Wo der informelle Austausch auf dem Flur oder am Kaffeeautomaten wegfällt, müssen alle mehr und bewusster kommunizieren. Das Hernstein Institut für Management und Leadership hat Führungskräfte in deutschsprachigen Ländern dazu befragt, welche Kompetenzen sie für das Führen auf Distanz für wichtig halten. Mit 38 Prozent nennen die Chefs eine „klare (virtuelle) Kommunikation“ als eine der größten Herausforderungen. Nur eine halten sie mit 53 Prozent für noch wichtiger: nämlich den „Aufbau von Vertrauen“.
Beziehungsqualität pflegen
Und das läuft letztlich nur über den persönlichen Kontakt. Dies wies der amerikanische Sozialpsychologe Gregory Northcraft jüngst mit einem Experiment an der Universität von Illinois nach: Die Arbeitsergebnisse jenes Studenten-Teams, das sich lediglich über E-Mails und Videokonferenz austauschte, nahmen mit der Zeit ab. Die Motivation schwand, das gegenseitige Vertrauen bröckelte. Die Technik allein kann lediglich die Arbeitsabläufe beschleunigen, folgert Northcraft: „Wir gewinnen damit zwar Zeit, verlieren aber Beziehungsqualität.“
Auch deshalb legt Merck-Manager Grünewald viel Wert darauf, seine 22 direkten Mitarbeiter regelmäßig persönlich zu sehen. Einzelgespräche, die er mit ihnen jeweils direkt zu Jahresbeginn plant, gehören dazu genauso wie gemeinsame Kegel- oder Koch-Abende. Einmal im Jahr trifft Grünewald sein gesamtes Netzwerk aus Einkäufern auf Workshops in Südamerika, Asien und den USA. Dazu telefoniert er „täglich bis zu drei Stunden“ regelmäßig mit seinen Mitarbeitern.
Dass sich Zwischentöne im Gespräch besser transportieren lassen als per SMS oder E-Mail, weiß auch Michael Müller-Berg. Der 48-Jährige leitet das Geschäft mit den 400 umsatzstärksten Großkunden der Deutschen Telekom. Rund 200 E-Mails liest er am Tag. Wenn er den Eindruck hat, dass eine dieser elektronischen Nachrichten „mit falschen Emotionen“ abgeschickt wurde, greift er zum Hörer. „Ich bitte die Kollegen dann, die Sachlage persönlich zu klären.“ Umgekehrt steht unter jeder E-Mail von Müller-Berg seine Handynummer. „Außerhalb der Wochenenden kann mich jeder Mitarbeiter innerhalb von wenigen Stunden erreichen“, sagt er. „Allerdings erwarte ich, dass die Kollegen vorher abwägen, ob die Angelegenheit wirklich dringend ist.“
Grenzen verschwimmen
Dieser Grat zwischen gewünschtem Effekt und Übertreibung ist beim flexiblen Arbeiten schmal: Eine ständige Erreichbarkeit und Vernetzung lässt die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben zunehmend verschwimmen. Laut einer Umfrage des High-Tech-Verbands Bitkom geben 88 Prozent der befragten Arbeitnehmer an, auch außerhalb der Arbeitszeit per Handy oder E-Mail ansprechbar zu sein. Zwei Jahre zuvor waren es noch 73 Prozent.