bis sechs Monate, geben Online-Finanzierer an, Anträge innerhalb weniger Tage zu bearbeiten. Ein Vorteil der Fintechs: Sie digitalisieren Prozesse, arbeiten dadurch effizienter und günstiger. So können Crowd-Finanzierer teils gleiche oder bessere Konditionen anbieten, als traditionelle Kreditinstitute. Hinzu kommt: Privatanleger lassen sich von Crowd-Projekten leichter überzeugen, als die Hausbank.
Daher sind die virtuellen Kreditalternativen vor allem geeignet, um Betriebsmittel für Wachstum zu finanzieren oder um Digitalvorhaben anzuschieben. Denn dafür geben Banken ungern Geld. Wenn Investitionen nicht Ratio getrieben sind, tun sich Geldhäuser schwer mit dem Verleihen – „Emotionen sind den Banken nicht erlaubt“, verdeutlicht KPMG-Expertin Irena Pitter.
Die Krux: Diese Denke hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten dermaßen manifestiert, dass sich gestandene Mittelständler bis heute daran klammern. Dabei ist der Markt in Bewegung wie nie: „Online Alternativen zur Hausbank sind da, jetzt beginnt die Lernphase“, vermutet Pitter. Die Rechnung ist einfach: Wenn Firmeninhaber erkennen, dass Finanzierung nichts mehr sein muss, was hinter verschlossenen Türen geschieht, sondern über die Öffentlichkeit zur Marketingmaschine mutieren kann, werden Kreditalternativen gefragter sein.
Offenheit statt Geheimsache
Auch Stehrs Kreditgeschäfte waren bislang Geheimsache. Auf dem online Kapitalmarkt geht es hingegen öffentlich und transparent zur Sache. Über gesponserte Posts bei Google, Facebook & Co. sehen potentielle Investoren, was Stehr mit dem Geld herstellen will. Was genau der patentierte Plattenverdichter kann, zeigt ein Ein-Minuten-Video. Außerdem gibt der Mittelständler Umsatz und Betriebsergebnis preis. „Mit etwas Recherche sind die Zahlen auch über andere Wege zu finden, schließlich unterliegen wir der Offenlegungspflicht“, begründet der GmbH-Geschäftsführer und Chef von 30 Mitarbeitern, weshalb er kein Problem damit hat, Zahlen zu nennen. Der Mut wird belohnt: „Am 3. Januar steht das Projekt online, am 6. ist es finanziert.“ Tilgung und Zins begleicht der Erfinder nun vierteljährlich in konstanten Raten. Mehr als sechs Millionen Euro für knapp 30 Projekte hat kapilendo-Gründer Christopher Grätz seit Juli 2015 eingesammelt. Die Kapitalnehmer kommen ausschließlich aus dem deutschen Mittelstand, zahlten im Schnitt fünf Prozent Zinsen, bei einer Laufzeit von 35 Monaten.
Die wichtigsten Fakten zu Crowdfunding
Beim Crowdfunding stellt der Projektinitiator seine Idee auf einer Plattform vor, legt eine Summe fest, die er erreichen möchte, und bietet den Unterstützern je nach Summe, die sie bieten, eine Gegenleistung. Unterstützer bekommen so beispielsweise bei einer Filmproduktion eine Kinokarte oder eine Danksagung auf der ersten Seite, wenn es um ein Buchprojekt geht. Wer also finanzielle Unterstützung leistet, erhält meist etwas Besonderes für sein Geld. Ist die Summe komplett in der Projektzeit durch Unterstützer finanziert, bekommen die Projektinitiatoren das Geld ausbezahlt, um ihre Idee dann in die Tat umzusetzen.
Beim Crowdinvesting wird ein Projekt ebenso vorgestellt wie beim Crowdfunding. Die Unterstützer sind hier aber Investoren. Sie bekommen meistens keine Gegenleistung in Form von spezifischen „Dankeschöns“, sondern erhalten Anteile am Projekt und werden am Gewinn beteiligt. So etwa bei einem Filmprojekt je Anteil zum Beispiel einen Euro pro verkaufter Kinokarte.
Wenn ein Projekt in der Finanzierungsphase die Zielsumme nicht erreicht, gibt es kein Geld für das Projekt. Die Gelder fließen dann an die Unterstützer zurück. Nur wenn die Summe zu 100 Prozent (oder mehr) erreicht wurde, geht das Geld an das Projekt.
Jeder potenzielle Unterstützer soll die Chance bekommen möglichst alles über das Projekt zu erfahren. Dabei geht es darum, dass in einem Crowdfunding-Projekt nicht nur die Ideen und Pläne vorgestellt werden, sondern die Kostenstruktur und natürlich die Menschen im Einzelnen, die hinter der Idee stehen.
Viele kleine Beträge können viel erreichen: Beim Crowdfunding bedeutet das Prinzip des Micropayments, dass auch Kleinstbeträge von wenigen Euros oder sogar Cents gezählt werden. Dies ist bei vielen Projekten der Fall.
Beim Seedcapital handelt es sich um die Art von Crowdfunding, bei dem es um die Finanzierung von Start-ups geht. Das gesammelte Geld ermöglicht dabei erst die Gründung eines Unternehmens.
Eine Umfrage der TU Darmstadt aus dem vergangenen Jahr bestätigt den zarten Vorstoß der Fintechs in den Mittelstand. Dreiviertel der befragten Finanzentscheider aus mittelständischen Firmen gaben an, dass sie für kurzfristige Kredite digitale Anbieter in Betracht ziehen. Deshalb arbeiten wohl auch immer mehr Banken mit Fintechs zusammen. Die Commerzbank mit der Kreditplattform iwoca, über die Selbstständige und kleine Betriebe Geld leihen können. Die Sparda Bank Berlin kooperiert mit dem Online-Kreditmarktplatz Funding Circle. Eine halbe Million Kunden erhalten Zugang zu regionalen Projekten und können in diese investieren. Von solchen Kooperationen erhoffen sich beide Seiten Profit: Die Crowd-Finanzierer von der Sicherheit und Bekanntheit der Institute. Die Banken von der Schnelligkeit und Innovationskraft der Fintechs.
Was beide übrigens gemeinsam haben sind mehrstufige Prüfprozesse. Auch bei den Online-Anbietern analysieren und bewerten Experten Unternehmen, leiten daraus Bonitäten und Ausfallwahrscheinlichkeiten ab. Ein geringerer Zins geht mit einem geringeren Ausfallrisiko einher und umgekehrt. Wird das Risiko als zu hoch bewertet, lehnen die Geldvermittler aus dem Netz Kreditanfragen ebenso ab, wie traditionelle Banken. Geld für lau, gibt’s also auch im Netz nicht.