Das Jahr 2013 scheint weit weg: Die FDP scheitert bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde und fliegt aus dem Bundestag. In China wird ein gewisser Xi Jinping Staatspräsident. Heute sitzen die Liberalen wieder in der Regierung. Und unter Xi avanciert China zur Weltmacht. Was in knapp neun Jahren nicht alles möglich ist.
Dass man so einen Zeitraum jedoch auch gehörig verschlafen kann, beweist am Weltfrauentag der deutsche Mittelstand: 2013 lag der Anteil der frauengeführten Unternehmen im Mittelstand bei 19,4 Prozent. Und diese 19,4 Prozent sind der Höchstwert. Bis heute. Welch ein Armutszeugnis.
Tatsächlich ist der Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen mit einer Frau an der Spitze im vergangenen Jahr zurückgegangen, zeigt eine neue Sonderauswertung der KfW. Um rund 0,8 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr und um mehr als drei Prozentpunkte gegenüber 2013. Ausgerechnet das viel beschworene „Herz der deutschen Wirtschaft“ verschläft und verschleppt also den Wandel. Und schafft es einfach nicht, mit alten Rollenklischees zu brechen. Einer Vorreiterrolle, die viele Mittelständler bei der Gleichberechtigung in der Wirtschaft sehr wohl einnehmen könnten, wird das nicht im Ansatz gerecht.
Wenn heute also wieder Unternehmen auf Plattformen wie Linkedin dem Weltfrauentag Beiträge widmen, Vorbilder hervorkramen und ihr Bekenntnis zur Gleichberechtigung, dann mag das richtig und wichtig sein. Doch die empirische Realität zeigt, dass all dies in der breiten Masse eben doch nicht viel mehr als Lippenbekenntnisse sind. Wenn es um Positionen mit Macht und Verantwortung geht, wird der Mittelstand nicht weiblicher. Er wird gerade wieder männlicher. Zwar gibt es sie, die Vorreiter und Musterbeispiele, die Firmen, die sich eigene Regeln auferlegen, um für mehr Diversität zu sorgen, die Schlüsselpositionen paritätisch besetzen. Doch sind sie eben nicht die Regel, sondern die Ausnahme.
Das ist nicht nur eine schlechte Nachricht für Frauen mit Ambitionen, sondern auch für den deutschen Mittelstand. Studien zeigen, dass Diversität die Leistung von Firmen und Teams erhöht, und der demographische Wandel erfordert ohnehin, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen noch stärker steigt, auch an der Spitze der Mittelständler. Und zwar besser früher als später.
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Doch während die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Vollzeit in der gesamten Wirtschaft zumindest langsam zulegt, während auch der Lohnunterschied ganz behutsam kleiner wird und mehr Frauen in unteren Führungsebenen arbeiten, ändert das in den Chefetagen des Mittelstands: nichts. Auch an der Frauenquote für Vorstände, die seit August 2021 für börsennotierte Unternehmen gilt, nimmt sich der träge Mittelstand offenbar kein Beispiel: Ausgerechnet bei den so bedeutenden Mittelständlern mit mehr als 50 Beschäftigten liegt die Chefinnenquote nur bei acht Prozent. Unter den Unternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitern ist sie hingegen noch vergleichsweise „hoch“, liegt bei fast 17 Prozent.
Um die Frauenquote bei den großen Firmen zu steigern, bleiben nur wenige Hebel. Entweder müsste die Nachfolge im Familienunternehmen für mehr Frauen eine attraktive Karriereoption werden. Oder Frauen müssten mehr Firmen gründen, die eines Tages selbst zu großen Mittelständlern werden. Doch die Anzahl der Gründungen geht seit den Nullerjahren stark zurück, Frauen gründen seltener als Männer. Eine Trendumkehr benötigte also vor allem: Zeit. Womöglich nutzt der Mittelstand jetzt die nächsten neun Jahre.
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