Wirecard-Skandal Sechs Lektionen: Wie Manager den Knast überstehen

Einblick in den Alltag eines Managers im Gefängnis gibt der ehemalige Manager Thomas Middelhoff in seinen Büchern.  Quelle: dpa

In zwei Büchern hat Thomas Middelhoff seine Zeit hinter Gittern verarbeitet. Sollten sie ins Gefängnis müssen, wäre die Lektüre auch für die Verantwortlichen in der Wirecard-Affäre hilfreich.

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Als Thomas Middelhoff am Nachmittag des 14. November 2014 die Kleiderkammer der Justizvollzugsanstalt betritt, muss er noch einmal an den Morgen dieses verhängnisvollen Tages denken: Die Stimmung sei gut gewesen bei seiner Familie und seinen Anwälten, als sie sich gemeinsam aus Bielefeld auf den Weg zur Urteilsverkündung machten, so erinnert sich der frühere Bertelsmann- und Arcandor-Manager in seinem Buch „A115 - Der Sturz“. Er habe sich schließlich nichts zu schulden kommen lassen - und wenn das Gericht das anders sähe, dann wäre immer noch eine Strafe auf Bewährung wahrscheinlich.

Dass die große Wirtschaftsstrafkammer des Essener Landgerichts anders entschied, gilt heute als eine der dramatischeren Wendungen in der Wirtschaftsgeschichte der frühen 2000er-Jahre. Drei Jahre Haft wegen schwerer Untreue und Steuerhinterziehung verhängte sie über Middelhoff. Um eine mögliche Flucht zu verhindern, müsse er in Untersuchungshaft und zwar sofort. Wenig später steht der einst verehrte Manager vor zwei Vollzugsbeamten, gibt seine Körper- und Schuhgröße an (1,92 Meter, Größe 45), schätzt den Wert seiner Uhr (100 Euro) und muss sich nackt ausziehen. Danach streift er sich die Gefängniskluft über: Verwaschenes T-Shirt, unförmige Jeans. „Die Häftlingskluft hat Symbolcharakter: Wer hier gelandet ist, hat seinen Anspruch auf Würde, Achtung und Stolz verwirkt“, schreibt Middelhoff. Zelle A115 wird für die nächsten Wochen und Monate sein Zuhause sein.

Thomas Middelhoff war ein Star der deutschen Wirtschaft, der nach einem langen Höhenflug tief fiel. Wer sich heute mit dem Fall Wirecard beschäftigt, sieht durchaus Parallelen zwischen „Big T“, wie er einst genannt wurde, und den zentralen Figuren in dem aktuellen Wirtschaftskrimi um Markus Braun und Jan Marsalek. Jahrelang schufen sie ein Bild von sich als geniale Macher, die hochinnovative und höchstprofitable Dinge schafften. Dann folgt der jähe Absturz, der Verdacht auf kriminelle Machenschaften – und abhängig davon, was die Staatsanwaltschaft München in ihren Ermittlungen nun herausfindet, womöglich auch: Gefängnis. Sollte sich diese Befürchtung für die Manager des Münchner Finanzdienstleisters bewahrheiten, werden Middelhoffs Bücher Pflichtlektüre.

Lektion 1: Gute Vorbereitung ist die halbe Haft
Die Verhaftung noch im Gerichtssaal hatte Middelhoff kalt erwischt. Er ging auf geradem Weg von der Anklagebank in die Zelle. Für den Manager ein untypischer Vorgang, gerade weil er wegen einer Wirtschaftsstraftat und nicht wegen eines Kapitalverbrechens verurteilt worden war. Zwischen Urteil und Haftantritt könnten manchmal Monate liegen. Genug Zeit, um „familiäre, finanzielle oder rechtliche Dispositionen für den Zeitraum der Inhaftierung vorzunehmen“, wie Middelhoff schreibt. Da es ihm nicht möglich gewesen sei, dies zu tun, sei er „in jeder Hinsicht völlig unvorbereitet“ gewesen. Das hatte ganz praktische Folgen: „Weder weiß ich, wie man aus der Haft heraus Briefe verschickt, noch wie die Essensausgabe funktioniert; ich habe keine Ahnung, was man als Untersuchungshäftling selbst organisieren darf, an welchen Gruppenangeboten man sich beteiligen kann oder welche besondere Bedeutung der sogenannte Anforderungsschein hat“, schreibt er. 

Lektion 2: Nicht auf den Promibonus vertrauen
Außerhalb der Gefängnismauern ist ein gewisser Bekanntheitsgrad meistens von Vorteil. Gerade ein so einflussreicher Manager wie Thomas Middelhoff war sich seiner Wirkung durchaus bewusst. Auf dem Gelände der JVA halfen ihm sein schillernder Ruf und seine Prominenz aber nicht unbedingt. Mithäftlinge und Wärter kannten sein Gesicht zwar aus den Nachrichten. Während es bei den Menschen, die mit ihm in Haft saßen, meist eher ein Aufhänger für Gespräche war, lief es bei den Vollzugsmitarbeitern anders. Er habe bei den Beamten vermutet, „dass sie alles taten, um sich bloß nicht dem Verdacht auszusetzen, sie würden mir eventuell Vorteile gewähren.“ 

Das habe er im unfreundlichen Ton der Mitarbeiter gehört, an den langen Wartezeiten gespürt. „Mir gereicht meine Bekanntheit unverkennbar zum Nachteil“, schreibt er. Grundsätzlich musste Middelhoff, wie jeder andere Häftling auch, für die meisten Handlungen ein Formular ausfüllen. „Ohne einen Antrag gibt es weder Toilettenpapier noch Medikamente und schon gar keine blauen Briefumschläge, auf die Untersuchungshäftlinge
aber dringend angewiesen sind, weil sie ihre Ausgangspost nur in diesen Umschlägen abgeben dürfen; auch Bücher dürfen ohne zuvor ausgefüllten Antrag inklusive Genehmigung nicht empfangen werden.“

Lektion 3: An die eigene Stärke erinnern
Gefängnisse sind ungemütliche Orte, das liegt in der Natur der Sache. Dass die Middelhoffschen Anwesen in Saint Tropez und Bielefeld einen besseren Lebensstandard als die JVA Essen bieten, überrascht wenig. Um das zu unterstreichen, lässt der Ex-Manager kein gutes Wort an der Ausstattung der acht Quadratmeter großen Zelle, die fünf Monate lang sein Zuhause war. Harte Schaumstoffmatratzen, stinkende Toiletten, zugige Fenster, grelles Neonlicht, das ihn nachts vom Schlafen abhält. Was ihm in den ersten Tagen hilft, sich nicht aufzugeben, ist der Vergleich mit in seiner Erinnerung an schwierige Situationen, die er ebenfalls überstanden hat. So versucht er, die Zelle mit seinem Zimmer im Studentenwohnheim Münster-Mecklenbeck zu vergleichen. „Während des Examens hatte ich mein Zimmer oft tagelang nicht verlassen und mit niemandem gesprochen. Ich war damals fokussiert auf die Prüfungen. Also werde ich die Strategie, die damals Mittel war, jetzt zum Zweck erklären.“

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