Der Rat klingt simpel: Betroffene sollten große Anstrengungen und Überlastungen vermeiden, heißt es von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Im Job ist dieser Hinweis kaum umsetzbar. Der Tipp richtet sich an diejenigen, die nach einer Corona-Infektion die Folgeerkrankung Long Covid entwickeln. Schätzungen gehen von jedem zehnten Infizierten bei der Delta-Variante aus, bei Omikron ist es etwa jeder zwanzigste – und damit gibt es Hunderttausende Betroffene.
Die Datenlage ist uneindeutig. Klar ist jedoch: Long Covid trifft viele Berufstätige – und kann sie mitunter monatelang aus der Bahn werfen. Beschäftigte fallen mit Long Covid im Schnitt 105 Tage aus, teilte die Techniker Krankenkasse im Juli mit. Chefs, die sich zu ihren Erfahrungen mit Langzeitfolgen nach einer überstandenen Coronainfektion öffentlich geäußert haben, sind etwa Audi-Boss Markus Duesmann und Grünen-Chef Omid Nouripour.
Die häufigsten Symptome, die in Studien beobachtet werden, sind laut der WHO Müdigkeit, Erschöpfung, eingeschränkte Belastbarkeit, Schlafstörungen, Muskelschmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme und Kurzatmigkeit. Long Covid kann auch deutlich zeitversetzt zur eigentlichen Infektion auftreten. Und auch ein milder Verlauf schließt die Folgeerkrankung nicht aus. Immerhin: Studien deuten darauf hin, dass die Impfungen auch das Risiko für die Langzeiterkrankung senken.
Eva Rauscher ist leitende Neurologin im Reha-Zentrum Hess in Bietigheim-Bissingen. Die meisten ihrer Long- und-Post-Covid-Patienten sind zwischen 40 und 60 Jahre alt. „Ich habe Patienten, die klagen, nur noch undeutlich sprechen zu können oder Worte nicht zu finden“, berichtet sie. Doch vor allem die schnelle und stetige Erschöpfung, die die Fachwelt schon lange unter dem Begriff Chronic Fatigue Syndrom kennt, macht die Rückkehr in den Job schwierig. Fatigue heißt, dass Personen vorzeitig ermüden und weniger Leistung bringen können. „Wenn sich Betroffene anstrengen, brauchen sie unglaublich lange, um sich wieder zu erholen.“
Diese Erschöpfung trifft auch die kognitive Leistungsfähigkeit. So unterschiedlich die Symptome, so unterschiedlich auch die Ausprägung. Manche könnten zumindest morgens noch konzentriert arbeiten, eine lange Pause oder ein Mittagsschlaf helfe für den Nachmittag. Bei anderen gehe nach kurzer Zeit gar nichts mehr. „Von meinen Langzeit-Patienten arbeiten nur zwei wieder in Vollzeit“.
Zahlreiche solcher stark Betroffenen hat sie in der Einrichtung über Monate betreut. Das geht, wenn die Berufsgenossenschaften die Infektion als Berufskrankheit anerkennt. Viele ihrer Patientinnen und Patienten haben sich in Gesundheitsberufen beim Jahreswechsel 2020/2021 in Krankenhäusern angesteckt, damals noch ohne Impfung und mit ungenügender Schutzkleidung. Bei deutlich mehr Patienten dauert die Reha nur wenige Wochen. „Viele arbeiten jetzt in Teilzeit mit Post Covid.“
Experten merken hohe Nachfrage von Unternehmen zu Long Covid
Geduld brauchen Betroffene allemal. Die Rückkehr in den Job bei einer Wiedereingliederung kann sich über ein Dreivierteljahr ziehen. Ein Punkt, wo sie sich deutlich von anderen Krankheiten unterscheidet. „Die Nachfrage nach Hilfe bei der Wiedereingliederung von Long-Covid-Patienten steigt deutlich“, berichtet Susanne Tiedemann. Sie ist Arbeits- und Organisationspsychologin und leitet beim Fürstenberg Institut den Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz, einem Dienstleister für Betriebliches Gesundheitsmanagement und Führungskräftetraining.
