Von Japan lernen Japans Lösung für den Fachkräftemangel

In Japan sind Roboter Freunde und Helfer des Menschen. Quelle: imago images

Im Westen gelten Roboter in der Arbeitswelt oft als Jobkiller. In Japan ist das völlig anders. Warum bloß?

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In unserer Reihe „Von Japan lernen“ stellt WirtschaftsWoche-Japan-Korrespondent Martin Fritz regelmäßig Gewohnheiten und Verhaltensweisen des asiatischen Landes vor, von denen deutsche Manager, Unternehmer und Bürger häufig noch etwas lernen können.

Beim Löten von elektrischen Verbindungen kann einiges schiefgehen: Wird zu viel Lötzinn zum Schmelzen gebracht, zerfließt die heiße Paste und zerstört die Leiterplatine. Ein zu langer Kontakt der Kolbenspitze mit den Verbindungsteilen überhitzt und beschädigt empfindliche Komponenten. Daher erfordert Löten viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, was eine Automatisierung erschwert. Außerdem ist diese Arbeit nicht so hart, gefährlich und schmutzig wie Schweißen, so dass sie oft manuell erfolgt.

Doch in Japan ist das automatisierte Löten ein etablierter Industriestandard und in der Auto-, Medizin-, Weltraum- und Elektronikbranche weit verbreitet. Bereits 1979 entwickelte Shozo Kono den weltweit ersten Lötroboter, zunächst mit zwei und bald mit fünf Bewegungsachsen. „Unsere Maschinen arbeiten nicht immer schneller als ein geübter Mensch, aber sie liefern eine gleichbleibend hohe Qualität“, erläutert Manager Yusaku Kono, ein Sohn des Firmengründers. Das Familienunternehmen „Japan Unix“ brachte auch das kontaktlose Löten mit Laserstrahlen, das den Material- und Energieverbrauch sowie die Wartungszeiten drastisch verringert, zur Marktreife.

Die Zusammenarbeit von Robotern und Menschen nimmt zu. Algorithmen und Chatbots übernehmen Aufgaben, greifen in unser Verhalten ein. Und die Entwickler merken, was das größte Problem an der Sache ist: der Faktor Mensch.
von Michael Kroker, Konrad Fischer

Ein kleiner Lötautomat von Japan Unix kostet im Schnitt 20.000 Euro. In Ländern mit hohen Arbeitslöhnen amortisieren sich die Anschaffungskosten schon nach einem halben Jahr. Vor allem lässt sich die Steuerung der Maschine binnen weniger Stunden erlernen, berichtet Vertriebschef Shin Kawakami in der Firmenzentrale in Tokio. Neben dem üblichen Argument der höheren Effizienz dieser Roboter hilft die einfache Bedienbarkeit durch Ungelernte dem Weltmarktführer Japan Unix derzeit beim Vordringen in deutsche und europäische Industrien. „Bei Verkaufsgesprächen höre ich häufig, dass unsere potenziellen Kunden keine Facharbeiter mehr finden und daher nach einer Maschinenlösung suchen“, erzählt Kawakami.

In Japan war es genau dieser Mangel an qualifiziertem Personal, der die Automatisierung der Produktion von Anfang an getrieben hat. Schon vor über 40 Jahren begründete die Japan Industrial Robot Association mit großer Weitsicht den vermehrten Einsatz von Industrierobotern – außer mit dem Produktionswachstum und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen – mit der drohenden Verknappung von Facharbeitern durch den demografischen Wandel und die Akademisierung. „Dieser Mangel hat zugenommen, seitdem mehr junge Leute die Universität besuchen“, schrieb der damalige Verbandsgeschäftsführer Kanji Yonemoto 1981 im ersten englischsprachigen Buch über Roboter in Japans Wirtschaft.

Anders als in Deutschland verzichtete Japan auf Gastarbeiter, es fehlten historische Erfahrungen mit ausländischen Arbeitskräften. Also vereinnahmte Nippon als erste Nation die Robotik und setzte voll auf die Automatisierung vieler menschlichen Tätigkeiten. Die Maschinen traten aber nicht als Jobkiller an, sondern um Wachstum und Wohlstand zu sichern. Deshalb regte sich wenig Widerstand gegen diese Entwicklung. Die Gewerkschaften achteten lediglich darauf, dass keine Arbeitsplätze verloren gingen.

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Die langfristige Einführung einer neuen Technologie – ein typisches Merkmal japanischer Politik – wurde belohnt: Die Inselnation stieg zum weltgrößten Hersteller und Exporteur von Industrierobotern auf. Allein Marktführer Fanuc verkaufte in knapp fünfzig Jahren 900.000 Einheiten und Japan Unix dominiert mit nur 110 Mitarbeitern den Weltmarkt für Lötroboter.

Auch die damaligen Prognosen haben sich als zutreffend erwiesen. Der demografische Wandel nimmt Japans Wirtschaft immer mehr in den Schwitzkasten. Viele Branchen mit hohem Personalbedarf suchen händeringend nach Arbeitskräften, obwohl die Erwerbsarbeit von Frauen und Rentnern historische Höchststände erreicht hat. Zwar versucht nun auch Japan, Fachkräfte aus dem Ausland anzulocken. Aber vor allem die niedrigen Löhne – eine Folge von zwei Jahrzehnten ohne Inflation – machen Jobs dort für Ausländer wenig attraktiv.

Deswegen setzen die Maschinen inzwischen auch außerhalb der Fabrikhallen ihren Siegeszug fort, füllen in Supermärkten Regale auf, sortieren in Lagern ein- und ausgehende Waren und liefern Pakete aus. Einfache Tätigkeiten in Serviceindustrien werden ebenfalls automatisiert. Roboter fahren bestellte Gerichte selbständig zu Restauranttischen, stellen Geschirr in Spülmaschinen, kochen Nudeln und frittieren Pommes. Maschinen formen selbst die Reisbällchen für Sushi-Happen. Darüber regt sich niemand auf, denn ohne die Automaten würden viele Betriebe schließen und manche bequeme Dienstleistung verschwinden.

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