Die eigenen Mitarbeiter – Führungskräfte eingeschlossen – sind eine unterschätzte Gefahr für Unternehmen in Deutschland. Das legt eine Auswertung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) von 2400 Schadensfällen nahe. Wirtschaftskriminalität hat demnach in relevantem Umfang interne Ursachen in Unternehmen. 225 Millionen Euro Schaden entstehen deutschen Unternehmen jährlich, dabei gehen drei Viertel der Summe auf das Konto von Tätern im eigenen Haus. Sie sind außerdem für 63 Prozent der Fälle von Wirtschaftskriminalität verantwortlich.
Interne Täter erbeuten damit im Schnitt mehr als externe. Ihr Vorteil: Sie kennen Schwachstellen und Sicherheitslücken und missbrauchen ihren Vertrauensvorschuss als Mitarbeiter. „Angesichts unserer Erfahrungen müssen wir davon ausgehen, dass jedes Jahr fünf bis zehn Prozent der deutschen Unternehmen von eigenen Mitarbeitern betrogen werden“, teilte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Vertrauensschadenversicherung beim GDV, Rüdiger Kirsch, mit. Im Schnitt brächten kriminelle Kollegen ihre Arbeitgeber um knapp 115.000 Euro, bevor sie aufflögen. „Externe Betrüger kommen im Schnitt gerade mal auf die Hälfte dieser Summe.“ Der typische Täter ist demnach männlich, älter als 40 Jahre und überdurchschnittlich gebildet. Häufig sind diese Innentäter bereits lange im Unternehmen und haben verantwortliche Positionen inne.
Warum Mitarbeiter zu Tätern werden, ist Gegenstand der Forschung von Hendrik Schneider, Jura-Professor an der Universität Leipzig. Kommen eine längere Unternehmenszugehörigkeit, bekannte Sicherheitslücken sowie zusätzlich persönliche Risikokonstellationen zusammen, ergibt sich häufig die Versuchung, Geld abzuzweigen. „So zum Beispiel, wenn der Täter meint, 'einen Extrabonus verdient zu haben' oder wenn er sich von seinem Chef gekränkt und zurückgesetzt fühlt“, sagt Schneider. Auch Geldknappheit wegen einer Scheidung, einer Sucht oder eines zu kostspieligen Lebensstils könnten die Motivation sein. „Wenn diese Täter eine Gelegenheit sehen, mit wenig Aufwand viel Geld in die eigenen Taschen zu lenken und dabei zumindest kurzfristig nicht erwischt zu werden, schlagen sie zu“, erklärt Schneider.
Wirtschaftskriminelle in Unternehmen haben eines gemeinsam: Sie haben nicht nur die günstige Gelegenheit für ihre Straftat identifiziert, sondern auch ergriffen. Das unterscheidet sie von jenen Kollegen, die um Sicherheitslücken wissen, die einladende Situation aber nicht zur eigenen Bereicherung nutzen, sondern im Sinne des Unternehmens versuchen zu ändern. Diejenigen aber, die frustriert oder gekränkt sind oder sonst ein gestörtes Verhältnis zu Geld haben, erkennen die Tatgelegenheit und tun nichts, um die Sicherheitslücke zu schließen. Ob sie nur von der Tat träumen oder sie ausführen, hängt dann von noch weiteren Faktoren ab.
Die sind äußerst individuell und hängen von der ganz konkreten Situation ab. „Zwischen der Phantasie, eine Tat zu begehen, und konkreter Planung und Umsetzung liegen Welten“, sagt Jesko Trahms, auf Wirtschaftsstrafsachen spezialisierter Rechtsanwalt von BDO Legal. Eine Tatgelegenheit werde subjektiv als günstig oder nicht eingestuft, ebenso wie das Entdeckungsrisiko.
Daraus ergibt sich, dass Unternehmen mit einem guten Betriebsklima, fairer Entlohnung und einer menschenorientierten Führung die Risikofaktoren minimieren können. Rüdiger Kirsch vom GDV hält dies für den wichtigsten Teil bei der Prävention. „Über ein herausragendes Betriebsklima kann man eine Menge erreichen. Je besser es ist, desto weniger ist der einzelne Mitarbeiter anfällig für strafbare Handlungen.“ Wer ungerecht behandelt, grundlos versetzt oder gar gefeuert werde, könne Hass auf das Unternehmen entwickeln. Der Druck daraus führe zum Beispiel in Sabotageakte, die der Täter für sich leicht rechtfertigen könne.
