Vetternwirtschaft ist der Vorwurf, der im Raum steht: Verkehrsminister Volker Wissing soll 18 hochbezahlte Stellen im Ministerium nicht ausgeschrieben haben, obwohl es das Bundesbeamtengesetz vorschreibt, berichtete die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion. Zuletzt, weil sein Abteilungsleiter Klaus Bonhoff beteiligt gewesen sein soll an der Vergabe von Fördermitteln an einen Freund, berichtete auch das „Handelsblatt“. Die Rede ist laut Nachrichtenagentur „afp“ auch von Bonhoffs Patenten rund um die Brennstoffzelle, von deren Förderung durch sein Ministerium Bonhoff persönlich profitiere. Bislang ist alles ungeklärt, die Anti-Korruptions-Organisation Lobbycontrol fordert dringend Aufklärung.
„Potenzielle Interessenkonflikte sind immer auch potenzielle Korruptionsrisiken“, warnt Compliance-Anwältin Karin Holloch von Transparency International, einer Organisation für Korruptionsbekämpfung. „Zweifel an der Integrität der Auswahlentscheidung gerade bei einer so wichtigen Zukunftstechnologie lassen sich nicht mehr ausräumen.“ Leider seien bei den Vorschriften für Beamte nur Handlungsanweisungen in Bezug auf Angehörige, eine entgeltliche Beschäftigung oder Tätigkeit als Vorstand oder Aufsichtsrat beim Beteiligten klar geregelt, sagt die Juristin. „Wenn es sich um private Beziehungen wie Freundschaften handelt, gibt es keine klaren Vorgaben.“
Die Causa wirft ein Schlaglicht auf all die Fallstricke, die dort lauern, wo Privates und Berufliches zu eng verknüpft wird. Fallstricke, die nicht nur Politiker, sondern oft auch Manager unterschätzen. Welche Spielregeln also gelten für Entscheider in der freien Wirtschaft für mögliche Vetternwirtschaft und Interessenkonflikte bei Auftragsvergaben oder Stellenbesetzungen?
Es gibt kein Verbot, Verwandte oder Freunde einzustellen
„Es ist für Manager in der freien Wirtschaft gesetzlich nicht verboten, einen Verwandten, den Ehepartner oder den Sohn eines guten Freundes aus dem Karnevalsverein einzustellen oder zu befördern“, stellt der Strafrechtler Norbert Nolte von der Kanzlei Freshfields den Grundsatz klar. „Seilschaften im Unternehmen lassen sich nicht ohne weiteres mit rechtlichen Mitteln verhindern.“ Das heißt aber nicht, dass alles erlaubt ist. Stelle ein Manager jemanden ein, der für den Job nicht die nötige Qualifikation mitbringt, mache er sich damit womöglich sogar schadenersatzpflichtig, betont Strafrechtler Nolte.
Kommt ein Manager etwa auf die Idee, seine Ehefrau, Geliebte oder Verwandte nur auf dem Papier und ganz ohne Eignung auf einen Posten im Unternehmen zu hieven, könne das durchaus als Betrug gewertet werden. Und das sei strafbar. Solche Fälle gibt es immer wieder – auch wenn sie längst nicht immer an die Öffentlichkeit dringen. Zu peinlich sind derlei Vorkommnisse für Unternehmen, so dass sie einiges tun, um sie geheim zu halten.
Viele Unternehmen haben deshalb eigene Conflict of Interest Policies, die die Einstellung oder Bevorzugung von oder sogar jedwede geschäftliche Beziehung mit Verwandten, Ehepartnern und Lebensgefährten untersagen, berichtet Nolte. Die Grenze zu einer – strafbaren – Untreue könne aber durchaus schon überschritten sein, wenn sich der Manager selbst schon vorher einen Vorteil versprechen ließ, so der Jurist. Konkret: Wenn der Entscheider im Gegenzug beispielsweise Geld, Sachleistungen oder andere Gefälligkeiten für die Stellenbesetzung erhält.
