Wirecard-Skandal Sechs Lektionen: Wie Manager den Knast überstehen

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Hilfe von außen, körperliche Fitness

Lektion 4: Nicht auf Hilfe von außen vertrauen
Als er während seiner ersten Tage hinter Gittern auf den Haftprüfungstermin wartet, hört Middelhoff im Radio, dass seine Anwälte das Urteil für falsch und unverhältnismäßig halten. „Irgendwie schafft es diese kurze Nachricht, mich zu beflügeln. Es gibt da draußen also auch ohne mein Zutun weiter Aktivitäten, um die Dinge zum Positiven zu wenden“, schreibt er. Insgesamt hört er aber wenig Zuspruch von Freunden in der Öffentlichkeit, wie er in seinem zweiten Buch „Schuldig“ im Zusammenhang mit seinem Scheitern schreibt: „In meinem Fall sah sich zwischen 2009 und 2019 nur eine Person zu einem Anteil nehmenden öffentlichen Statement in der Lage, ein langjähriger Freund, der die Courage dazu hatte, nach meiner Verhaftung das Urteil und das Vorgehen zu kritisieren.“ Seine Botschaft ist klar: Verlassen kann sich der Insasse nur auf einen, nämlich sich selbst.

Lektion 5: Körperlich fit bleiben
Als Thomas Middelhoff aus der Untersuchungshaft entlassen wird, wiegt er 16 Kilogramm weniger, als bei seiner Inhaftierung. Vor allem schreibt er das der Autoimmunerkrankung zu, die in der Haft bei ihm diagnostiziert wurde. Aber auch die einseitige Ernährung in der JVA sei daran schuld. „Wer in großem Umfang scheitert, vernachlässigt oft auch seinen Körper – so war es auch bei mir“, schreibt er. Nach der Haftentlassung versuchte er deshalb, besonders gesund und nährstoffreich zu essen und auf Zucker und Süßigkeiten zu verzichten. Außerdem führte er ein Training weiter, das er bereits in der Haft begonnen hatte. In der JVA Bielefeld, in der er seinen offenen Vollzug absaß, nahm er sich vor, jeden Tag eine Stunde Sport zu machen, etwa Joggen im Gefängnishof. „Mitten in der Unfreiheit des Gefängnisses fühlte ich mich bei meinen täglichen Runden frei“, schreibt er. Trotz der zwischenzeitlichen Erkrankung sei er so am Ende der Haft „physisch und auch psychisch in einer deutlich besseren Verfassung als am Tag meiner Verhaftung im Gerichtssaal“ gewesen. 

Lektion 6: Das Gefängnis als Zäsur verstehen
„Die Hilflosigkeit, die man fühlt, wenn man unerwartet seiner Freiheit beraubt wird, lässt sich nicht mit Worten beschreiben“, schreibt Middelhoff in „Unschuldig“. Dieser Schock, sich auf dem Weg vom freien Macher zum eingesperrten Sünder zu beobachten, hatte ihn hart getroffen. Rückblickend versucht Middelhoff, die Zeit hinter Gittern zur großen Zäsur umzudeuten. Er frage sich oft, wie er sein Leben als pensionierter Topmanager ohne die Einsichten, die das Gefängnis erzeugt hat, erlebt hätte. Er hätte in Aufsichtsräten gedient, „um weiter das Gefühl zu haben, ein wichtiges Mitglied der Deutschland-AG zu sein“ oder Empfängen beigewohnt, „um mir selbst weiter den Anschein der öffentlichen Bedeutung zu vermitteln“. All das habe er nicht getan, sondern Verantwortung für sein Handeln übernommen - und einen Neuanfang gewagt. Glorifizieren möchte er sein Scheitern aber ebenso wenig. Denn nach einem Scheitern mit den gleichen Verhaltensmustern weiter zu agieren, führe nicht weit. „Und die Chancen sind groß, sich bald wieder in den gleichen Problemen zu verfangen, die ursächlich zu dem Scheitern beigetragen haben“, so Middelhoff.

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