Wichtig ist laut Jesko Trahms, darüber hinaus präventive Maßnahmen zu ergreifen, ohne Mitarbeiter unter Generalverdacht zu stellen – das wäre geradezu kontraproduktiv. „Man muss auf der anderen Seite der Realität ins Auge schauen, dass jedes Unternehmen, egal welche Branche, einen Querschnitt der Bevölkerung abbildet – und damit auch potentielle Straftäter.“
Beispielfälle von Innentätern
In einem mittelständischen Unternehmen der chemischen Industrie zweigte eine Co-Geschäftsführerin, die seit Jahrzehnten im Unternehmen tätig war, über zwölf Jahre hinweg rund 750.000 Euro ab. Die Täterin führte die Buchhaltung in eigener und alleiniger Verantwortung und ließ regelmäßig Geldbeträge auf das eigene Konto fließen. Dabei ging sie so geschickt vor und argumentierte auf Nachfragen so überzeugend, dass auch der Wirtschaftsprüfer jahrelang keinen Verdacht schöpfte. Erst als dieser wechselte und die Täterin krankheitsbedingt länger fehlte, fielen die Unregelmäßigkeiten auf.
Die Motivation: Sie finanzierte mit dem Geld ihre Kaufsucht. Das blinde Vertrauen der Geschäftsleitung begünstigte ihre Machenschaften.
Ein Kassierer in einem Lebensmittelgeschäft stornierte zwei Jahre lang unzählige Bons, die Kunden liegengelassen hatten, und nahm die entsprechenden Beträge aus der Kasse. Er erbeutete damit rund 25.000 Euro. Erst als Kollegen die außergewöhnlich hohe Anzahl der Storno-Vorgänge auffiel, informierten sie die Marktleitung, die mit Hilfe einer versteckten Kamera den Täter überführte.
Die Motivation: Er hatte Schulden aus einem Hauskauf, sein Einkommen und das seiner Frau reichten nicht für den Schuldendienst.
Ein Mitarbeiter in der Finanzabteilung einer Krankenkasse kopierte sechs Monate lang Krankenhausrechnungen und legte Duplikate im EDV-System an. Die Zahlungen gingen auf das Konto einer Freundin. Mit dem Verfahren zweigte der Mann 380.000 Euro ab. Begünstigt wurde dies, weil der Abteilungsleiter in der Übersicht keine Bankdaten zu sehen bekam, so fielen die regelmäßigen Zahlungen auf ein und dasselbe Konto nicht auf. Überführt wurde der Täter nach einer Überprüfung durch die interne Revision.
Die Motivation: Der Mitarbeiter und seine Freundin finanzierten mit dem Geld ihre Spielsucht.
Quelle: GDV
Hilfreich seien wirksame Kontrollsysteme, die gar keine Gelegenheiten entstehen lassen. Sensible Bereiche sollten doppelt abgesichert werden. Klare Zuständigkeiten bei der Einhaltung von Compliance-Richtlinien (eigener Beauftragter) und striktes Vier-Augen-Prinzip bei heiklen Vorgängen wie Zahlungen helfen, die günstige Gelegenheit nicht mehr ganz so günstig erscheinen zu lassen. „Ganz wichtig in meinen Augen ist außerdem, ein Hinweisgeber-System zu implementieren, das Mitarbeitern, aber auch externen Dritten, Hinweise auf mögliche Verdachtsfälle zu geben – gegebenenfalls unter Wahrung der Anonymität“, sagt Trahms. Mitarbeitern müsse klargemacht werden, dass das Decken von Kollegen eine „völlig falsche Form der Solidarität“ sei. Schließlich seien Schäden für das Unternehmen letztlich Schäden für alle.
Laut GDV sind persönliche und berufliche Krisen der häufigste Auslöser für Straftaten im eigenen Unternehmen – etwa Ereignisse im Privatleben, die den bisherigen Lebensstil bedrohen. Nicht immer sind die Faktoren objektiv, so hätten viele Täter auch überhöhte Ansprüche, die sie selbst für legitim hielten. In 40 Prozent der Fälle schlägt dieser Tätertyp zu.
In jedem fünften Fall sind die Täter aufgrund mehrerer Faktoren für ihre Straftaten prädestiniert – Experten sprechen von einem wirtschaftskriminologischen Belastungssyndrom. Diese Täter suchen aktiv nach Tatgelegenheiten oder schaffen sie sogar selbst. Häufig handelt es sich um Quereinsteiger mit schillernden Lebensläufen und gebrochenen Erwerbsbiografien. Diese Täter befinden sich zudem in einer biografischen Umbruchphase und haben kein persönliches Umfeld mehr, das sie kontrolliert. Das Belastungssyndrom wird noch verstärkt dadurch, dass diese Personen zu einem Leben im Augenblick neigen, für das sie viel Geld ausgeben.
Doch Vorsicht: Mögliche Täter können genauso gut ganz unauffällige Menschen im Unternehmen sein. 25 Prozent der Täter bestehlen oder betrügen ihre Firma laut GDV nur, weil sich die Gelegenheit dazu bietet. Bei ihnen sind bis auf eine gewisse Konsumneigung keinerlei Risikofaktoren zu erkennen. „Wer eine Straftat begeht, findet für sich meistens eine Rechtfertigung“, sagt Jesko Trahms. Besonders leicht falle das zum Beispiel in einem mittelständischen Unternehmen, das autoritär geführt werde. „Und die Erfahrung ist: Wer einmal angefangen hat, der hört nicht mehr auf.“