Wer übernimmt das Kanzleramt? „Man darf Wahlen verlieren, aber nicht das Gesicht“

Die Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck Quelle: DDP Images/EPA

In der K-Frage geht es bei der Union und den Grünen zur Sache. Der Verhandlungsexperte Matthias Schranner erklärt, warum es bei Laschet und Söder wohl nicht zum Showdown kommt – und weshalb Merz noch mitreden könnte.

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Matthias Schranner hat für Polizei und FBI mit Kidnappern und Geiselnehmern verhandelt. Der Verwaltungsjurist leitet das Schranner Negotiation Institute in Zürich und berät Kunden aus Wirtschaft und Politik.

WirtschaftsWoche: Armin Laschet gegen Markus Söder, Annalena Baerbock gegen Robert Habeck. Union und Grünen müssen bald entscheiden, wer Kanzlerkandidat wird. Gewinnen kann nur einer. Wie kann man sich so eine Verhandlung zwischen den Politikern vorstellen?
Matthias Schranner: Die Grundsatzfrage ist, wer die Entscheidung trifft. Sind es wirklich die beiden Politiker oder eigentlich der Parteitag? Davon hängt ab, wie die Verhandlung zu führen ist. 

Mal angenommen, die Verhandlung findet unter vier Augen statt. Was wäre der größte Fehler, den einer der beiden machen könnte?
Man darf Wahlen verlieren, aber nicht das Gesicht. Das passiert, mit einer zu frühen Festlegung. Denn einen Sieger und einen Verlierer gibt es nur dann, wenn man sich früh festlegt und diese Festlegung dann nicht einhalten kann. Wenn Markus Söder vor der Verhandlung sagen würde „ich geh jetzt rein und sag mal dem Laschet, dass ich der bessere bin“ und dann kommt raus, Laschet wird Kanzlerkandidat, dann hätte Söder logischerweise sein Gesicht verloren.

Aber verliert nicht zwangsläufig der sein Gesicht, der nicht Kanzlerkandidat wird?
Um das zu vermeiden, müssten beide vor der Verhandlung der Öffentlichkeit sagen, dass sie sich austauschen werden und die Kriterien für den richtigen Kanzlerkandidaten suchen. Geht es mehr um wirtschaftliche Kompetenz? Mehr um Führungsqualitäten? Erst nach den Kriterien richtet sich die Person. Und dann kann man sagen: Wir wollen diesmal jemanden, der zum Beispiel eine hohe Wirtschaftskompetenz hat und in der Partei unumstritten ist und deshalb ist es dann eben Laschet oder eben Söder geworden. 

Jeder Kandidat könnte die Kriterien aber so festlegen, dass sie auf ihn selbst am besten passen.
Genau – und das versucht Söder schon seit Monaten. Er sagte ja, der nächste Kanzler müsse Krise können. Und präsentiert sich selbst als Krisenmanager. Wenn man sowas sagt, dann muss man das aber auch durchziehen können. Und zurzeit scheint es so, als ob er das nicht könnte. Das war von ihm eine zu frühe Festlegung, die ihm jetzt wieder um die Ohren fliegt. 

Bei Annalena Baerbock und Robert Habeck steht die Entscheidung auch an. Da ist die Ausgangslage allerdings ein bisschen anders: Denn bei der Entscheidung geht es ja auch darum, ob man eine Frau oder einen Mann als Kanzlerkandidaten ins Rennen schickt. Verhandelt man da anders?
Ich glaube, das ist das Gleiche. Ein Politiker ist immer auch eine Marke und steht für etwas. Und Annalena Baerbock hat sich bisher unheimlich zurückgehalten und ist eher die, die im Hintergrund die Fäden zieht und abwartet. Die Grünen stehen derzeit am Spielfeldrand und schauen zu, wie die anderen sich selbst kaputtmachen. Da wird es keine Kampfabstimmung geben, die Grünen werden sich darauf einigen, dass einer im Hintergrund bleiben und einer vorgehen wird. Ich denke, dass Baerbock diejenige sein wird, die vorgeht.

Also kein Showdown wie bei Laschet und Söder, sondern eine gütliche Einigung?
Auch bei Laschet und Söder wird es vermutlich nicht zu einem Showdown kommen.