Die langen Ausfälle seien für Unternehmen und Betroffene „eine Katastrophe“. Vor allem für letztere: „Es ist eine wahnsinnig belastende Situation, für viele ein großes Leid. Manchen fehlt jegliches Gefühl für ihren Körper und sie können die Symptome schwer einordnen.“ Bekannte Genesungsprozesse greifen bei Long Covid nicht. Als Beispiel nennt sie einen Beschäftigten im Controlling, der plötzlich mit den Zahlen auf den Bildschirm nichts mehr anfangen konnte. „Der hat sich gefühlt wie ein Grundschüler, so als ob im Kopf etwas versperrt ist.“
Deshalb treten auch häufig psychische Erkrankungen als Begleiterscheinung auf. Eine kürzlich veröffentlichte und groß angelegte Studie der Universität Oxford zu Long Covid zeigt, dass Angstzustände und Depressionen nach Covid-19 häufiger auftreten als bei anderen Atemwegsinfektionen – das Risiko verringere sich allerdings innerhalb von zwei Monaten. Allerdings bleibe das Risiko für kognitive Defizite, die umgangssprachlich als „Brain Fog“ bezeichnet werden, Epilepsie, Krampfanfälle und andere längerfristige psychiatrische und neurologische Gesundheitsstörungen auch 24 Monate später noch erhöht, heißt es in der Studie weiter, die in der Zeitschrift „Lancet Psychiatry“ veröffentlicht wurde.
Hamburger Modell zur Wiedereingliederung
Vor allem die stufenweise Eingliederung eigne sich gut für Long Covid, erklärt Tiedemann: Das sogenannte Hamburger Modell. Beschäftigte sind weiterhin krankgeschrieben und starten beispielsweise mit zwei Stunden täglich. Schrittweise nimmt die Stundenzahl dann zu.
Wiedereingliederung bei Long Covid
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist ein Instrument, um die Arbeitsunfähigkeitsdauer von Beschäftigten zu reduzieren und ihnen eine frühzeitige und strukturierte Rückkehr in den Betrieb ermöglichen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die länger als 6 Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, bekommen dadurch Unterstützung. Basis dafür ist das Sozialgesetzbuch § 167 SGB IX, das Arbeitgeber seit 2004 zum BEM verpflichtet.
Das Hamburger Modell ist ein Sonderfall des BEM. Denn die Krankenkasse zahlt weiter die Kosten für den Beschäftigten. Das Modell zeichnet sich dadurch aus, dass vor allem langzeiterkrankte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr langsam und schrittweise wieder in den Job eingegliedert werden. Ein Arzt oder eine Reha-Einrichtung erstellt einen Wiedereingliederungsplan mit Rücksicht auf den Genesungsfortschritt des Beschäftigten. Es geht darum, die Wochenarbeitszeiten langsam anzuheben und dabei auch die Belastbarkeit des Beschäftigten auszuloten.
Eine Coronainfektion kann als Arbeits-, bzw. Wegeunfall oder als Berufskrankheit anerkannt werden. Auf eine Berufskrankheit können sich Beschäftigte des Gesundheitswesens, der Wohlfahrtspflege und in Laboratorien berufen. Die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung sind dann vor allem bei der Rehabilitation umfangreicher als die der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) schreibt, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer außerhalb dieser Tätigkeitsbereiche können die Erkrankung als Arbeits- oder Wegunfall anzeigen.
Mit der zuständigen Personalmanagerin oder dem Fallmanager eines Dienstleisters müssten Erkrankte genau über Symptome und Belastungsgrenzen sprechen. Eine Widereingliederung nach „Schema F“ gebe es nicht. Der Clou sei, frühzeitig zu pausieren. Geräusche, Bildschirmhelligkeit, flackernde Lichter, gemeinsame Mittagspausen – die Liste von Rahmenbedingungen, die sich ungünstig auf die Erkrankung auswirken können, ist lang. Die entscheidenden Kriterien zu finden, sei ein „kreativer Prozess“. Selbst das private Umfeld rücke ins Licht. Beispielsweise könnte Unterstützung für die Kinderbetreuung Beschäftigte entlasten.
Wenn der Chef nicht an Long Covid „glaubt“
Auch Tiedemann ist bereits auf Unverständnis in Betrieben gestoßen. Dennoch rät sie Beschäftigten und auch erkrankten Führungskräften zu Transparenz. „Sonst entstehen schnell Gerüchte.“ Eva Rauscher findet ebenfalls, dass vor allem Aufklärungsarbeit wichtig sei. Eine Patientin habe erzählt, ihr Chef glaube nicht an Long Covid. Sie berichtet außerdem, dass das Homeoffice segensreich sei bei der Wiedereingliederung von Long-Covid-Patienten. Dass Arbeitswege wegfallen helfe genauso wie die Ruhe zu Hause und die Möglichkeit, sich in der Mittagspause hinzulegen. Außerdem plädiert sie dafür, die Wiedereingliederung in die Länge zu ziehen. Wichtig sei das sogenannte Pacing. Dabei geht es darum, die Kraftreserven einzuteilen und vor allem auf genügend Pausen zu achten. Und leider, sagt Rauscher, heißt das oft auch, dass das Privatleben dafür brachliegt.
Wer unter Long Covid leidet, braucht Geduld. Bei vielen wird es mit der Zeit besser, berichtet Rauscher. „Aber ich habe noch niemanden getroffen, der sagte: es ist jetzt wieder weg.“
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