
Wenn einer seiner Mitarbeiter kündigt, will Wilfried Beeck wissen, warum. Er setzt sich dann mit den scheidenden Angestellten für ein Gespräch zusammen.
Einer der häufigsten Gründe, die er dabei hört: „Ich sehe hier keine Karrierechancen.“ Klingt nach einem lösbaren Problem – wird der unzufriedene Mitarbeiter eben befördert. Ist es aber nicht. Denn Beecks Unternehmen Epages funktioniert ohne Hierarchien. Es gibt Beeck als Gründer und Chef, ein zehnköpfiges Management-Team und weitere 180 Mitarbeiter, die alle auf der gleichen Hierarchieebene arbeiten.
Hört sich erst einmal toll an. Doch heißt eben auch: Sprosse für Sprosse die Karriereleiter erklimmen? Bei Epages ist das nicht möglich. „Wenn ein Konkurrent unsere Mitarbeiter anspricht und sagt, bei uns kannst du Head of Irgendwas werden, dann können wir nur schwer ein gleichwertiges Gegenangebot machen“, sagt er. Der Unternehmer hat deshalb schon Softwareentwickler an Mitbewerber verloren.
Beeck weiß somit aus eigener Erfahrung, welche Vor-, aber auch welche Nachteile eine flache Unternehmensstruktur haben kann. Die damit einhergehenden Freiheiten sind einerseits wichtig, um autonom arbeitende Programmierer und Coder anzulocken. Sie sind aber auch ein Hindernis, wenn es darum geht, die besten Mitarbeiter zu halten und durch Beförderungen zu motivieren. „Die Einführung eines hierarchiefreieren Systems ist sehr schmerzvoll“, sagt der Epages-Gründer, der sein Unternehmen erst vor fünf Jahren auf diese Art umgestellt hat.
Neue Managementmethoden mit flachen Hierarchien
Motivierender als klassische Seminare sind Veranstaltungen, die flache Hierarchien, Selbstorganisation und Ideenaustausch fördern.
Zu Beginn befragen sich jeweils zwei Teilnehmer gegenseitig zu einem Thema und veröffentlichen die Erkenntnisse auf einer Pinnwand. Anschließend bilden die Teilnehmer einen großen Kreis mit Pinnwänden, auf denen jeder Teilnehmer ein Thema vorschlagen kann. Dann verteilen sich die Anwesenden gemäß ihren Interessen. So entstehen Arbeitsgruppen, die anschließend die Themen vertiefen. Es gilt das „Gesetz der zwei Füße“: Wer sich langweilt, der schließt sich einer anderen Diskussion an. Am Ende stellen die Gruppen ihre Ergebnisse vor, die Zuhörer geben Feedback. Das Ziel: Aus der Diskussion soll ein konkretes Projekt entstehen.
Bei diesem Format werden nur Ort und Teilnehmer vorgegeben – Themen und Referenten ergeben sich spontan aus dem Teilnehmerkreis. Wer mag, kann einen Beitrag vorbereiten, andere referieren frei über ihr Fachgebiet, wobei sie aber nur eine Einführung geben und die anschließende Diskussion strukturieren. Da sich die vor Ort entstehende Agenda konsequent an den Interessen der Teilnehmer orientiert, wird keine Zeit verschwendet und nicht am Thema vorbei diskutiert. Es entsteht ein kritischer Dialog auf Augenhöhe, ohne starre Hierarchien.
In diesem Format, dessen Name sich vom gleichnamigen US-Paketdienst ableitet, beschäftigen sich Fachleute aus verschiedenen Bereichen einen Tag lang mit einem Thema, das außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegt. Die Idee: mit frischer Perspektive unbelastet von Fachexpertise über Problemstellungen nachdenken. Die Ergebnisse müssen am Ende des Tages präsentiert werden, so entstehen schnell neue Konzepte bis hin zu Prototypen.
Zum Beispiel musste Beeck feststellen, dass der Puffer zwischen ihm und den Mitarbeitern mit abnehmender Hierarchie kleiner wurde. Das führte anfangs dazu, dass er mit Berichten und Reports von allen Seiten überflutet wurde.
Wenn die Affen den Zoo regieren
Und doch sind es längst nicht mehr nur Start-ups und kleinere Technologieunternehmen wie das von Wilfried Beeck, die weniger Hierarchie wagen wollen.
In Zeiten, in denen sich Produkte und ganze Geschäftsmodelle so radikal und schnell ändern wie aktuell im Zuge der Digitalisierung, scheinen langwierige Entscheidungsprozesse ein Todesurteil. Daimler-Chef Dieter Zetsche kündigte vor Kurzem im Interview mit der WirtschaftsWoche an: „Daimler wird sehr viel schneller und beweglicher agieren als bisher.“ Wie Dr. Z das umsetzen will? Entscheidungsprozesse sollen auf zwei Ebenen reduziert werden, bislang waren es bis zu sechs. Ein allgemeiner Trend.
Die Ökonomen Raghuram Rajan und Julie Wulf stellten schon vor zehn Jahren fest, dass vor allem das Mittelmanagement in den USA wegschrumpft. In Deutschland und Österreich konnte Dalia Marin von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) diesen Trend ebenfalls beobachten. Sie untersuchte in einer Studie, auf welcher Ebene Entscheidungen getroffen werden. Das Ergebnis? Immer seltener vom Chef allein, der Prozess hat sich in den vergangenen Jahren stark dezentralisiert.