Warum?
Es gibt ja immer noch mehr Möglichkeiten. Zum Beispiel, dass Friedrich Merz doch noch einsteigt. Das Umfragetief der Union ist das Beste, was Friedrich Merz passieren konnte. Der wartet, bis die anderen sich so beschädigt haben, dass er an der Reihe ist. Vielleicht sagt auch Angela Merkel, sie kandidiert noch mal. Laschet und Söder werden jedenfalls nicht sagen: Wir beide müssen uns jetzt einigen in diesem Raum in der nächsten Stunde. Laschet kann als Parteivorsitzender den Kanzlerkandidaten vorschlagen. Und er wird nur Söder oder Merz vorschlagen, wenn er das Gefühl hat, dass die deutlich mehr Stimmen bekommen, weil sie bei den Bürgern da draußen besser ankommen. 

Welche Strategien gibt es denn, um in so einer Verhandlung zu bestehen?
Es gibt zwei Möglichkeiten: offensiv oder defensiv. Söder ist der Offensive: Er sagt „Der nächste Kanzler muss ein Krisenmanager sein“, muss dann aber auch zeigen, dass er Krisen managen kann. Oder man macht es wie Friedrich Merz: sehr defensiv. Ich warte mal, bis alle anderen Fehler machen und steige dann in den Ring, wenn schon alle am Boden liegen. Entweder bin ich der aggressive Anführer oder der Abwartende. Man muss seiner Marke dann aber auch treu bleiben. Und am Ende wird man dann sehen, was davon mehr angenommen wird. 



Stellt man in so einer Verhandlung dann seine eigenen Stärken raus oder reitet man auf den Schwächen des anderen herum?
In der Politik werden solche Verhandlungen ja über die Gremien geführt, mit den entscheidenden Leuten. Da wird keiner reingehen und sagen: „Ich bin besser als du“.

Wie können sich die potenziellen Kanzlerkandidaten als mächtig präsentieren? Was für Tricks gibt es da?
Tricks sind immer manipulativ und wirken nur kurzfristig. Man kann aber bestimmte Taktiken nutzen. Zum Beispiel direkt am Anfang eine Forderung stellen, wie: Ich fordere, dass über den Kanzlerkandidaten im Mai entschieden wird. Ein möglicher Kanzlerkandidat könnte mit so einer Forderung an die Öffentlichkeit gehen und damit einen zeitlichen Rahmen setzen. Die zweite Forderung könnte dann etwas sein wie: Es muss jemand sein, der wirtschaftskompetent ist. Damit bestimmt man zwar nicht die Person, aber die Inhalte und die Richtung. Wenn dann klar ist, die Entscheidung muss im Mai sein und es muss jemand sein, der wirtschaftskompetent ist, kann man die Leute auffordern, Vorschläge zu machen. So sagt man nicht direkt, dass man selbst die Person ist, die die Rolle ausfüllen muss. Aber so würde man die Verhandlung steuern.

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Eine Verhandlung ist also mehr als ein Gespräch zwischen zwei Leuten?
Viele Leute glauben, bei Verhandlungen sind zwei Leute in einem Raum, die machen die Tür zu – und dann kommt einer als Sieger und einer als Verlierer raus. Aber so ist es nicht. Eine Verhandlung ist ein Prozess und der muss gestaltet werden. Über öffentliche Meinung, über Menschen, die das beeinflussen können. 

Wie viele Leute wirken in der Union denn an der Entscheidung mit?
Es gibt viele Meinungsbildner. Das sind die großen Chefs der Landesverbände. Das sind die, die in Berlin einen großen Einfluss haben. Da gibt es vielleicht so ein Dutzend Leute, die tatsächlich mitbestimmen werden, wer Kanzlerkandidat wird. Auch so eine graue Eminenz wie Herr Schäuble im Hintergrund, der dann sagt: Mit dem gewinnen wir nicht. Es wird im Hintergrund unheimlich stark verhandelt. Nicht nur zwischen Laschet und Söder.

Mehr zum Thema: Annalena Baerbock oder Robert Habeck? Armin Laschet oder Markus Söder? Im Wahlkampf stehen harte Entscheidungen an. Doch auch für Verhandlungen ohne Kompromisse gibt es eine Lösung.

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