Unternehmenskultur Chefs geben sich plötzlich volksnah

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Deutsche sind zurückhaltend mit dem Du

Der Durchschnittsdeutsche steht irgendwo zwischen dem Schweizer und dem Österreichischen Modell: Laut einer Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach siezen 36 Prozent der Deutschen sogar ihre gleichrangigen Kollegen, 60 Prozent bieten nur engen Freunden und Verwandten das "Du" an und fast jeder Vierte hat sogar schon einmal ein Duz-Angebot ausgeschlagen.

Und auf einmal sagt der CEO: Du kannst ruhig Du zu mir sagen. „Wenn der Chef Mitarbeitern das Du anbietet, ist es üblich, dass man annimmt, auch wenn man es nicht nur gut findet“, sagt Wunderer. Und gut finden das viele vermutlich nicht, die Deutschen haben nämlich offenbar gar keine Lust, ihren Chef zum Kumpel zu haben: Nur fünf Prozent sind auf den sozialen Netzwerken mit Ihrem Vorgesetzten vernetzt und 57 Prozent würden eine Freundschaftsanfrage vom Vorgesetzten ablehnen, wie eine repräsentative Umfrage von Bitkom zeigt.

Für die Mehrheit der Deutschen ist das Du ein Vertrauensbeweis, wie Psychologin Ilona Bürgel sagt. „Es wird also verschieden sein, wie wohl sich Menschen mit dem Du fühlen. Wer sowieso eher locker ist, wird es mögen.“ Wer auf Förmlichkeiten Wert legt, hat Pech.

„Bei einem Unternehmen mit flachen Hierarchien, beispielsweise bei Start-ups, ist es eine natürliche Entwicklung, dass man sich das Du anbietet. Je ausgeprägter die Hierarchien, desto skeptischer wäre ich bei dem Konzept“, sagt Tim Hagemann. „Siezen ist immer auch ein Zeichen von Respekt und schafft eine professionelle Distanz.“ Hagemann ist Professor an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld mit dem Schwerpunkt Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie.

Er ist überzeugt, dass die neue Duz-Kultur in deutschen Unternehmen am Umgangston in skandinavischen und amerikanischen Unternehmen anlehnt, wo es wegen der Sprache keine Unterscheidung zwischen Sie und Du gibt. „Aber gerade US-Unternehmen sind oftmals sehr hierarchisch aufgebaut. Da hat man eben andere Mittel und Konzepte, die Distanz zwischen Manager und Mitarbeitern auszudrücken“, so Hagemann.

Was gegen Duzen spricht

Entsprechend fürchten manche Vorgesetzte, dass Duzen zu einem Autoritätsverlust führt und die professionelle Distanz verloren geht. Und: „Wenn man per Du ist, ist es sowohl für Mitarbeiter als auch Führungskräfte schwieriger, seine Interessen durchzusetzen“, wie Hagemann sagt.

Du wirst nicht befördert und Du bekommst keine Gehaltserhöhung – das klingt nach einer persönlichen Abwertung. Sie werden nicht befördert und Sie bekommen keine Gehaltserhöhung klingt dagegen sachlich.

Umgangsformen: Wer bietet wem das Du an?

Und Bürgel ergänzt: „Respekt oder Wertschätzung kommt nicht automatisch mit dem „Sie“. Es entspricht allerdings eher unserer deutschen Denk- und Arbeitskultur, bei der bislang eher auf hierarchisches Denken Wert gelegt wurde.“ Da viele Menschen Berufliches und Privates lieber trennen, passe das „Sie“ ihrer Meinung nach im Beruf besser. Auf der anderen Seite sagt sie, dass sich allein durch eine veränderte Ansprache diese Einstellung nicht ändern werde. Dass die Otto-Mitarbeiter wegen der vertraulichen Anrede in Hos also nicht mehr Otto-Chef Schrader sehen, ist eher unwahrscheinlich.

Aber: „Ob ich Sie Arschloch oder Du Arschloch sage, macht einen Unterschied“, wie Michael Kastner, Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin (IAPAM), sagt. Er predige bei seinen Managern deshalb immer, eine gesunde Halbdistanz zu wahren, also nicht mit den Mitarbeitern in den Urlaub zu fahren, aber trotzdem so kollegial zusammen zu arbeiten, dass sich alle wohl fühlen. „Die Variante aus Siezen und Vornamen finde ich ganz charmant, unsere Sprache ermöglicht ja verschiedene Variationen, jemanden anzusprechen.“

 

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