12 Karriere-Mythen
Nein! In der Realität gibt es diese Altersschranke oft gar nicht, glaubt Headhunter Marcus Schmidt: „Manche Mandanten suchen sogar explizit Führungskräfte ab 50, weil sie viel Wert auf Erfahrung legen und nicht wollen, dass der Neue gleich wieder weiterzieht.“ Zudem gilt in Deutschland seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das eine Diskriminierung aus Altersgründen verbietet.
Seine Erfahrungen hat Schmidt in dem Buch „Die 40 größten Karrieremythen“ niedergeschrieben. Handelsblatt Online hat die spannendsten Zitate ausgewählt.
„Die Frage, ob man promovieren soll oder nicht, hängt von der angestrebten Karriere ab“, sagt Schmidt. Denn die Promotion koste immer auch Zeit – in der Diplomanden ein vergleichsweise geringes Gehalt beziehen. „Nicht alle jungen Berater, Anwälte und Wirtschaftsprüfer wollen in einem Unternehmen zum Partner aufsteigen oder erreichen dieses Ziel.“
Falsch! Entscheidend für die Karriere sei nicht, bei welchem Unternehmen man arbeite, sondern welche Aufgaben und Entfaltungsmöglichkeiten man habe, sagt Personalberater Schmidt. „Gerade in weniger etablierten Unternehmen gibt es oftmals spannendere und weniger standardisierte Aufgaben als in Großkonzernen“, so Schmidt.
Im Gegenteil: Eigene, gut argumentierte Überzeugungen hält Headhunter Marcus Schmidt für unabdingbar. „Wer nur mitläuft, um ja keinen Fehler zu machen, kann nichts Herausragendes leisten und wird nicht dauerhaft auf sich aufmerksam machen“, so Schmidt. So könne man sich nicht profilieren oder für die nächsten Ebenen empfehlen.
Die deutsche Wirtschaft zeigt ein anderes Bild: Absolventen hätten sich selten in die Führungsetage hochgearbeitet, sagt Schmidt. Anders als der Doktortitel ist der MBA zudem kein normierter akademischer Grad, seine Vergabe wird also grundsätzlich nicht staatlich geregelt oder kontrolliert. Wer Studiengebühren von bis zu 70.000 US-Dollar auf sich nehme, solle deshalb das Renommee der Schule immer überprüfen.
Muss man heute studieren, wenn man Karriere machen will? Nein, glaubt Headhunter Marcus Schmidt. Und einige prominente Konzernlenker geben ihm recht: Telekom-Chef René Obermann etwa hat sein Studium abgebrochen, und auch Klaus-Peter Müller, bis 2008 Vorstandsvorsitzender der Commerzbank und jetziger Aufsichtsratsvorsitzender, hat nie studiert.
Die Position mit Perspektive sei nicht immer die am besten bezahlte, sagt Marcus Schmidt. So könne sich für ein renommiertes Traineeprogramm ein kurzfristiger Gehaltsverzicht durchaus auszahlen - etwa, wenn das ausbildende Unternehmen in seiner Branche als Kaderschmiede gilt.
Nicht immer, sagt Headhunter Marcus Schmidt – stattdessen kann der Auslandseinsatz sogar zum Nachteil werden. „Oftmals sind es die Daheimgebliebenen, die dann verbleibende Inlandsposten unter sich aufteilen“. Sie säßen dann auf Stühlen, auf die Auslandsrückkehrer vergeblich spekulieren.
Wer auf standardisierte Einstiegsprogramme in Unternehmen mit hohem Bekanntheitsgrad setze, müsse auch in Kauf nehmen, dass die eigene Berufslaufbahn nachgemacht wirkt, sagt Personalberater Marcus Schmidt. „Gehen Sie eigene Wege. Suchen Sie Ihren Einstieg ruhig gegen den Strich. Probieren Sie etwas aus, was sie wirklich interessiert.“
Falsch, glaubt Headhunter Marcus Schmidt. Ebenso wichtig wie der tatsächliche Zeiteinsatz sei der gefühlte Zeiteinsatz. Und der definiere sich auch durch die Befriedigung mit der getanen Arbeit. „Wer es schafft, aus seines Arbeit weitgehend Befriedigung zu ziehen, muss auch nicht Karriereschablonen zum persönlichen Zeiteinsatz nachjagen.“
Tatsächlich finde sich diese „gläserne Decke“ vor allem in den Köpfen der männlichen Entscheider, glaubt Schmidt. Für weibliche Führungskräfte scheine sie hingegen kein Thema zu sein. „Viele Beratungsunternehmen und große Konzerne bitten uns öfter sogar explizit, nach weiblichen Kandidatinnen zu suchen.“
„In der Krise wählen Unternehmen bei der Besetzung von Stellen zwar sorgfältiger aus. Aber sie stellen trotzdem noch ein“, ist die Erfahrung von Marcus Schmidt. Gerade in Phasen des Umbruchs gebe es etwa die Chance zur Übernahme von Restrukturierungsjobs, bei denen wirklich die Fähigkeit der Verantwortlichen zählt.
Fragt man Wilfried Beeck, gibt es dafür viele gute Gründe. Flache Hierarchien erhöhen zum Beispiel das Wohlbefinden der Mitarbeiter. „Ich möchte nicht, dass sich die Leute fühlen wie in einem großen Apparat“, sagt Beeck. Stattdessen will er ihnen freie Hand lassen bei Entscheidungen und jeden seine eigenen Stärken ausleben lassen.