
Seit Freitag steht die neue Führungsmannschaft bei Volkswagen. VW-Aufsichtsratschef Berthold Huber hat klargemacht wie es weitergeht nach dem Auffliegen der Abgas-Affäre, die Kunden, Anleger und Mitarbeiter vor den Kopf und den Autobauer in eine tiefe Krise stößt. Und die den Dax-Konzern wohl Milliarden kosten wird.
"Das Unternehmen wird sich einer konsequenten Aufarbeitung stellen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und die notwendigen Konsequenzen ableiten", versprach Huber am vergangenen Freitag. Er meint damit Beurlaubung, Rauswurf und in manchen Fällen Strafanzeige.
Das bedeutet auch einen tiefgreifenden Wandel im Volkswagen-Konzern. Nach dem Diesel-Betrug wird eine schon lange geplante Neustrukturierung, mit der VW eigentlich effizienter werden sollte, zum großen Reinemachen. Posten werden neu besetzt, Manager verlassen den Konzern. Bekannt sind bislang die großen Namen.
Der VW-Abgas-Skandal im Überblick
Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren. In den Tagen darauf wird klar, dass weltweit Fahrzeuge von VW und der Töchter betroffen sind – darunter auch Audi und Porsche. Die VW-Aktie bricht ein.
VW-Chef Martin Winterkorn tritt nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher zurück. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.
Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen. Verantwortliche Motorenentwickler werden beurlaubt.
Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Entgegen einer ersten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig gibt es keine Ermittlungen gegen Ex-Chef Martin Winterkorn persönlich.
Das Aufsichtsrats-Präsidium beschließt, Hans Dieter Pötsch per registergerichtlichen Anordnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Das ist möglich, weil mehr als 25 Prozent der Aktionäre Pötsch favorisiert haben. Die Familien Porsche und Piëch, die Pötsch gegen die Bedenken des Landes Niedersachsens und der Arbeitnehmer durchgesetzt haben, halten über die Porsche SE rund 52 Prozent der VW-Anteile. Julia Kuhn-Piëch, die erst dieses Jahr nach dem Rücktritt von Ferdinand und Ursula Piëch in das Kontrollgremium aufgerückt war, verlässt den Aufsichtsrat wieder.
Es ist klar, dass die betroffenen VW-Fahrzeuge in die Werkstatt müssen, damit die Schummel-Software verschwindet. Bei einigen Motorenwerden die Techniker selbst Hand anlegen müssen. Eine Rückruf-Aktion, so wird es am nächsten Tag bekannt werden, soll 2016 starten. Die geschäftlichen und finanziellen Folgender Krise sind nicht absehbar. Die Kosten der Abgas-Affäre werden jedoch enorm sein. Der neue Chef muss sparen: "Deshalbstellen wir jetzt alle geplantenInvestitionen nochmal auf denPrüfstand", kündigt Müller an.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt. VW hatte eine freiwillige Lösung angestrebt.
Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Milliarden Euro.
Der Skandal erreicht eine neue Dimension. VW muss - nach weiteren Ermittlungen der US-Behörden - einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Die VW-Aktie geht erneut auf Talfahrt.
Der Diesel-Skandal in den USA weitet sich aus. Erneut. Es seien mehr Drei-Liter-Diesel der Marken Volkswagen und Audi betroffen, als bislang angenommen, erklärt die US-Umweltbehörde EPA. Die Autobauer bestreiten dies zunächst. Wenige Tage später, am 24. November, müssen sie allerdings einräumen, ein sogenanntes „Defeat Device“ nicht offengelegt zu haben. Die Software gilt in den USA als illegal.
Die Auswirkungen des Skandal zwingen VW zudem zum Sparen: VW fährt die Investitionen für das kommende Jahr runter. 2016 sollen die Sachinvestitionen um eine Milliarde Euro verringert werden. „Wir fahren in den kommenden Monaten auf Sicht“, sagt VW-Chef Müller. Weitere Ausgaben bleiben auf dem Prüfstand.
Neuer Ärger für Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nun auch wegen mögliche Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit falschen CO2-Angaben. Die könnten dazu geführt haben, dass zu wenig Kfz-Steuer gezahlt wurde.
Zumindest etwas Positives für die Wolfsburger: Zur Nachrüstung der millionenfach manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa reicht nach Angaben von Volkswagen ein zusätzliches, wenige Euro teures Bauteil aus. Bei den 2,0-Liter-Motoren genügt ein Software-Update. Das Kraftfahrtbundesamt genehmigt die Maßnahmen. Auch wenn VW keine Angaben zu den Kosten macht – es hätte schlimmer kommen können.
Vorstands-Chef Martin Winterkorn hat seinen Rücktritt erklärt. Das Präsidium des Aufsichtsrates stellte ihm dafür einen Persil-Schein aus. VW-Vertriebschef Christian Klingler verlässt den Konzern "im Zuge einer langfristig geplanten Strukturänderung und aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über die Geschäftsstrategie mit sofortiger Wirkung", wie es in der offiziellen Erklärung heißt. Die Chefentwickler Heinz-Jakob Neußer, Ulrich Hackenberg und Wolfgang Hatz sind wegen der Abgas-Affäre offenbar beurlaubt - und werden wohl abgelöst.
"Diese personellen Konsequenzen sind ein Signal an die Öffentlichkeit und die Medien, dass entschieden vorgegangen wird", sagt Markenexperte Holger Geißler von YouGov. "Bislang ist das Image von VW im freien Fall. Solch drastische Schritte helfen, zumindest ein Plateau zu erreichen." Der Volkswagenkonzern muss langjährige Manager auf die Straße setzen, während er technisches Verständnis, innovative Ideen und treibende Kräfte braucht, um aus der Krise zu kommen.
Der Konzern braucht also dringend neue Köpfe, die die Lücken füllen. Eigentlich müssten davon genug da sein. "Ich glaube, dass es in diesem Riesenkonzern sehr viele Manager gibt, die mit Potenzial ausgestattet sind. Das zu entdecken und zu heben, wird Aufgabe von Müller sein", sagt der bekannte Frankfurter Headhunter Heiner Thorborg.
Dem stimmt auch Richard Fudickar, Managing Partner der Personalberatung Boyden, zu. Er sagt: "Bei VW kommt es nun zum Blending of the Best", dem Wettkampf der Geeigneten also. Denn gerade in den technologischen Bereichen, in der Grundlagenentwicklung, bei Motoren und Komponenten schaue man immer zuerst nach innen. Externen fehlt schließlich sowohl das entsprechende Netzwerk als auch die Kenntnis der Unternehmenskultur. "VW analysiert ständig seine Talente wie die Top-Führungskräfte und stellt Analysen an, wen man auf welchen Positionen in einem globalen "Spielfeld" einsetzen kann. Die wissen, welche Personen vertrauenswürdig sind", so Fudickar.