Vier Punkte sollten Manager beherzigen
Jenseits der Frage, ob sie sich mit solchen Kungeleien strafbar machen, sollten sich Manager aber noch eine andere stellen: Schaden sie damit womöglich ihrem Ansehen – oder der Reputation derer, die sie befördern? Was also können sie tun, um gar nicht erst in den Verdacht von Vetternwirtschaft bei Stellenbesetzungen zu kommen? Gudrun Happich, Spezialistin für Führungskräfte-Coaching rät: klar kommunizieren, nach welchen Kriterien man die Mitarbeiter aussucht und einstellt. „Und dass dies immer zum Besten des großen Ganzen sein wird, dass der Beste für diese Rolle gesucht und eingestellt wird.“ Das sei eine Aussage, an der man sich als Manager messen lassen kann. Und die man durchaus verteidigen könne, wenn der Beförderte ein Verwandter ist.
Wie Chefs das Vertrauen ihrer Mitarbeiter gewinnen
Persönliche Informationen sollten Chefs vertraulich behandeln. Die Information, dass der Kollege nicht die Grippe, sondern Burn-Out hat, sollte kein Chef durch die Kantine posaunen.
Wer erzählt, was er an anderen schätzt und toll findet, wird selbst als besser wahrgenommen und schafft es, dass die Zuhörer ihm vertrauen.
Täuschen, dramatisieren und beschwichtigen sind Gift für ein Vertrauensverhältnis. Lügen und das Weglassen von Informationen werden von Mitarbeitern gleichermaßen als schlimm empfunden. Die Wahrheit kann manchmal verletzend sein, trotzdem ist es wichtig, sie auszusprechen. Damit diese Ehrlichkeit niemanden verletzt, sollte man sie stets mit wertschätzenden Äußerungen verbinden.
Hat der Praktikant eine gute Idee, sollte diese ernst genommen werden. Chefs sollten vermeiden, auf andere herabzusehen.
Bitte, danke, guten Morgen, wie geht es dir? Diese Alltagsphrasen können im beruflichen Miteinander den Unterschied machen. Wer sich für sein Gegenüber interessiert, und sei es nur in einem kurzen Gespräch, baut ein positives Verhältnis auf.
Je mehr die Mitarbeiter wissen, desto sicherer fühlen sie sich. Selbst wenn die Führungskraft denkt, etwas sei nicht wichtig, sollte sie lieber mehr als zu wenig teilen.
Ihre Entscheidungen muss eine Führungskraft begründen. Wieso hat der eine Mitarbeiter Urlaub bekommen und der andere nicht? Hat der scheinbar Bevorzugte zum Beispiel zwei Kinder und die Betreuungsmöglichkeit fehlt, hat der Zweite eher Verständnis.
Chefs und Mitarbeiter sollten klar machen, was sie voneinander erwarten und was auf keinen Fall passieren sollte. Diese Offenheit beugt Missverständnissen vor.
Bieten Sie auch ungefragt Hilfe an. Viele Mitarbeiter trauen sich nicht, Hilfe einzufordern. Außerdem sollten Chefs ihren Mitarbeitern den Rücken stärken und sich für sie und ihre Belange einsetzen.
Was man von den Mitarbeitern erwartet, sollte man auch selbst befolgen.
Happichs Rat an Manager: Erstens sollte man eine innere Überzeugung haben. Zweitens müsse man Rückgrat zeigen und zu seinen Werten auch in schweren Zeiten stehen, dann also, wenn es ihn etwas kostet. Drittens müsse man vorleben, wovon man überzeugt sei, sich also selbst im Alltag an das halten, was man sage. Taten müssten sich mit dem Diskurs decken. Und viertens müsse man in seiner Kommunikation transparent, klar und berechenbar sein. „Hat ein Manager das für sich klar und steht für ihn sein Einstellungsgrundgerüst, dann wirkt er glaubwürdig und das wiederum führt zu Vertrauen und zu Einfluss“, sagt Happich. Das sei das Gegenmittel zu Misstrauen beziehungsweise Vetternwirtschaft, erklärt die Personalexpertin.
Manche Manager werden hingegen schlicht betriebsblind im Laufe der Jahre, beobachtet Holloch von Transparency International. Über Jahre gewachsene Vertrauensstrukturen seien dann so normal für sie geworden, dass sie potenzielle Interessenkonflikte nicht mehr als solche wahrnehmen. Wieder andere glaubten, dass sie in der Lage seien, komplett unbeeinflusst von potenziellen Interessenkonflikten zu handeln. Also dass sie quasi immun seien gegen dieses klassische Korruptionsrisiko – ein Irrglaube.
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Hinweis: Das Stück erschien zuerst am 10. Mai 2023 und wurde aus aktuellem Anlass überarbeitet.