WirtschaftsWoche: Herr Marnette, wollten Sie immer schon Chef werden?
Marnette: Nicht unbedingt Chef, aber über mein eigenes Schicksal bestimmen wollte ich schon als Kind.
Die wichtigsten Regeln wider den Machtmissbrauch
Starre Regeln und Kontrollwahn zerstören jede Kreativität. Je stärker der Chef seine Macht spielen lässt, desto weniger tauschen sich die Untergebenen aus – gutes Klima für innovatives Denken sieht anders aus. Es gilt: Kontrolle ist gut, Vertrauen besser.
Im Mittelalter durfte der Hofnarr dem Fürsten sagen, was die Untertanen über ihn dachten. Das Problem: Wer an der Spitze steht, sucht selten Rat von unabhängigen Kritikern. Großer Fehler! Zwar hört niemand gern, was er verbessern könnte oder falsch gemacht hat. Aber die Wahrheit schmerzt nur im ersten Moment, im zweiten befreit sie – und schützt vor schlimmeren Fehlern.
In Besprechungen hören sich Chefs am liebsten selbst reden. Paroli? Unerwünscht! Doch wenn Ihr Gegenüber vernünftig argumentiert, profitieren Sie davon nur. Also: Querdenker und Kritiker weder vor versammelter Truppe zusammenfalten noch heimlich bestrafen.
Worüber man sich eben so Gedanken macht in jungen Jahren...
Ich komme aus einer Kölner Arbeiterfamilie, mein Vater war Schlosser. Schon als Schüler habe ich in seiner Firma ausgeholfen. Dort habe ich gelernt: Egal, wie gut ein Arbeiter auch sein mag – letztendlich trifft sein Chef die Entscheidungen für ihn, nicht der Arbeiter selbst. Und genau das wollte ich – eigene Entscheidungen treffen können.
Mit 49 wurden Sie Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Affinerie (NA), der heutigen Aurubis. Endlich an der Spitze – ein innerer Triumph?
Das stand für mich nicht im Vordergrund – sondern den Konzern in die richtige Richtung zu steuern.
Verändert Macht?
Hat die Macht Sie verändert?
Definitiv nicht.
Das müssen Sie jetzt sagen.
Ich darf das sagen. Wer durch harte, ehrliche Arbeit nach oben kommt, weiß Erfolg zu schätzen und bleibt demütig. So hebt man nicht ab. Außerdem war mir aus meiner Kindheit bewusst, dass man jeden in der Firma gut behandeln muss, egal, welche Funktion er hat.
Dennoch stolpern viele Top-Manager und Politiker regelmäßig über Affären. Wie erklären Sie sich das?
Viele haben überhaupt keine Beziehung mehr zu ihrem Unternehmen, deshalb sind sie häufig austauschbar. Sie haben ihre Lakaien, die ihnen die Zahlen liefern, Controller oder Finanzexperten. Dann regieren sie aus der Vorstandsetage und bekommen gar nicht mit, was den einzelnen Angestellten oder Arbeiter bewegt.
Was bei Ihnen natürlich anders war...
In der Tat. Bevor ich morgens in mein Büro kam, bin ich zuerst immer durch den Betrieb gegangen, habe mich in den Fabrikhallen umgesehen und bei den Mitarbeitern erkundigt. An Silvester bin ich mit meiner Frau manchmal in die Werke gefahren und habe Berliner verteilt. Ich habe mich immer dafür interessiert, wie es den Menschen geht. Nicht aus Kalkül, sondern aus tiefstem Herzen.
Kein Lamm, aber respektvoll
Wie rührend. Wie kamen Sie zu Ihrem Spitznamen: „Napoleon von der Veddel“?
Seit 1910 hat die heutige Aurubis ihren Hauptsitz auf der Veddel, einem lange benachteiligten Hamburger Vorort. Für ihn und seine Menschen lohnt es sich, zu kämpfen. Der Spitzname bezieht sich darauf, dass ich für den Standort und das Unternehmen oft in Schlachten ziehen musste, etwa gegen zu hohe Strompreise – aber nicht auf meinen Umgang mit den Mitarbeitern im Betrieb.
Als sanftes Lamm galten Sie aber nicht...
Das behaupte ich auch nicht. Ich gebe gerne zu, dass ich meine Macht ausgeübt und klare Ansagen gemacht habe – und mit meiner Art dem ein oder anderen vielleicht auf die Füße getreten bin.
Dann flogen auch mal die Fetzen?
Natürlich, aber der Umgang war immer respektvoll – hart, aber fair. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Ich bin davon überzeugt, dass Chefs deutliche Worte aussprechen können, ohne sich unbeliebt zu machen. Dafür muss man gerecht und transparent sein, deshalb habe ich auch mein Gehalt veröffentlicht. Ich hielt mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg, hatte aber gleichzeitig nie Probleme damit, kritisiert zu werden.
Wo sind die Verlockungen der Macht größer?
Auf wen haben Sie am meisten gehört?
In erster Linie auf meine sehr guten Mitarbeiter, in strategischen Fragen auf Finanzexperten und Rechtsberater. Deren Meinung war mir oft sehr wichtig – schon allein deshalb, weil ich Hüttenwesen und Elektrometallurgie studiert habe und mir das Finanzwissen aneignen musste. Ich hatte immer viel Demut – daran mangelt es vielen Top-Managern heutzutage.
Sie sind Ende 2007 Knall auf Fall zurückgetreten. Wie schwer fiel Ihnen der Abschied von der Macht?
Der Abschied war hart, denn das Unternehmen war fast 30 Jahre lang meine berufliche Heimat. Den Sitz im Aufsichtsrat haben mir die Berufsaufsichtsräte verwehrt, aber nicht die vielen Aktionäre, die mit meiner Arbeit nachweislich sehr zufrieden waren.
Nach Ihrer CEO-Zeit waren Sie Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein. Wo sind die Verlockungen der Macht größer – in Wirtschaft oder Politik?
Das nimmt sich nicht viel. In der Politik gibt es aber ein anderes Problem: Die Führungskräfte werden nicht nach Qualifikation ausgesucht, sondern vorwiegend über Parteienproporz oder Beziehungen hochgespült. Viele können vielleicht auf Volksfesten Menschen begeistern, haben von Sachthemen aber keine Ahnung. Wenn so jemand an der Spitze eines Ministeriums oder sogar der Regierung sitzt, wird es problematisch.
Jetzt sind Sie als Berater unterwegs – ohne Fahrer, Dienstwagen, Assistenten. Geben Sie’s ruhig zu: Schade um die schönen Privilegien ist es schon...
Sicher, manche Annehmlichkeiten sind weggefallen. Aber ich bin heute unabhängiger und kann mir Aufgaben gezielt suchen.